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Parlamentskrise
Ukraine sucht nach neuer Regierung

Die Krise der ukrainischen Regierung und des Parlaments verschärft sich. Nachdem es zwischenzeitlich so schien, als hätten die Fraktionen sich auf eine neue Premierministerin geeinigt, ist das Rennen jetzt wieder offen. Und ein Vertrauter von Präsident Poroschenko rechnet sich Chancen aus.

Von Florian Kellermann | 31.03.2016
    Das ukrainische Parlament während einer Abstimmung.
    Die Fraktionen im ukrainischen Parlament taktieren um die Macht. An Reformen ist zurzeit nicht zu denken. (AFP / Sergei Supinsky)
    Seit über einem Monat gibt es im ukrainischen Parlament keine funktionierende Koalition mehr. Die Regierung hat ihre Mehrheit verloren, und das Land wird immer mehr gelähmt. Eigentlich sieht die ukrainische Verfassung für diesen Fall Neuwahlen vor. Doch Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman greift immer wieder tief in die Trickkiste, um das zu verhindern. Nicht ganz uneigennützig: Seine Parlamentsfraktion, die Fraktion des Staatspräsidenten Petro Poroschenko, will ihn zum neuen Ministerpräsidenten machen. Hrojsman erklärte Anfang der Woche:
    "Wenn wir eine neue Koalition schaffen, ein echtes politisches Bündnis, und wenn diese eine neue Regierung wählt, dann werde ich alles für deren Erfolg tun. Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen und meine Erfahrung einzubringen. Ich war 28 Jahre alt, als ich Bürgermeister der Stadt Winniza wurde. Damals war die Lebensqualität dort mit am schlechtesten in der Ukraine. Heute steht die Stadt auf einem Spitzenplatz."
    Winniza ist die Heimatstadt von Staatspräsident Poroschenko, der 38-jährige Hrojsman gilt als dessen politischer Zögling. Winniza geht es vor allem deshalb so gut, weil das Firmenimperium des Präsidenten prosperiert.
    Partei von Tymoschenko würde deutlich zulegen
    Mit Hrojsman als Regierungschef würde die Macht von Poroschenko noch einmal deutlich wachsen. Trotzdem will ihn die Partei des bisherigen Premierministers Arsenij Jazeniuk, die "Nationale Front", mittragen. Denn sie fürchte Neuwahlen am meisten, sagt der Politologe Wolodymyr Fesenko:
    "Neuwahlen würden im Moment den politischen Tod für die Nationale Front bedeuten. Sie würde klar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Viele ihrer Abgeordneten denken deshalb so: Wir können jetzt beleidigt sein, dass wir nicht mehr den Premier stellen. Aber besser ist es, im Parlament zu bleiben - und sogar an der Macht."
    Für eine Mehrheit im Parlament brauchen die Präsidentenpartei und die Nationale Front aber mindestens noch eine politische Kraft. Gespräche laufen mit der Vaterlandspartei der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko. Doch die pokert hoch: Sie würde bei Neuwahlen deutlich zulegen, zeigen Umfragen.
    Korruption durchdringt alle Bereiche des Staats
    Die Koalitionsgespräche sind auch deshalb so kompliziert, weil die westlichen Partner der Ukraine ein Wörtchen mitreden. Das Land ist auf die Kredite vom Internationalen Währungsfonds angewiesen. Vor allem die USA sähen gerne die bisherige Finanzministerin Natalia Jaresko als Regierungschefin, die in Chicago aufwuchs. Sie gehöre keinem Oligarchenklan an und könne deshalb längst überfällige Reformen durchsetzen, sagt Chrystyna Berdynskych, Journalistin des Politmagazins "Neue Zeit":
    "Ihre Regierung wäre unabhängig. Auf sie hätten die sogenannten Oligarchen keinen Einfluss, die Wirtschaft und Parlament kontrollieren. Die Parteien formulieren das so: Sie sind für Hrojsman und nicht für Jaresko, weil er effektiver mit dem Parlament zusammenarbeiten könne."
    Früher oder später werde deshalb die Regierung Hrojsman stehen, meinen Experten. Die Korruption, die weiterhin alle Bereiche des Staats durchdringt, werde sie kaum bekämpfen können, heißt es. Beobachter werfen die Frage auf, ob Präsident Poroschenko das überhaupt wünscht. Der Abgeordnete seiner Partei Serhij Leschtschenko berichtete vor kurzem, Poroschenko persönlich habe ihn gebeten, Mitglieder "seiner Familie" nicht zu kritisieren. Mit "Familie" habe der Präsident unter anderem den ehemaligen Generalstaatsanwalt gemeint, so Leschtschenko.