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Parteienforscher: Piraten haben Großteil ihres politischen Kredits verspielt

Der Politikwissenschaftler Alexander Hensel bezweifelt, dass die Piraten vom NSA-Abhörskandal profitieren können. Dafür fehle es an Empörung in der breiten Gesellschaft. Zugleich falle es der Partei durch ihre dezentrale Struktur schwerer im Wahlkampf zu reagieren.

Alexander Hensel im Gespräch mit Mario Dobovisek | 12.07.2013
    Mario Dobovisek: Wir wollen beim Thema bleiben: bei den Piraten. Wir sprachen mit den Piraten, wir wollen auch über die Piraten sprechen. Am Telefon an der Universität in Göttingen hat mitgehört der Politikwissenschaftler Alexander Hensel. Guten Morgen, Herr Hensel!

    Alexander Hensel: Guten Morgen!

    Dobovisek: Der Blogger Sascha Lobo schreibt, "für die Piraten ist Prism", also der Abhörskandal, "ein Elfmeter vor leerem Tor, Rückenwind, abschüssiger Platz. Warum befürchtet man trotzdem, dass sie verfehlen?" In der Tat scheint es so, dass die Piraten erst langsam in Sachen Datenskandal Fahrt aufgenommen haben, und in den Umfragen dümpeln sie weiter bei zwei bis drei Prozent herum. Machen die basisdemokratischen Strukturen die Partei träge?

    Hensel: Ich habe leider Ihre Frage gerade nicht ganz gehört. Aber wenn es um die basisdemokratischen Strukturen geht, die sind im Wahlkampf natürlich schwierig. Basisdemokratische Strukturen versuchen, möglichst viele Menschen mit einzubeziehen. Das dauert natürlich tendenziell länger. Die Piraten wollen gerade keine zentralisierte und strukturierte politische Führung haben, und von daher sind sie natürlich ein wenig träger als eine sehr fokussierte, auf Effizienz ausgerichtete politische Organisation zum Beispiel.

    Dobovisek: Wir haben jetzt viele Punkte vom Parteichef, von Bernd Schlömer gehört, auch in Sachen Datenschutz und Datensicherheit. Warum ist offenbar kaum jemand bereit, der Piratenpartei zuzuhören?

    Hensel: Ich denke, das liegt einmal an der Situation der Piraten selbst. Die Piraten haben im letzten Jahr natürlich einen großen Teil ihres politischen Kredits verspielt. Es ging die meiste Zeit im letzten Jahr um politische Skandale innerhalb der Piratenpartei. Insgesamt haben die Piraten aber natürlich auch ein einfaches strukturelles Problem, was natürlich auch typisch ist für so kleine Parteien wie die Piratenpartei. Sie kommen erst einmal relativ schwer in die Medien. Das sah man jetzt in dem Überwachungsskandal. Die Piraten haben eine ganze Weile gebraucht, bis sie mit ihren verschiedensten Aktionen, mit ihren Forderungen, mit ihren Initiativen in die Massenmedien hineingekommen sind. Aber gerade diese Repräsentation in Massenmedien ist natürlich von sehr hoher Bedeutung, um die Anliegen und möglicherweise auch die Wut, die man über ein Thema hat, der Öffentlichkeit zu vermitteln.

    Dobovisek: Die Transparenzdebatte um Abgeordneteneinkünfte vor ein paar Monaten haben die Piraten klar verschlafen. Ist das doch eine Art Strukturproblem?

    Hensel: Natürlich sind die Piraten durch ihre Organisation etwas träger als normale Parteien. Hinzu kommt natürlich das Problem, dass die Piraten mittlerweile durch das Mitgliedswachstum, was in den letzten Jahren ja wirklich enorm war, sehr breit aufgestellt sind. Das heißt, sie haben eine sehr große Vielfalt mittlerweile an Themen. Da ist es verbunden mit der Organisation, die ich gerade angesprochen habe, oft schwierig, etwas fokussiert in den Vordergrund zu rücken.

    Dobovisek: Kann die Affäre um Prism und Tempora die Piraten vor der Bundestagswahl noch aus dem Umfragetief holen?

    Hensel: Das ist durchaus eine schwierige Situation erst mal. Ganz kann ich die Frage, glaube ich, nicht beantworten. Ich denke, ein wichtiger Punkt ist, dass bisher die allgemeine Empörung und die Protestbereitschaft in der breiten Bevölkerung zu dem Thema fehlt.

    Dobovisek: Warum ist das so? Verstehen die Internetnutzer die Tragweite nicht, oder ist die möglicherweise auch übertrieben?

    Hensel: Ich denke, dass es insgesamt an verschiedenen Voraussetzungen für einen breiteren Protest bisher fehlt. Einmal geht es natürlich um Betroffenheit und Empörung. Da sieht man: Im Kreis der Internetnutzer, in Foren und so weiter, die etwas spezialisierter sind, da ist die durchaus da. Aber wenn man etwas breiter in die Gesellschaft hineingeht, dann ist das durchaus nicht so klar. Man hört ja immer wieder sehr viele Stimmen, im privaten Umfeld, aber auch in den Medien, die sagen, wenn ich nichts zu verbergen habe, dann ist im Prinzip auch eine Überwachung weiter nicht schlimm. Das heißt, es gibt keine breite Empörung. Andere Faktoren fehlen. Für gelungenen Protest braucht es natürlich auch ein Mindestmaß an Organisation und es braucht vor allem eine Entstehung eines Gefühls einer Wir-Gruppe, also einer Gruppe von Personen, die sich als Träger des Protestes selbst definieren und sich auch gegenüber einem klaren politischen Gegner abgrenzen können. Gerade bei diesem letzten Punkt ist das natürlich in der Überwachungsaffäre relativ schwierig. Das haben wir auch gerade ein bisschen im Interview oder auch in der Anmoderation gehört. Die politischen Gegner sitzen in diesem Fall in Amerika, in Großbritannien vielleicht auch. Die Bundesregierung dagegen ist nur so eine Art indirekter Ansprechpartner, das macht es natürlich wesentlich schwieriger, das politisch zu polarisieren.

    Dobovisek: Alexander Hensel ist Politikwissenschaftler an der Universität Göttingen und war bei uns im Interview. Vielen Dank dafür!

    Hensel: Vielen Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.