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Parlamentswahl in Argentinien
Ein Leichenfund verdrängt die Wahlkampf-Berichterstattung

Der argentinische Regierungschef Mauricio Macri hat gute Chancen, die anstehenden Parlamentswahlen zu gewinnen. Sein Regierungsbündnis "Cambiemos" entwickelt sich laut Analysten zur landesweiten Kraft. Überschattet wird der Wahlkampf allerdings vom Tod des Menschenrechts-Aktivisten Santiago Maldonado.

Von Victoria Eglau | 21.10.2017
    Der neue argentinische Präsident Mauricio Macri winkt mit der rechten Hand.
    Der Fund eines toten Menschenrechtsaktivisten weckt böse Erinnerungen in Argentinien, wo zwischen 1976 und 1983 viele Menschen verschwunden sind. Wahrscheinlich wird Amtsinhaber Mauricio Macri die anstehenden Parlamentswahlen trotzdem gewinnen (picture-alliance / dpa / Juan Ignacio Roncoroni)
    Der Enthusiasmus wächst und wächst, er wächst im ganzen Land – solch optimistische Töne schlug Mauricio Macri bei seinem letzten Wahlkampf-Auftritt am Dienstagvormittag in Buenos Aires an. Da ahnte der argentinische Präsident wohl noch nicht, dass am Abend desselben Tages ein Schatten auf die bevorstehenden Parlamentswahlen fallen würde. In einem Fluss im südargentinischen Patagonien wurde eine Leiche gefunden. Unweit der Fundstelle war vor zweieinhalb Monaten ein Mann verschwunden: der 28-jährige Santiago Maldonado.
    Er hatte Zeugen zufolge an einer Protestaktion einer Gruppe von Indigenen teilgenommen, die in einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit der Gendarmerie endete. Maldonados Verschwinden rüttelte Argentiniens Öffentlichkeit auf. Gestern Abend teilte seine Familie mit, der im Fluss gefundene Tote sei Santiago. Doch noch völlig im Dunkeln liegt, wie der Aktivist gestorben ist – das müssen nun Gerichtsmediziner ermitteln.
    "In diesem Land sind viele Menschen verschwunden"
    "Präsident Macri wird mit einem historischen Problem Argentiniens konfrontiert: In diesem Land sind viele Menschen verschwunden, wir haben eine tragische Geschichte. Ich bin nicht sicher, ob die Regierung die nötige Sensibilität für dieses Thema aufbringt", sagt der Meinungsforscher Eduardo Fidanza. Weil der Staat während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 Tausende von Menschen verschwinden ließ, weckte der Fall Santiago Maldonado böse Erinnerungen. Viele Argentinier haben in den vergangenen Wochen demonstriert, um Aufklärung zu fordern – und nicht wenige verdächtigten die Gendarmerie, etwas mit Maldonados Verschwinden zu tun zu haben. Macris Sicherheitsministerin Patricia Bullrich hatte sich von Anfang an hinter diese Polizeitruppe gestellt, doch wirft deren Vorgehen viele Fragen auf.
    Zudem tappt die Justiz seit zweieinhalb Monaten im Dunkeln. Meinungsforscher Fidanza: "Ich glaube, der Fall Maldonado ist ein Symptom eines Landes, dessen Institutionen nicht funktionieren und die Bürger nicht schützen. In Macris Diskurs geht es immer wieder um den notwendigen Wandel. Doch ob er die nötigen, tiefgreifenden Reformen wirklich angeht, oder ob der Wandel nur ein Slogan ist, muss sich erst zeigen."
    "Cambiemos entwickelt sich zur politischen Kraft"
    Der Leichenfund in Patagonien hat die Parlamentswahl fast komplett aus den Nachrichten verdrängt. Die meisten Analysten glauben jedoch, dass Macri wegen des Falls Maldonado keine größeren Einbußen erleiden wird. Sie erwarten, dass die Regierung zumindest ihr Ergebnis der Vorwahlen wiederholen wird: 37 Prozent der Stimmen bekam Macris Mitte-Rechts-Bündnis im August. Der Politologe Julio Burdman von der Universität Buenos Aires:
    "Macris Partei ist in Buenos Aires entstanden, aber bei den Vorwahlen hat sie gezeigt, dass sie auch in anderen Teilen Argentiniens gewinnen kann. Ich glaube, morgen könnten sogar noch mehr Provinzen hinzukommen. Das Regierungsbündnis Cambiemos entwickelt sich zu einer nationalen politischen Kraft."
    Kerzen beleuchten ein Foto des toten Bürgerrechtlers Santiago Maldonado. Auf einem Plakat steht auf Spanisch: "Santiago! Deine Solidarität hat dich zu unser aller Sohn gemacht."
    Die Leiche des im Sommer verschwundenen Aktivisten Santiago Maldonado tauchte vor wenigen Tagen auf. Der Fund verdrängte den Wahlkampf als Topthema in den Medien (dpa / AP / Natascha Pisarenko)
    Für den 2015 angetretenen Präsidenten ist das ein Erfolg. Noch zu Jahresbeginn saß er weniger fest im Sattel – auch wegen der angespannten Wirtschaftslage. Anzeichen einer leichten Konjunktur-Belebung kommen Macris Regierung nun möglicherweise zugute.
    "Aber mein Eindruck ist, dass viele Argentinier Macri ihre Stimme in erster Linie als Vertrauensvorschuss geben, und weniger wegen konkreter politischer Ergebnisse", meint Politologe Burdman.
    Vorgängerin Cristina Kirchner fühlt sich "politisch verfolgt"
    Vertrauen haben einige Argentinier auch in eine alte Bekannte: Macris linksperonistische Vorgängerin Cristina Kirchner. Sie ist im Vorfeld der Parlamentswahl auf die politische Bühne zurückgekehrt und bewirbt sich in der Provinz Buenos Aires für einen Sitz im argentinischen Senat. Umfragen zufolge kann sie mit 35 Prozent der Stimmen rechnen – genug, um Senatorin zu werden.
    Über die zahlreichen Korruptionsverfahren gegen Kirchner und Mitglieder ihrer Regierung berichten vor allem die Macri-freundlichen Medien ausführlich. Sie selbst klagte vor wenigen Tagen: "Wir werden ganz offensichtlich politisch verfolgt, und das Instrument ist die Justiz. Unsere Regierung, die viel Wichtiges für das Land getan hat, wird stigmatisiert."
    Für den Peronismus wird der wahrscheinliche Einzug der Ex-Präsidentin in den Kongress wohl eine Spaltung bedeuten: In eine von Kirchner geführte Fraktion, die einen harten Oppositionskurs fährt, und ein versöhnlicheres Lager, das bereit ist, mit Macris Regierung zu verhandeln.