Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Parlamentswahlen in Großbritannien
Plötzlich berühmt dank Tories

Eigentlich wollte ein britischer Blumenverkäufer nur enttäuschte Bürger nach den Parlamentswahlen aufmuntern. Er stellte ein Schild auf und bat Tory-Wähler darum, beim Blumenkauf etwas mehr zu zahlen - als Wiedergutmachung für den von den konservativen Wahlsiegern geplanten Sparkurs. Jetzt kann sich Matt Woodruff vor Anfragen kaum retten.

Von Ruth Rach | 15.05.2015
    Orangefarbene Rosen
    Alle seine Kunden, die bei den Parlamentswahlen Tory gewählt hätten, sollten doch bitte zehn Prozent mehr bezahlen, forderte Matt Woodruff aus Lewes. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Ob Mehltau, Rebläuse oder Rosenrost, Matt Woodruff gibt Rat. Vor acht Jahren übernahm er die Kleingärtnerei seines Vaters im südenglischen Städtchen Lewes. Inzwischen kennt er seine Kunden mit Namen und ist auch mit ihren Seelenzuständen bestens vertraut. Und so konnte er es einfach nicht mit ansehen, wie mutlos sie nach den Parlamentswahlen an seiner Gärtnerei vorbei schlichen.
    Viele Leute waren geschockt, sie wussten sich gar nicht mehr zu helfen, erzählt der Gärtner. Ganz klar, etwas musste geschehen. Und so zog Matt Woodruff eine lange schwarze Schultafel aus dem Schuppen, griff zur Kreide und komponierte eine Mitteilung: Halb ernst, sagt er, und halb im Spaß.
    Alle seine Kunden, die bei den Parlamentswahlen Tory gewählt hätten, sollten doch bitte zehn Prozent mehr bezahlen, schließlich würden arme Leute – wie er - unter den geplanten Sparmaßnahmen der Konservativen besonders stark leiden, so seine Botschaft.
    Unerwarteter Ansturm
    Kaum hatte Matt Woodruff die Tafel aufgestellt, schon strömten ihm die Leute zu. Zum Blumenkaufen und zum Diskutieren. Bislang hatten sich die Bewohner von Lewes für grün beziehungsweise linksliberal gehalten. Niemand hatte damit gerechnet, dass ihr beliebter liberaldemokratischer Abgeordnete Norman Baker seinen Sitz verlieren würde - und ausgerechnet an eine Konservative, die ein bisschen wie Margaret Thatcher aussieht! Zum Glück wird Baker weiterhin zu hören sein, er spielt nämlich schon seit Jahren im "Reform Club", einer flotten Musikband in Lewes.
    Aber nun hat das Städtchen in Matt Woodruff einen neuen Lokalhelden gefunden. Passanten schütteln ihm die Hand, klopfen ihm auf die Schulter, ein Kunde kommt fast 100 Meilen angefahren und schwört, er werde seine Pflanzen künftig nur noch bei Matt einkaufen.
    Weltweite Bekanntschaft
    Inzwischen ist die Botschaft des Gärtners um die halbe Welt gegangen. Vor allem dank der sozialen Medien, mit denen er selbst überhaupt nichts am Hut hat. Matt Woodruff hat Hunderte von E-Mails und Telefonanrufen erhalten. In den Tageszeitungen erscheinen Interviews, selbst aus Japan, und Australien kommen Anfragen.
    Die meisten Leute reagieren positiv, erzählt Matt. Viele wollten auch wissen, was er von dem veralteten britischen Wahlsystem hält, und wie er die Zukunft von Labour einschätzt. Die Labour-Partei sollte sich radikal auf ihre linken Wurzeln besinnen, um den Wählern eine echte Alternative zu bieten, findet Matt und erzählt, Hunderte von Leuten stimmten ihm zu. Aber so ein Kurswechsel sei ziemlich illusionär.

    Matt Woodruff grinst: ein stinknormaler Typ um die 40, mit einem freundlich zerfurchten Gesicht. Dass seine kleine Aktion mit einer simplen Schultafel eine globale Resonanz hat, findet er reichlich amüsant.
    Ich hoffe, dass die Leute die Sache nicht allzu ernst nehmen, sagt eine besorgte Stammkundin. Denn Matt wird auch immer wieder beschimpft. Ein anonymer Anrufer hat gedroht, seine Gärtnerei in Brand zu stecken. Ein anderer will ihn vor Gericht zerren. Aber Matt lässt sich nicht einschüchtern. Rechtsextreme Typen hätten, so meint er, einfach keinen Humor.
    Klare Worte
    Die Spezies 'scheuer Tory' kommt in seiner Verlautbarung besonders schlecht weg. "Shy Tories", sind laut Matts Definition wohlhabende Feiglinge, die sich vor jeder politischen Diskussion drücken, und klammheimlich konservativ wählen, weil sie um ihre Privilegien fürchten. Unter seinen Kunden habe es sicher etliche 'shy tories' gegeben, bislang jedenfalls, meint Matt. Seit er das Schild aufstellte, hat sich nur ein scheuer Tory geoutet, – aber erst, nachdem er für sein Olivenbäumchen bezahlt hatte. Zu spät, um die extra 10 Prozent draufzuschlagen.
    Inzwischen hat Matt Woodruffs Aktion auch in anderen Teilen Großbritanniens Nachahmer gefunden. Eine Cafébesitzerin forderte ebenfalls scheue Tories auf, Farbe zu bekennen und zehn Prozent 'Schmerzensgeld' zu zahlen. Matts Tafel wurde fast gestohlen. Seitdem verstaut er sie wieder im Schuppen. Eventuell möchte er sie versteigern. Und das Geld für den maroden Britischen Gesundheitsdienst spenden.