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Parteienforscher sieht keine Schwächung der SPD

Die Basis hat der SPD-Spitze bei der Vorstandswahl einen Dämpfer verpasst. Dieser halte sich durchaus im Rahmen, sagt der Parteienforscher Everhard Holtmann. Sollte der Mitgliederentscheid aber tatsächlich in die Hose gehen, dann wäre die politische Handlungsfähigkeit der SPD wahrscheinlich auf Jahre hinaus gelähmt, glaubt Holtmann.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.11.2013
    Martin Zagatta: Die stellvertretende CDU-Generalsekretärin Dorothee Bär macht sich Sorgen, dass die Koalitionsgespräche mit den Sozialdemokraten noch schwieriger werden könnten. Werden diese Koalitionsverhandlungen nun also noch härter? Kann die Große Koalition vielleicht noch scheitern? Wir berichten gleich aus Leipzig vom SPD-Parteitag, dann auch über die Reaktionen in der Union und auch in der Linkspartei, und wir lassen uns das Ganze einschätzen von Everhard Holtmann, Parteienforscher an der Universität Halle-Wittenberg. Guten Tag, Herr Holtmann!

    Everhard Holtmann: Guten Tag, Herr Zagatta!

    Zagatta: Herr Holtmann, dass die SPD-Delegierten ihrer Parteiführung da einen solchen Denkzettel verpasst haben, dass da also auch so viel Missmut über eine große Koalition zum Ausdruck gekommen ist – macht das die Verhandlungen mit der Union jetzt noch schwieriger oder ist das das übliche Parteiengeplänkel, also so eine Art Koalitionspoker?

    Holtmann: Es macht die Verhandlungen sicherlich nicht leichter. Und man kann darin ein Symptom der noch nicht vollendeten Aufarbeitung eines, sagen wir es mal moderat, ernüchternden, sehr ernüchternden Wahlergebnisses sehen und zum anderen die Unsicherheit über das, was da möglicherweise bei den laufenden Koalitionsverhandlungen herauskommen könnte. Durch den Schleier hindurch schimmert sicherlich auch die Unwägbarkeit oder die vermeintliche Unwägbarkeit, wie denn ein Mitgliederentscheid über die Koalitionsverträge denn dann tatsächlich ausgehen könnte. Ich denke aber, hier wird sehr viel spekuliert, denn das, was als vermeintlicher Unwille oder vermeintliche Resistenz der sogenannten Parteibasis häufig thematisiert wird, das ist ja auch als eine Stimmung vermittelt durch die Etagen der innerparteilichen Repräsentation. Und da aus vielen guten Gründen ein solcher parteiinterner Mitgliederkommunikationsprozess eben nicht durch laufende repräsentative Umfragen begleitet wird, stochert man eigentlich, wenn man es genau sieht, im Nebel.

    Zagatta: Geht denn die SPD aus Ihrer Sicht jetzt, was die Koalitionsverhandlungen angeht, geschwächt nach diesem Parteitag oder gestärkt aus diesem Parteitag hervor?

    Holtmann: Also, eine besondere Stärkung vermag ich nicht zu sehen. Auf der anderen Seite: Die sogenannten Dämpfer, die die Spitzenpolitiker bei der Wiederwahl als Vorsitzende, stellvertretende Vorsitzende bekommen haben, die halten sich ja durchaus auch im Rahmen. Ich glaube, man muss sich ein wenig davon befreien, von demokratischen Parteien – zumal in solchen schwierigen Zeiten zwischen den Regierungen – gleichsam realsozialistische Zustimmungsquoten zu erreichen. Also, eine besondere Schwächung sehe ich nicht. Aber auf der anderen Seite – mit diesem Parteitag bleibt ja vieles noch offen. Parteitage sind ja normalerweise so etwas wie gemeinschaftliche Selbstvergewisserungsveranstaltungen, und da gehen viele, da werden viele der Delegierten sicherlich mit dem Gefühl nach Hause gehen, wir wissen eigentlich noch gar nicht so recht, was jetzt kommt. Aber viele werden sich sicherlich auch sagen müssen oder wollen: Sollte denn der Mitgliederentscheid tatsächlich in die Hose gehen, dann wäre die politische Handlungsfähigkeit der SPD wahrscheinlich auf Jahre hinaus gelähmt.

    Zagatta: Die SPD hat ja jetzt in Leipzig auch beschlossen, sich künftig Koalitionen mit der Linkspartei nicht mehr zu verweigern. Ist die Koalition, wie wir das vorhin von Frau Bär von der CSU gehört haben, ist die da jetzt zu Recht sauer, dass dieses Angebot mitten in den Koalitionsverhandlungen kommt.

    Holtmann: Na ja, sie kann das ja nicht mit lautem Beifall hinnehmen. Und das ist nicht so ganz aus der Luft gegriffen, wenn sie das als eine Brüskierung mit den Mitteln der Symbolpolitik der anderen Seite sieht. Auf der anderen Seite, spektakulär ist das ja allemal nicht, denn es wird ja seit Längerem darüber diskutiert, dass ein flexibles Parteiensystem wie das bundesdeutsche auch die Möglichkeit haben muss, bisher nicht realisierte Koalitionsoptionen, zu denen auch Rot-Rot-Grün auf Bundesebene gehört, in Zukunft zumindest in den Kreis der Erwägungen des Möglichen zu ziehen. Man kann, wie gesagt, darüber streiten, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt war, auf der anderen Seite auch wiederum: Es hat sich ja doch wohl eher an die Delegierten des Parteitages in Leipzig gerichtet. Man könnte auch sagen, es ist so eine Art Sedativum, das vom Vorstand dann der möglicherweise unruhigen Basis verabreicht worden ist.

    Zagatta: Die Linkspartei hat zumindest auf diese Weise reagiert, dass sie der SPD jetzt sofort Gespräche auf Spitzenebene angeboten hat. Kann sich die SPD das leisten?

    Holtmann: Nein, das kann sie ganz sicherlich nicht, zumal sich ja an den sachpolitischen Konflikten, die bisher aus Sicht der SPD eine Zusammenarbeit mit der Linken im Bund ausschließen, nichts substanziell geändert hat. Man denke etwa auch an die aus der Sicht der SPD kritischen Positionen der Linkspartei in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik, teilweise auch in der Sozial- und Beschäftigungspolitik. Da hat sich, wie gesagt, ja derzeit nicht viel geändert, und von daher halte ich es auch für ganz und gar unrealistisch, zumal, wenn eine große Koalition zustande kommen sollte, dass ernsthaft daran gedacht wird, während der nächsten vier Jahre über einen Wechsel nach links hin zu spekulieren, und – letzter Punkt dazu – dabei macht man ja zunächst einmal dieses Rechenspiel ohne die Grünen, die man ja dazu braucht. Und ob die Grünen sich dazu nach der Lage der Dinge bereitfinden würden, das halte ich auch für eine sehr ungewisse Perspektive.

    Zagatta: Gehen Sie nach dem jetzigen Stand der Dinge davon aus, dass diese Große Koalition auf alle Fälle zustande kommt? Heute wird ja weiter verhandelt.

    Holtmann: Auf alle Fälle wird man nie sagen müssen und dürfen, aber es gibt meines Erachtens ein realistisches Fenster für die Verwirklichung dieser Großen Koalition, zumal ja auch die Bundeskanzlerin angedeutet hat, dass es in den Positionen, Mindestlohn, vielleicht auch doppelte Staatsbürgerschaft, für das Gegenüber auch entsprechende Zugeständnisbereitschaft der Unionsseite geben wird. Also, ich gehe davon aus, dass die noch strittigen sachpolitischen Punkte aus dem Wege zu räumen sind. Eine ganz andere Frage ist es, inwieweit sich diese Große Koalition auf der Basis ihrer stabilen Mehrheit im Bundestag dann auf beispielsweise zukunftsgerichtete Projekte wie die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels ernsthaft einlassen will und kann. Das gehört ja zum Kreis der eigentlichen politischen Herausforderungen der nächsten Zeit. Das heißt, auf der einen Seite ist es rational, sich in den einzelnen Politikfeldern um Lösungen zu bemühen, aber auf der anderen Seite muss, wenn nicht eine Vision, so aber doch ein Grundeinvernehmen oder ein Grundeinverständnis dahin auch erkennbar sein, die eigentlichen elementaren Problemlagen dieser Republik und dieser deutschen Gesellschaft zu erkennen und sie zumindest ansatzweise anzupacken.

    Zagatta: Daran zweifeln ja viele. Was würde denn passieren, wenn die Große Koalition dann doch noch scheitert, also eine Minderheitsregierung der Union gegen den Bundesrat wäre ja wahrscheinlich nicht möglich – würde dann alles auf Neuwahlen hinauslaufen?

    Holtmann: Nach einer gewissen Zeit, denke ich, wären dann Neuwahlen die wohl von allen Seiten ungeliebte, aber doch einzig mögliche Alternative. Eine Minderheitsregierung, geführt von der Union oder verkörpert durch die Union, geführt von Angela Merkel hätte zwar eine Mehrheit, die ja nur ganz knapp unterhalb der Kanzlermehrheit im Bundestag ist, aber auf der anderen Seite, Sie haben es erwähnt, der Bundesrat mit seiner rot-grünen Mehrheit wäre ein entsprechendes potenzielles Blockadeinstrument. Und es gehört auch bisher nicht unbedingt zur selbstverständlichen politischen Kultur in Deutschland, dass Minderheitsregierungen in der Lage wären, stabile und vor allen Dingen langfristig stabile Regierungspolitik hinzukriegen. Von daher: Wenn nicht, was ich auch für eher unwahrscheinlich halte, dann doch noch Schwarz-Grün als Ersatzoption wieder ins Spiel gebracht würde, müsste dann die Bevölkerung über kurz oder lang mit Neuwahlen rechnen. Aber da das alle Beteiligten wissen, auch die verhandelnden potenziellen Großkoalitionäre von Schwarz und Rot, halte ich diese Option für vergleichsweise unrealistisch.

    Zagatta: Wer müsste diese Neuwahlen am meisten fürchten? Die SPD, weil sie dann als Verweigerer dasteht, oder wer?

    Holtmann: Das ist noch nicht ganz ausgemacht, denn wenn wir die Nachwahlumfragen, Bevölkerungsumfragen uns ansehen, da hat sich ja bisher noch nicht so sehr viel verändert. Und es ist vielleicht eine der spannenden Fragen, wem dann tatsächlich von den Wechselwählern, von den fluiden Wählern die Verantwortung für dieses Koalitionsbildungsversagen zugeschoben würde. Aber dass die SPD beispielsweise oder auch die Grünen aus Neuwahlen mit einer eklatanten Stärkung hervorgehen würden, dafür spricht meines Erachtens nichts.

    Zagatta: Everhard Holtmann, Parteienforscher an der Universität Halle-Wittenberg. Herr Holtmann, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Holtmann: Bitte schön!

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