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Parlamentswahlen in Kasachstan
Ein abgekartetes Spiel?

Verglichen mit seinen zentralasiatischen Nachbarstaaten kommt Kasachstan als Hort der Stabilität daher. Obwohl in dem Land viele Völker leben, gab es dort nie einen Bürgerkrieg. Am Sonntag finden nun vorgezogene Parlamentswahlen. Doch auch wenn das Ergebnis feststehen dürfte - unter der Oberfläche zeigen sich einige Verschiebungen.

Von Gesine Dornblüth | 19.03.2016
    Kasachstans Präsident Nurzultan Nazarbajew, älterer Mann im Anzug sitzt an einem Tisch auf einem goldenen Stuhl, vor einem Mikro, im Hintergrund bunte Flaggen
    Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew lässt schon wieder wählen. (imago/stock&people/ITAR-TASS)
    Vor einem Jahr war es ganz ähnlich. Im April 2015 standen in Kasachstan Präsidentschaftswahlen an. Auch der Termin war vorgezogen. Der Wahlkampf verlief schlapp, die Kasachen interessierten sich nicht besonders dafür. Wen man auch fragte – die meisten wollten ohnehin für den Amtsinhaber stimmen, für Nursultan Nasarbajew. Er regiert den zentralasiatischen Staat seit der Unabhängigkeit 1991. Zu Sowjetzeiten stand er an der Spitze der Kommunistischen Partei. Alina, eine Studentin, vor einem Jahr in einem Café in der Hauptstadt Astana über die Wahl:
    "Die Leute hier fürchten jede Art von Veränderungen. Natürlich kennen alle bereits das Wahlergebnis. Der Präsident verspricht, auch weiterhin für Stabilität zu sorgen. Alles Neue bedeutet ein Risiko."
    Nasarbajew hatte damals argumentiert, die vorgezogene Wahl sei nötig, um die Gesellschaft zu konsolidieren und um angesichts der globalen Wirtschaftskrise unpopuläre Reformen durchsetzen zu können. Die Rechnung ging auf, Nasarbajew erhielt 97,7 Prozent der Stimmen, ein Rekordergebnis. Reformen blieben danach allerdings aus.
    Das Argument dringend nötiger Reformen ist nicht von der Hand zu weisen
    Vor der morgigen Parlamentswahl werden nun genau die gleichen Argumente wieder angeführt. Eigentlich hätte das bestehende Parlament noch bis Anfang 2017 arbeiten sollen. Doch wieder heißt es, Reformen seien nötig. Dazu müsse man zusammen stehen. Zugleich heißt es, im Parlament würden neue Kräfte gebraucht. Ein durchschaubares Manöver, meint der unabhängige Zentralasienexperte Arkadij Dubnow aus Moskau.
    "Das ist ein ziemlich abgekartetes Spiel, und es hat keinen besonderen Einfluss auf die reale Politik, denn die wird in Kasachstan von einem Menschen gemacht: Dem Präsidenten oder 'Führer der Nation', wie er offiziell heißt.
    Die Parlamentswahl ist eine polittechnologische Operation, die von realen Problemen ablenken soll. Sie ermöglicht es Nasarbajew zu sagen: Schaut, ich habe erneut das Vertrauen der Kasachen, und alles, was ich mache, ist Ausdruck des Wählerwillens."
    Dabei ist das Argument dringend nötiger Reformen nicht von der Hand zu weisen. Kasachstans Wirtschaft leidet unter dem niedrigen Ölpreis. Die Krise in Russland und der schwache Rubel ziehen den zentralasiatischen Nachbarn mit in den Abgrund. Der Wert des Tenge, der Nationalwährung, hat sich im Laufe eines Jahres halbiert und sinkt weiter. Die Weltbank sagt Kasachstan ein Wirtschaftswachstum von nur gut einem Prozent im Jahr 2016 voraus. Doch trotz dieser Probleme ist vom Wahlkampf kaum etwas zu merken. Sechs Parteien treten an. Bisher stellte die Regierungspartei "Nur Otan", "Strahlendes Vaterland", 83 der 98 Sitze. Daneben waren zwei vordergründig oppositionelle Parteien vertreten. Für den Zentralasienexperten Arkadij Dubnow steht das Ergebnis der Wahl schon fest.
    Das autoritäre Regierungsmodell ist typisch für Zentralasien
    "Alle wissen, dass "Nur Otan" wieder die absolute Mehrheit bekommt. Ich denke, es werden 80 bis 90 Prozent. Von den sechs Parteien kommen vielleicht drei ins Parlament. Und die machen keine echte Oppositionsarbeit, sie imitieren parlamentarischen Pluralismus."
    Das autoritäre Regierungsmodell ist typisch für Zentralasien und darüber hinaus. In Aserbaidschan ging das Präsidentenamt von Heydar Alijew an seinen Sohn Ilham über. Nursultan Nasarbajew wolle einen anderen Weg gehen, heißt es in Kasachstan. Möglicherweise spielt das Parlament dabei eine Rolle. Nasarbajew bereite die Machtübergabe bereits vor, versichert Sajasat Nurbek. Er leitet das Politik-Institut der Nazarbajew-Partei "Nur Otan".
    "Wir haben einige Konturen, einen grundsätzlichen Entwurf, wie der Übergang vor sich gehen kann. Es wäre logisch, die Machtübergabe über starke Institutionen zu regeln, über eine starke Partei, Nur Otan."
    Die Journalistin Guljan Ergaliyeva, Nasarbajew gegenüber eher kritisch eingestellt, bestätigt das indirekt:
    "In Kasachstan gibt es ein Clansystem. Nasarbajew kontrolliert die Clans. Wenn ihm etwas zustößt, werden diese Clans anfangen, um die Macht zu kämpfen. Seine Aufgabe ist es jetzt, die Clans so aufzustellen, dass sie nicht mehr miteinander streiten. Es soll ein neues Parlament geben mit Parteien, die die Interessen der Clans vertreten. Das wird eine Art kollegiale Führung Kasachstans werden, bestehend aus fünf, sechs Clans, denen er das Land übergibt. Er wird sagen: Streitet euch nicht, du wirst das haben, du jenes. Und nach außen wird es aussehen wie Parlamentsarbeit."
    Parlamentswahl die Vorstufe zu Veränderungen in Kasachstan?
    Doch möglicherweise hat Nasarbajew bereits nicht mehr alle Fäden in der Hand. Im Februar sorgte die Verhaftung eines bekannten Journalisten für Aufsehen. Seitkazy Matajew ist Vorsitzender des kasachischen Journalistenverbandes. Repressionen gegen unabhängige Medien gehören in Kasachstan zur Tagesordnung. Matajew jedoch gilt als Autorität und genießt auch in der Regierung Ansehen. Rund 400 Journalisten protestierten in einem Brief an Präsident Nasarbajew gegen die Verhaftung. Nach Ansicht des Moskauer Zentralasienexperten Arkadij Dubnow zielte die Verhaftung Matajews darauf, den Präsidenten zu diskreditieren.
    "Nasarbajew ist in einer schwierigen Lage, sein Umfeld wird immer schwieriger zu kontrollieren. Es gibt Grund zu der Annahme, dass er in gewisser Weise Geisel des Umfelds ist. Diese Tendenz ist alarmierend."
    Durchaus möglich also, dass die nach außen hin langweilige Parlamentswahl eben doch Vorstufe zu Veränderungen in Kasachstan ist.