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Pariser Krankenhäuser
Kampf um die 35-Stunden-Woche

Mit 95.000 Mitarbeitern ist die "Assistance publique - Hôpitaux de Paris" das größte Krankenhaus in Europa. Diese Woche droht dem staatlichen Krankenhaus in Paris ein neuer Warnstreik. Die Angestellten wehren sich gegen eine Reform der 35-Stunden-Woche.

Von Bettina Kaps | 26.05.2015
    Ein Stethoskop und eine Brille liegen auf einem Arztkittel.
    In den Pariser Krankenhäusern drohen neue Arbeitsniederlegungen. (dpa / picture-alliance / Arno Burgi)
    Solche Einigkeit ist selten: Die sieben Gewerkschaften der staatlichen Pariser Krankenhäuser rufen auch für diesen Donnerstag wieder gemeinsam zu einem Warnstreik und Demonstrationen auf. Sie wollen verhindern, dass die Regierung die Ausgleichstage für Überstunden des Krankenhauspersonals verringert. Am vergangenen Donnerstag haben bereits mehrere tausend Mitarbeiter gestreikt und ihrem Unmut Luft gemacht, wie Eric Tricot, ein Krankenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie.
    "Wir brauchen diese Ruhetage, sie sind unser Sicherheitsventil. Wenn ich abends nach Hause komme, liegt mir schwer auf Herz und Magen, was ich bei der Arbeit erlebt habe. Oft schaue ich dem Tod ins Auge. Die Ausgleichstage darf man uns nicht streichen."
    Generaldirektor verteidigt Reformen
    Grund für die Spannungen ist ein Reformprojekt, dass der Generaldirektor der Pariser Krankenhäuser Martin Hirsch durchsetzen will. Die Neuorganisation sei nötig, um Probleme zu regeln, die bei der Einführung der 35-Stunden-Woche geschaffen wurden, sagte Hirsch im französischen Rundfunksender RTL.
    "Vor 15 Jahren, als die 35-Stunden-Woche eingeführt wurde, hat man so getan, als ob man gar nichts ändern müsste. Der Arbeitstag im Krankenhaus blieb ungefähr so lang wie vorher. Dafür hat man den Leuten Ausgleichstage gegeben, die sie aber nicht immer nehmen können."
    Die meisten Krankenschwestern, Sanitäter, Laboranten und übrigen Mitarbeiter der Krankenhäuser arbeiten nach wie vor 38 bis 39 Stunden pro Woche. Zum Ausgleich erhalten sie - zusätzlich zum Jahresurlaub - 18 bis 20 freie Tage pro Jahr, sie haben Anspruch auf fast neun Wochen Freizeit. Aber die Rechnung geht nicht auf, sagt auch Marise Dantin, Gewerkschaftsvertreterin in der Pariser Universitätsklinik Cochin.
    "Die 35-Stunden-Woche sollte Arbeitsplätze schaffen. Aber in den Krankenhäusern war das nicht der Fall, bei uns in der Uniklinik Cochin wurden sogar Posten gestrichen. Die Dienstplaner müssen den Leuten deshalb viele Ausgleichstage abschlagen. Sie werden auf einem Zeitarbeitskonto gelagert. Die Pariser Krankenhäuser schulden ihrem Personal inzwischen fast eine Million Ausgleichstage."
    Arbeitszeit soll gekürzt werden
    In Lohn umgerechnet beziffern sich die nicht eingelösten Ruhetage auf 75 Millionen Euro. In der Praxis bedeuten sie eine enorme Überbelastung des Personals.
    Um diese Fehlentwicklung wenigstens zu bremsen, will Martin Hirsch die Arbeitszeit nun um etwa zehn Minuten pro Tag verkürzen. Auf diese Weise könnte er fünf Ausgleichstage pro Jahr streichen-– und 20 Millionen Euro einsparen. Aber unter Neuorganisation versteht er noch mehr.
    "Ich habe mir angeschaut, wie es früh morgens in einem OP-Bereich zugeht. Da kommt es vor, dass der Anästhesist nicht zur selben Zeit eintrifft wie der Chirurg, dass noch keine Sanitäter da sind, und die Operation deshalb 50 Minuten später anfängt als geplant. Wir müssen uns alle besser organisieren. Das nenne ich "die Wiedereroberung der verlorenen Zeit". Es geht also nicht nur um die Ausgleichstage.
    Der Generaldirektor habe am Freitag in der Uniklinik Cochin vorbeigeschaut und auch mit ihrer Gewerkschaft gesprochen, um die Stimmung zu testen, sagt Marise Dantin von der linken CGT. Sie habe ihm erklärt, dass die geplante Neuorganisation der Arbeitszeiten ausschließlich zu Lasten der Arbeitnehmer gehen werde.
    Frustrierte Krankenpfleger
    "Wir sollen also täglich zehn Minuten kürzer arbeiten, aber diese zehn Minuten werden wir nie zu Gesicht bekommen. Viele von uns arbeiten ja heute schon 10 bis 15 Minuten länger, diese Zeit schenken sie dem Krankenhaus. Die Angestellten schauen nicht auf die Uhr, wenn sie pflegerisch tätig sind. Er will an der falschen Stelle sparen."
    Der Krankenpfleger Francisco Neves Dacosta stimmt ihr zu:
    "Wir haben unseren Beruf aus Überzeugung gewählt, aus Gründen der Menschlichkeit, nicht um viel Geld zu verdienen. Aber jetzt wird es uns ganz und gar unmöglich gemacht, diesen Beruf nach menschlichen Werten auszuüben. Ich rate jedem jungen Menschen ab, heute noch Krankenpfleger zu lernen."