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Parlamentswahl in Israel
"Netanjahu wird von starken Sprüchen Abstand nehmen"

Benjamin Netanjahu hatte vor der Parlamentswahl mit markigen Sätzen um Wähler des rechten Lagers geworben. Doch er brauche seine internationalen Partner, meint Reinhold Robbe. "Von seinen starken Sprüchen wird er ganz schnell wieder Abstand nehmen", sagte der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft im Deutschlandfunk.

Reinhold Robbe im Gespräch mit Jasper Barenberg | 18.03.2015
    Reinhold Robbe (SPD), Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft
    Reinhold Robbe (SPD), Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (imago/Wiegand Wagner)
    "Netanjahu war schon oftmals in der Lage, sich der veränderten Situation anzupassen", sagte Robbe. Was er an starken Sprüchen von sich gegeben habe, "hätte bei uns kein Politiker überstanden". Die Warnung Netanjahus vor "Massen arabischer Wähler" sei "natürlich eine rassistische Aussage" gewesen. "Es macht deutlich, dass er mit allen Mitteln kämpft, wenn er in Bedrängnis gerät."
    Doch Netanjahu wisse, dass er den amerikanischen Präsidenten genauso brauche wie andere internationale Partner. "Er ist gewieft und taktisch versiert genug, um zu berücksichtigen, dass er mit dieser harten Linie die langen Freunde langfristig nicht gewinnen wird."
    Ergebnis keine Überraschung
    Von dem Ergebnis der Parlamentswahl sei er nicht überrascht, sagte Robbe. "Man muss wissen, dass viele Wähler sich kurzfristig entscheiden." In Deutschland übertrage man seine Denkweise zu schnell auf den Nahen Osten. "Das Parteiensystem ist überhaupt nicht zu vergleichen mit unserer Situation."

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Der konservative Likud schneidet weit besser ab, als zuletzt in den Umfragen erwartet. In letzter Minute schafft Netanjahu die Wende, platzt der Traum von einer linken Mehrheit in Israel. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung der letzten Tage?
    Robbe: Nun, ich verfolge inzwischen 40 Jahre lang die israelische Politik mit den vielen Höhen und Tiefen und vor allen Dingen mit den vielen Überraschungen. Ich persönlich bin im Grunde nicht überrascht von dem Ergebnis. Ich war auch immer im Vorfeld sehr skeptisch, was die Wahlprognosen angeht. Man muss einfach wissen, dass mehr als zehn Prozent, manchmal 14, 15 Prozent - die aktuellen Zahlen kenne ich noch gar nicht - der Wähler sich ganz kurzfristig entscheiden. Wir machen oftmals den Fehler hier in Mitteleuropa, auch in Deutschland, dass wir unsere Denkweisen und unsere Form von Politikgestaltung und auch von Politikauffassung übertragen auf die Situation im Nahen Osten. Das ist ein großer Fehler, wenn ich das so sagen darf. Im Nahen Osten ticken die Uhren anders, hier entscheidet man sich auch anders und das Parteiensystem in Israel ist überhaupt nicht zu vergleichen mit unserer Situation.
    Barenberg: Zuletzt hatte Netanjahu ja noch mal scharfe Töne angeschlagen. Er hat nicht nur eine klare Absage an einen Palästinenserstaat erteilt. Jedenfalls in seiner Amtszeit würde es das nicht geben. Er hat auch noch am Wahltag vor Massen arabischer Wähler gewarnt und er meint damit israelische Staatsbürger. Diese Linie, wird das die neue Politik der israelischen Regierung sein?
    Robbe: Nun, da kann ich natürlich auch nur Netanjahu an dem messen, was er in der Vergangenheit gemacht hat, und er war schon oftmals in der Lage, sich ganz schnell den veränderten politischen Situationen anzupassen. Und das, was er an starken Sprüchen, so will ich es mal bezeichnen, gerade in den letzten Tagen von sich gegeben hat, was bei uns zum Beispiel kein Politiker überstanden hätte, um es deutlich zu sagen, davon wird er ganz schnell wieder Abstand nehmen, nach meiner Einschätzung, und wird so tun, als wenn das nie gesagt worden wäre.
    "Eine Aussage weit unter der Gürtellinie"
    Barenberg: War das rassistisch, was er da gesagt hat über die arabischen Wähler?
    Robbe: Natürlich war das eine rassistische Aussage. Aber das ist ihm auch schon intern, also in Israel selber, gestern von führenden Politikern vorgeworfen worden, dass so eine Aussage natürlich weit unter der Gürtellinie anzusiedeln ist und normalerweise überhaupt nicht geht. Aber das macht auch deutlich, wie Netanjahu in der Lage ist, wenn er in Bedrängnis gerät, dann mit allen Waffen zu kämpfen und alle Mittel anzuwenden. Noch einmal: Ich warne davor, die Situation in Israel in irgendeiner Weise mit Szenarien bei uns zu vergleichen. Wir haben dort eine andere Situation und das macht sich nicht zuletzt auch daran deutlich, was Ihr Korrespondent gerade schon ausgeführt hat, dass nämlich der Präsident selber, der Staatspräsident davor warnt, dass diese Gesellschaft in zwei Teile zerfällt und dass hier auch Menschen ausgegrenzt werden. Natürlich bereitet das allen Sorge, am meisten denen, die natürlich jetzt zu den Wahlverlierern gehören in Israel.
    Barenberg: Für wie groß halten Sie diese Kluft und für wie schwierig für die Zukunft des Landes? Es hat ja Proteste gegeben gegen steigende Immobilienpreise, gegen steigende Lebenshaltungskosten. Das hat sich jetzt im Wahlergebnis ein Stück wiedergespiegelt, aber jedenfalls nicht in einer Mehrheit, die daraus resultieren würde. Aber ein Problem ist es in Israel schon?
    Robbe: Ja, absolut! Letzten Endes spielt auch bei den vorangegangenen Wahlen - nicht zuletzt ist deswegen Netanjahu auch jetzt zum vierten Mal in die stärkste Position gewählt worden - das Thema Sicherheit, spielt das Thema existenzielle Not eine herausragende Rolle, und das kann nur derjenige beurteilen, der das Land wirklich kennt, der die Gesellschaft kennt, der die Menschen kennt, der vor Ort weiß, mit welchen Herausforderungen es dieses Land nicht erst seit heute, sondern seit Jahrzehnten zu tun hat. Das ist das Thema. Dieses Land steht jeden Tag vor existenziellen Fragen, wenn es sich anschaut, was in den Nachbarländern los ist. Das wird leider bei uns nicht so berücksichtigt, wie das eigentlich sein müsste. Deswegen kommt es da an dieser Stelle auch oftmals zu Fehleinschätzungen.
    "Eine Große Koalition ist nicht die Lösung"
    Barenberg: Wir haben in den letzten Monaten viel darüber berichtet, wie wenig Netanjahu von den Verhandlungen mit dem Iran hält. Wir haben jetzt von ihm gelernt - manche sagen, da ist jetzt die Maske gefallen -, dass er Abstand nimmt von der Idee, von der Grundidee einer Zwei-Staaten-Lösung. Die Kritiker sagen ja, in den letzten Jahren hat Benjamin Netanjahu Israel außen- und innenpolitisch in eine Sackgasse manövriert, international isoliert. Ist das der Weg, den wir jetzt vor uns haben?
    Robbe: Dieses vorauszusagen, ist heute sehr schwierig. Ich bin kein Prophet. Aber Netanjahu weiß natürlich auch, dass er gerade die amerikanische Regierung, auch den amerikanischen Präsidenten dringend braucht, um erstens die Sicherheit, die elementaren Eckpunkte der Sicherheit in Israel in Zukunft sicherzustellen und abzubilden, das heißt ganz konkret die Unterstützung zu bekommen, die Israel absolut benötigt. Und er weiß auch, gerade mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland, dass er die anderen Partner benötigt, diejenigen, die aus geschichtlichen Gründen, aus anderen Gründen heraus ein enges Verhältnis zu Israel haben. Und Netanjahu ist auch gewieft und taktisch versiert genug, um zu berücksichtigen, dass er es in Zukunft mit dieser, ich sage mal, harten Linie nicht schaffen wird, die Freunde langfristig für sich zu gewinnen. Meine zusammengefasste Analyse im Augenblick ist: eine außerordentlich komplizierte Situation. Es wird jetzt sehr darauf ankommen, wie sich hier eine Regierung bildet. Eine Große Koalition, die von einigen präferiert wird, ist nach meiner Einschätzung nicht die Lösung, weil das einen Stillstand in vielen, vielen Fragen, nicht nur in sicherheitspolitischen, sondern auch in sozialen Fragen bedeutet. Wir werden sehen, welche Empfehlung der Staatspräsident jetzt gibt, und vor allen Dingen, wie Mosche Kachlon, der Vorsitzende der neuen Kulanu-Partei, die sehr gut abgeschnitten hat und wahrscheinlich auch Zünglein an der Waage sein wird, wie Kachlon sich in dieser Situation entscheidet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.