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Filmfestspiele Venedig
"Joker ist ein Wutbürger und Rechtspopulist"

Der mit Spannung erwartete Thriller "Joker" und die Ideologie seiner Geschichte haben unseren Kritiker nicht völlig überzeugt. Absolut begeistert war er dagegen von völlig neuen Kino-Bildern aus Chile.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Michael Köhler | 02.09.2019
Joaquin Phoenix als "Joker" im gleichnamigen Film von Todd Phillips
Gewalt als Lösung für alles: Joaquin Phoenix als "Joker" im gleichnamigen Film von Todd Phillips (imago / Prod.DB / Warner Bros.)
Kein Superheldenfilm, sondern einer, der dem Kino der Siebziger-Jahre und "New Hollywood" verpflichtet ist – das sei der Blockbuster"Joker", sagte DLF-Filmkritiker Rüdiger Suchsland in "Kultur heute". Regisseur Todd Phillips sei offenbar vor allem ein großer Fan seines legendären Kollegen Martin Scorsese, dessen Filmen "Taxi Driver" und "King of Comedy" er sich verpflichtet fühle. In erster Linie sei der Film aber eine One-Man-Show von Hauptdarsteller Joaquin Phoenix:
"Der hat ja einen sehr eigenen Stil. Natürlich spielt er ganz toll, sehr besonders – aber auch sehr exaltiert. Das ist nicht unbedingt etwas, das mir besonders zusagt, aber das fällt dann vielleicht unter Geschmacksfragen."
Angreifbar sei aber die politisch reaktionäre Agenda des Films:
"Sie setzt darauf, dass Gewalt – auch ziemlich sinnlose Gewalt – und Terror als Lösung aller Mittel propagiert werden, wenn es nur die Richtigen trifft: Wenn man eben Reiche erschießt und solche Dinge macht. Insofern ist dieser ‚Joker‘ hier ein Wutbürger und ein Rechtspopulist – wenn nicht ein Faschist."
Bilder für die Zukunft des Kinos
Sein Lieblingsfilm sei bislang die Produktion "Ema" des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín, so Suchsland:
"‘Ema‘ erzählt von einer jungen Frau. Man weiß am Anfang gar nicht, was mit ihr los ist. Dann bekommt man mit, dass sie Tänzerin ist und dass sie ihren Sohn, den sie adoptiert hatte, wieder zur Adoption freigegeben, also zurückgegeben hat. Und das bereut sie."
Vor allem die Form, in der die Suche nach dem verlorenen Sohn erzählt wird, sei bestechend:
"Ein flanierendes Kino, ein fragmentarisches Kino in vielen kurzen Szenen erzählt. Dominiert auch von der Musik. Dieser Film zeigt uns neue Bilder für eine Zukunft des Kinos zeigt."
Polanski kaum ein Thema
Die Abwesenheit des polnisch-französischen Regisseurs Roman Polanski, dem sexueller Missbrauch von Mädchen und Frauen vorgeworfen wird und dessen neuer Film "J’accuse" in Venedig Premiere hatte, sei beim Festival kaum diskutiert worden, berichtete Rüdiger Suchsland:
"Alberto Barbera, der Festivaldirektor von Venedig, hat ein sehr klares Statement dazu gesagt: Was man Polanski vorwirft, was ja auch von verschiedenen Seiten sehr verschieden bewertet wird, dass das 40 Jahre zurück liegt. Und dass es schon auch darum geht, mal die Dinge hinter sich zu lassen, und Polanski hier natürlich nicht eingeladen ist als moralisches Vorbild, sondern er ist als Filmregisseur eingeladen. Sein Film ist eingeladen."