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Parlamentswahl in Weißrussland
Kaum Chancen auf politische Veränderung

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko ist seit 22 Jahren im Amt. Und es besteht wenig Hoffnung, dass sich daran bei den Parlamentswahlen am 11. September etwas ändert. Der Grund: Eine Opposition im Land ist faktisch nicht vorhanden.

Von Florian Kellermann | 09.09.2016
    Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko
    Der weißrussische Präsident Lukaschenko hat es durch Unterdrückung seiner Gegner geschafft, dass aktuell kein Oppositioneller im Parlament sitzt. (Imago)
    Ein kleiner Vergnügungspark im Herzen von Minsk, mit Karussells, einem Hau-den-Lukas und Riesenrad. Und einem Zeichner. Ein junges Paar sitzt auf der Parkbank und lässt ein Porträt von sich anfertigen. Die Frage, ob sie am Sonntag zur Wahl gehen würden, finden alle drei amüsant.
    "Ehrlich gesagt: Nein. Die Wahlen ändern doch überhaupt nichts. Wir hatten schon so viele Wahlen, nie hat sich etwas geändert. Die Staatsführung bestimmt letztendlich, wer im Parlament sitzt."
    Schachriar schaut skeptisch auf die Zeichnung von sich und seiner Freundin. Ja, es gebe viel, was sich ändern müsste, meint der 21-Jährige.
    "Die Mächtigen beugen die Gesetze hier, das ist das eine. Das andere ist die Wirtschaft, sie liegt am Boden. Die Leute arbeiten für 200 bis 300 Euro im Monat. Ich war einige Jahre im Ausland und werde wieder weggehen."
    Nicht viel anders sieht es der Zeichner, der 60-jährige Grigorij. Er fügt noch hinzu, dass auch die weißrussische Opposition nichts tauge, wie er meint. Sie mache ja keine konstruktiven Vorschläge.
    Politik findet öffentlich kaum statt
    Das ist allerdings auch schwierig, denn Politik findet in Weißrussland öffentlich kaum statt. Es sind noch zwei Tage bis zur Abstimmung, und in Minsk gibt so gut wie keine Wahlplakate und nirgendwo auf einem der zentralen Plätze auch nur einen Wahlkampfstand. Einzig Plakate mit einem Aufruf, doch zur Wahl zu gehen, sind vereinzelt zu sehen.
    Auch Andrej Dmitriew, parteiloser Oppositionskandidat mit linksliberalem Profil, ist nicht bei den Wählern, sondern in seinem Büro anzutreffen.
    "Ich habe in meinem ländlichen Wahlkreis über 100 Dörfer besucht und bin von Tür zu Tür gegangen. Und ich habe einen Auftritt von fünf Minuten im Staatsfernsehen bekommen. Aber jetzt verwenden die Oppositionskandidaten und ihre Helfer ihre Kräfte auf die Wahlbeobachtung. Denn de facto haben die Wahlen längst begonnen, sie dauern bei uns sechs Tage."
    Manipulationen befürchtet
    Tatsächlich können die Bürger ihre Stimme schon vorzeitig abgeben, ganz regulär im Wahllokal. Das mache es der Staatsmacht leichter zu manipulieren, meint Dmitriew. Sie könne in den Wahlkreisen, wo es nötig ist, einfach zusätzliche Stimmen für den jeweiligen Regierungskandidaten ins Protokoll schreiben. Belege dafür sammeln die Beobachter der Bürgerinitiative "Sag die Wahrheit". In einem Wahlkreis etwa haben sie bisher nur 30 Menschen ins Wahllokal gehen sehen, offiziell sollen dort aber schon über 200 abgestimmt haben.
    Solche Tricks wandte die Regierung schon vor vier Jahren an, deshalb sitzt derzeit kein einziger Oppositioneller im Parlament. Trotzdem glaubt der Kandidat Andrej Dmitriew an seine Chance:
    Sieg der Demokraten unwahrscheinlich
    "Wenn die Staatsmacht sieht, dass die Gesellschaft nach einer Alternative verlangt, dann kann sie das nicht ignorieren. Das gilt vor allem dann, wenn die demokratischen Kandidaten mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen sollten."
    Das aber halten Experten für unwahrscheinlich. Nut etwa 30 Prozent der Bürger seien bereit, für einen Oppositionskandidaten zu stimmen, meint der Politologe Valerij Karbalewitsch. Dem Regime von Präsident Lukaschenko sei es gelungen, sich als einzige ernst zu nehmende politische Kraft darzustellen.
    "Es kann aber sein, dass die Staatsmacht aus einem anderen politischen Motiv heraus diesmal einige Oppositionelle ins Parlament lässt. Sie könnte dann der Europäischen Union sagen: Seht her, es gibt bei uns einen Fortschritt in Sachen Demokratie. Denn die Regierenden wollen die Beziehungen zum Westen weiter normalisieren."
    Einen ersten Schritt in diese Richtungen ging die Regierung in Minsk schon im vergangenen Jahr. Sie ließ politische Gefangene frei. Und auch aus dem Westen kommen Signale für bessere Beziehungen. Gerade beschloss die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, dass sie verstärkt Projekte in Weißrussland fördern will. Tonangebend in dieser Entwicklungsbank sind die USA und die EU. Noch lieber aber hätte der weißrussische Präsident Lukaschenko einen Kredit vom Internationalen Währungsfonds, mit dem er seit zwei Jahren verhandelt.
    Ob er dafür bereit ist, sich künftig von der Parlamentstribüne wieder Kritik anzuhören, wird sich am Montag zeigen, wenn die Ergebnisse der Wahl veröffentlicht werden.