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Park Chan-wook: "Die Taschendiebin"
Ein Film der sinnlichen Gewissheiten

"Die Taschendiebin", das neueste Werk des koreanischen Autorenfilmers Park Chan-wook, stellt die Freude am Zeigen, Betrachten und am Täuschen ins Zentrum eines Liebesthrillers. Ein Film voller Eleganz und Tempo, Drive und Dynamik, findet unser Kritiker.

Von Rüdiger Suchsland | 05.01.2017
    "Die Taschendiebin": Ein opulenter Geniestreich, wie ihn vielleicht nur das asiatische Kino hervorbringen kann.
    "Die Taschendiebin": Ein opulenter Geniestreich, wie ihn vielleicht nur das asiatische Kino hervorbringen kann. (picture alliance / dpa / Cannes Film Festival)
    Der erste Protagonist des Films ist ein geheimnisvolles Haus: Es ist riesengroß, sieht überaus altmodisch aus, und verfügt über mindestens drei strikt getrennte Bereiche: Ein englisch eingerichteter Trakt und ein zweiter, der in japanischer Mode gehalten ist, außerdem ein Keller, in den niemand hinein darf. Das Gebäude gleicht einem Labyrinth mit seinen verwirrend vielen Zimmern und Gängen. Auf den ersten Blick fühlt man sich in eine klassische "Gothic Tale" versetzt, eine Schauergeschichte der Schwarzen Romantik.
    Und auch auf den zweiten. Denn tatsächlich hat der koreanische Autorenfilmer Park Chan-wook mit "Die Taschendiebin" einen Bestseller von Sarah Waters verfilmt: "Solange du lügst" spielt im viktorianischen England, wird hier aber in das vom kaiserlichen Japan besetzte Korea der 1930er-Jahre verlegt.
    Ein Spiel über die Macht der Maskerade
    "Der Tagesablauf der Lady ist simpel. Sie geht entweder spazieren, oder sie liest dem Herren etwas vor." Mit diesem Gebäude legt Park bereits von Anfang an die Struktur seines Films offen: In dem intensiven Liebes-Thriller entfaltet er ein Spiel über die Macht der Maskerade und der Täuschung, voller unvorhersehbarer Wendungen.
    Alles beginnt bereits mit einem Schwindel: Die junge Sokee zieht in das Anwesen, um die darin von ihrem Onkel, einem berühmten Büchersammler, bewachte Hideko, die Erbin eines großen Vermögens, als Dienstmädchen zu umsorgen.
    Hinter Sokee steht jedoch ein Trickbetrüger, dem sie dabei helfen soll, erst Hidekos Herz und Hand zu gewinnen und ihre Dienstherrin anschließend in eine Irrenanstalt einzuliefern. Bald allerdings entstehen zwischen den beiden Frauen Gefühle, die weit über ihr Dienstverhältnis hinausgehen und alle kriminellen Pläne zweitrangig machen.
    "Verdammte Scheiße. Er hatte mir nicht gesagt, dass sie so schön ist." Oder ist auch das nur eine optische Täuschung? Ist alles noch einmal ganz anders?
    Eine Geschichte der Vexierspiele und Perspektivwechsel
    Dies ist, in mehreren Kapiteln erzählt, eine Geschichte der Vexierspiele und Perspektivwechsel, der Wendungen und vielen Überraschungen. Wie die titelgebende Taschendiebin Sooki täuscht auch der Film ein ums andere Mal, bedient sich Finten und Umkehrungen.
    Überaus virtuos erzählt Regisseur Park Chan-wook, der einst mit dem Film "Old Boy" berühmt wurde, im Kern eine komplexe Liebesgeschichte, die er mit dem Sujet eines romantischen Kriminalthrillers verbindet. "Die Taschendiebin" ist ein Film voller Eleganz und Tempo, Drive und Dynamik, getrieben von schöner Musik und bemerkenswerter Inszenierungskunst. Zudem ist eine koreanisch-japanische Liebesgeschichte, noch dazu unter Frauen, in Asien immer noch als solche ein Tabubruch.
    "Was ist nur mit diesen Weibern!"
    Auch hier aber steht, wie meist in Parks Filmen, der Fetischismus im Zentrum. Der des Zuschauers versteht sich: Denn alles hier ist prachtvoll ausgestattet und anzusehen: Die kostbaren Bücher der Bibliothek des Hauses, die Wandgemälde, Möbel und Tapeten, und selbst ein riesiger Octopus, der in einem viel zu kleinen Aquarium im für die Story bedeutenden Keller des Onkels auftaucht. Dies ist auch als lustiges Selbstzitat des Regisseurs herrlich (denn in "Old Boy" wurde ein kleiner Octopus lebendig gegessen). Hinzu kommen die nackten Frauen- und Männerleiber bei den gelegentlichen, vergleichsweise expliziten Sexszenen.
    Ein kluger, facettenreicher Film
    "Es ist mir egal, ob du fluchst oder stiehlst. Doch ich will nicht, dass Du mich belügst."
    Park erfüllt insofern mit diesem Film alle Erwartungen an sein Kino und an das Kino überhaupt: "Die Taschendiebin" argumentiert in Bildern; dies ist ein Film der sinnlichen Gewissheiten, nicht so sehr der intellektuellen Analyse und psychologischen Triftigkeit, die auch die guten Filme europäischer und nordamerikanischer Regisseure oft im ästhetischen Würgegriff hält. Trotzdem ist dies aber nicht nur Oberfläche, sondern ein kluger, facettenreicher Film.
    Übrigens bedeutet der koreanische Titel in wörtlicher Übersetzung "unverheiratete Frau", und bezieht sich insofern im Gegensatz zum internationalen und deutschen Titel auf Hideko - oder zumindest auf beide Hauptfiguren. Dies ist nur ein zusätzlicher Beleg dafür, dass in dieser Art Kino alles im Auge des Betrachters liegt.