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Paritätischer Gesamtverband warnt vor Stromarmut

Angesichts steigender Strompreise hat der Paritätische Wohlfahrtsverband die Einführung einer Energiekomponente beim Wohngeld gefordert. Nebenkosten machten bereits bis zu 30 Prozent der Miete aus, warnte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Insbesondere bei Hartz-IV-Beziehern seien die Stromkosten regelmäßig zu gering kalkuliert.

Ulrich Schneider im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.10.2012
    Tobias Armbrüster: Seit gestern ist es also raus: Die Ökostrom-Forderung soll ab dem kommenden Jahr auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde steigen. Bislang lag diese Umlage noch bei 3,5 Cent. Alles in allem also eine Steigerung um knapp zwei Cent. Das klingt nach einem winzigen Betrag, es könnte aber für viele Haushalte bedeuten, dass sie 100 Euro und mehr im Jahr für ihre Stromrechnung drauflegen müssen. In Berlin sorgt das bereits jetzt für politischen Sprengstoff.

    Für Familien könnten die Stromkosten in den kommenden Jahren, in den kommenden Monaten also deutlich steigen. Bei uns am Telefon ist jetzt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Schönen guten Morgen, Herr Schneider.

    Ulrich Schneider: Schönen guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Schneider, müssen wir uns in Deutschland auf Stromarmut einstellen?

    Schneider: Wir haben diese Stromarmut bereits. Nach Auskunft der Verbraucherverbände wurde im letzten Jahr rund 600.000 Haushalten in Deutschland der Strom abgestellt, weil sie ihn nicht mehr bezahlen konnten. Das heißt, wir sitzen bereits mitten drin im Problem.

    Armbrüster: Das heißt, da sind Leute, die können ihre Stromrechnung nicht bezahlen und haben dann auf einmal keinen Strom für Licht, für Herd, für Kühlschrank?

    Schneider: So ist es. Sie sitzen im Kalten im Winter und haben Riesenprobleme, sitzen wortwörtlich und sprichwörtlich im Dunkeln. Das ist ein Riesenproblem, und das hängt damit zusammen, dass die Energiepreise in den letzten zehn Jahren sich fast verdoppelt haben. Jetzt durch die Energiewende wird es noch mal ansteigen. Alleine jetzt, was sie an Umlage neu im nächsten Jahr bekommen werden, bedeutet eine Erhöhung des Strompreises um sieben Prozent noch mal. Und insbesondere Hartz-IV-Bezieher, bei denen regelmäßig die Stromkosten zu gering kalkuliert sind vom Ministerium, und auch bei Wohngeldbeziehern ist das Problem, dass sie nicht mehr wissen, wie sie diese steigenden Energiepreise überhaupt noch auffangen sollen.

    Armbrüster: Mit wie vielen Menschen, die hier Opfer von Stromarmut werden, rechnen Sie da im kommenden Jahr?

    Schneider: Das lässt sich schwer voraussagen. Aber ich denke, klar ist, dass es eher mehr werden als die 600.000 - einfach deshalb, weil die Strompreise weiter zunehmen und wir im Moment noch keinerlei finanzielle Entlastung für diese Haushalte haben. Deswegen haben wir heute zusammen mit dem Mieterbund ein Reformkonzept vorgelegt, Änderungen in Hartz IV, um hier die tatsächlichen Stromkosten auch wirklich aufzufangen, die die Menschen haben, und vor allen Dingen aber eine Reform des Wohngeldes. Beim Wohngeld tun wir ja nach wie vor so, als sei nur die Kaltmiete das Problem, und übersehen wir, dass mittlerweile die Nebenkosten bereits 30 Prozent, bis zu 30 Prozent der Miete ausmachen können. Man spricht von der zweiten Miete, die da fällig wird. Und deswegen sagen wir, wir brauchen dringend im Wohngeld eine Energiekomponente, sodass die Menschen hier auch reagieren können auf die steigenden Strompreise.

    Armbrüster: Wie soll diese Energiekomponente aussehen?

    Schneider: Wir haben das mal durchgerechnet. Wir haben im Moment pro Haushalt im Wohngeld eine Förderung von rund 120 Euro monatlich. Wenn man sich an durchschnittlichen Verbrauchssätzen orientiert, müsste diese Förderung aufgestockt werden je nach Haushalt um 40 bis 60 Euro. Also statt 120 Euro durchschnittlich Wohngeld müssten dann 160 oder 180 gezahlt werden. Dann könnten die Menschen auch tatsächlich die Energiewende mittragen - auch die, die wenig Geld haben.

    Armbrüster: Sie fordern also Nachbesserungen sowohl bei Hartz IV als auch beim Wohngeld?

    Schneider: Ja.

    Armbrüster: Was ist denn mit den Einsparungen? Muss man die Leute nicht vielmehr dazu animieren, Energie zu sparen?

    Schneider: Das ist richtig. Aber dann haben wir zwei Probleme. Erstens: In den einkommensschwachen kleinen Haushalten lässt sich wenig sparen. Da wo sich wirklich sparen lässt, ist bei den Gutverdienern, wo dann in der Garage oder im Keller der zweite Kühlschrank steht, um Getränke kalt zu halten, da, wo die zwei- und dreifachen Stereoanlagen herumstehen und die mehrfachen Fernseher. Da kann man wirklich sparen. Aber bei den kleinen Haushalten ist da wenig zu holen und das, was zu machen wäre, etwa einen energieeffizienteren Kühlschrank sich hinstellen oder bei den Leuchtkörpern zu sparen, das kostet richtig Geld, da muss investiert werden, das haben die Menschen nicht, das ist das Problem.

    Armbrüster: Ich bin mir sicher, dass jetzt viele Leute denken, na gut, die Energiewende wurde uns verkauft, weil wir uns von der Atomkraft unabhängig machen wollen. Wir wollen umsteigen auf erneuerbare Energien. Dafür müssen wahrscheinlich alle Opfer bringen, wahrscheinlich auch die, die weniger haben.

    Schneider: So ist es. Auch die, die weniger haben, das tun sie auch. Wie gesagt, die Strompreise haben sich ja in den letzten Jahren fast verdoppelt. Aber auch ist klar, und ich denke, allen wird klar sein, dass bei der Energiewende keiner zurückgelassen werden darf. Strom und Energie darf nicht zum Luxusgut werden, auch nicht für einkommensschwache Haushalte. Wenn das passieren würde, stünde wahrscheinlich die Akzeptanz der gesamten Energiewende in Deutschland auf der Kippe. Deswegen können wir der Regierung nur raten, schnell zu handeln.

    Armbrüster: Hätte man diese deutliche Steigerung der Energiekosten für die Haushalte, hätte man die nicht auch viel früher absehen können?

    Schneider: Ja, wir haben den Trend ja schon seit Langem und wir müssen uns sogar hier als Paritätischem Wohlfahrtsverband den Vorwurf machen, dass wir im Grunde genommen schon vor ein, zwei Jahren hätten damit rauskommen müssen. Wir hatten das so nicht auf dem Schirm. Erst die Energiewende mit ihren zusätzlichen Belastungen hat praktisch den großen Handlungsbedarf jetzt noch mal allen vor Augen geführt. Im Grunde genommen - da haben Sie völlig recht - kommen wir ein, zwei, drei Jahre zu spät mit unseren Vorschlägen. Aber besser jetzt als gar nicht.

    Armbrüster: War das dann Augenwischerei von Angela Merkel, als sie im vergangenen Jahr gesagt hat, diese Umlage wird nicht steigen?

    Schneider: Ich glaube, man hat die Dynamik unterschätzt der sogenannten freien Marktwirtschaft. Da, wo Geld zu machen ist, und da, wo Subventionen abgeholt werden können, da wird dann auch wahnsinnig investiert, und das hat man, glaube ich, unterschätzt. Man hätte von vornherein, glaube ich, so was wie eine Planung anlegen sollen und nicht einfach dem Spiel der Kräfte das hier überlassen dürfen, was dann letztlich an Subventionen fällig wird. Nun hat man das Problem, man muss rauskommen. Ich denke, man kommt nur raus, indem man die vielfältigen Ausnahmegenehmigungen bei den Umlagen wirklich überprüft und hier gerade auch die Energie stark verbrauchenden Industrien mit beteiligt. Anders wird, glaube ich, die Akzeptanz sehr leiden.

    Armbrüster: Das heißt, die Industrie soll etwas mehr zahlen, die Haushalte dafür weniger?

    Schneider: Ja, so etwa ein Drittel dessen, was wir an Umlage in den Haushalten zahlen auf Strom, zahlen wir deshalb, weil viele Ausnahmegenehmigungen in der Industrie da sind, und ich glaube, das werden die Verbraucher auf Dauer so nicht mitmachen.

    Armbrüster: ..., sagt hier heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Besten Dank, Herr Schneider, für das Gespräch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.