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Parteienwechsel
AfD-Aussteiger loben Merkels Flüchtlingspolitik

René Casta und Konstantin Steinitz wollten politisch etwas bewegen, als sie in die Partei die Alternative für Deutschland eintraten. Doch sie wurden enttäuscht. Ausgerechnet das Hassobjekt der AfD, die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, führte beide schließlich wieder zur CDU.

Von Henry Bernhard | 22.12.2016
    Demonstranten der "Jungen Alternative" in Jena wollen Angela Merkel 2017 im Gefängnis sehen – eine Kopie der "Lock Her Up"-Kampagne von Donald Trump gegen Hillary Clinton in den USA.
    Demonstranten der "Jungen Alternative" in Jena wollen Angela Merkel 2017 im Gefängnis sehen – eine Kopie der "Lock Her Up"-Kampagne von Donald Trump gegen Hillary Clinton in den USA. (dpa / picture alliance / Martin Schult)
    "Die Bundeskanzlerin hat die Grenzen geöffnet für viele Menschen, die nicht kontrolliert worden sind. Und die Folge davon sind solche Vorfälle!"
    Nicht nur für Brandenburgs AfD-Chef Alexander Gauland war nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin klar: Angela Merkels Flüchtlingspolitik ist verantwortlich für die Toten. Und noch bevor die Hintergründe überhaupt bekannt waren, hatte der AfD-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell, sein Urteil schon gefällt: "Es sind Merkels Tote", schrieb der Lebensgefährte von Parteichefin Frauke Petry auf Twitter schon eine Stunde nach der Tat. René Casta schüttelt den Kopf, wenn er die Kommentare seiner ehemaligen Parteifreunde hört und liest:
    "Das war nicht das, was wir wollten!"
    15 Monate lang ist der 36-jährige Thüringer René Casta in der AfD gewesen.
    "Der ganze Populismus. Wenn man das gerade aktuell jetzt heute sieht: Es war ein richtiger Schritt aus der AfD zum richtigen Zeitpunkt auszutreten; denn, wer die schlimme Tat in Berlin, dieses Attentat mit dem Lkw, wer sich dann eine Stunde später hinstellt und sagt, ‚Das sind Merkels Tote‘, da merkt man, da läuft was falsch."
    "Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich die AfD selber noch als konservative Partei verstehen kann, wenn da solche Zitate kommen. Es wühlt einen schon ein wenig auf", Konstantin Steinitz, 27, Politik-Student in Erfurt, war auch mal in der AfD.
    "Da werden wir als Gesellschaft angegriffen – und was macht die AfD? Sie teilt gegen diese Gesellschaft aus! Sie sagt, dass die von dem Volk gewählte Regierung Verantwortung an diesem terroristischen Akt trägt! Was wir hier eigentlich bräuchten, wäre doch die Gemeinsamkeit in der Gesellschaft, der Zusammenhalt in der Gesellschaft, die sich gegen diesen Feind, diesen Terrorismus stellt und sagt, dass wir uns durch diesen Terrorismus nicht beeindrucken lassen und nicht runtermachen lassen und nicht in die Furcht treiben lassen. Und die AfD spielt ja diesen Terroristen in die Hände, indem sie eben unsere Gesellschaft auch zum Anlass eines solch grausamen Aktes weiterhin versucht zu spalten."
    "Hier könnte etwas Interessantes entstehen"
    In seiner neunmonatigen Mitgliedschaft hatte es Konstantin Steinitz bis in den Landesvorstand der Thüringer AfD geschafft. Und er war Landesvorsitzender der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD. In einer jungen Partei bekommt man schnell Verantwortung. René Casta ist – noch immer – Mitarbeiter eines Abgeordneten im Thüringer Landtag, der mit der AfD eingezogen ist, der Partei und Fraktion aber ebenfalls längst verlassen hat. Sowohl Casta als auch Steinitz wollten bei ihrem Eintritt in die Partei, die damals noch Bernd Lucke führte, politisch etwas bewirken. Die Alternative für Deutschland sei eine wirkliche Alternative, hatte Steinitz in den Anfängen der Partei noch gehofft:
    "Hier könnte etwas Interessantes entstehen, wenn nicht nur die Idioten eintreten. Und wollen wir doch mal versuchen, gerade hier, in Thüringen, wo es ein bisschen schwerer ist, den Laden auf dem richtigen Weg zu halten. Und das hat mich dann sozusagen motiviert, in die AfD einzutreten."
    René Casta ging es ähnlich:
    "Zu dem damaligen Zeitpunkt habe ich von dieser Ausländerfeindlichkeit, Schwulenfeindlichkeit überhaupt nichts mitbekommen! Ich bin einfach und allein mit dem guten Glauben in die AfD eingetreten, weil ich sozusagen alternativ – also einen Plan B! – Politik machen möchte. Vielleicht auch ein bisschen blauäugig gewesen."
    "Wir wollten nicht Wegbereiter für eine rechtspopulistische Bewegung sein! Und sind es dann im Endeffekt wohl doch geworden!"
    Eintritt bei der CDU
    Steinitz und Casta wurden enttäuscht. Und wollten nicht mehr in dem Landesverband mitmachen, dessen Chef Björn Höcke sich zum strammen Rechtsaußen der Partei entwickelt hatte - und wechselten erst einmal zu Luckes Partei Alfa – eine Art Abklingbecken für enttäuschte und getäuschte AfDler. Aber nur kurz: Ausgerechnet Merkels Flüchtlingspolitik – Hassobjekt der AfD – führte beide schließlich zur CDU.
    "Für mich war der Grund, in die CDU einzutreten, die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel, in der sie ganz klar formuliert hat, dass Europa nicht nur eine Union ist, in der wir einander unsere Banken retten oder eben eine Währungspolitik verfolgen, die vielleicht auch nicht allen nützt, sondern auch eine Politik, in der Staaten – in dem Fall auch unter anderem Griechenland – in einer Lage geholfen wird, in der sie nicht mehr weiterkommen."
    "Frau Merkel hat Europa und der Welt eines bewiesen: Dass sie für die christlichen Werte steht, für das C – Christliche Union! Dafür gilt ihr Anerkennung. Auch vor dem Hintergrund jetzt, was wir an Terroranschlägen und Attentaten. Aber man muss doch das differenzieren – das ist doch nicht die Masse!"
    Für René Casta war es die reumütige Rückkehr in die Partei, die er für den Eintritt in die AfD vor knapp drei Jahren verlassen hatte. Er wurde freundlich wieder aufgenommen. Bei Konstantin Steinitz war es schwieriger:
    "Erstaunlicherweise wurde ich gerade durch jene, die vielleicht in der CDU eher hin zur AfD tendieren, mit denen ich aber gar nicht so viel gemein habe inhaltlich, eher freundlich empfangen. So nach dem Motto: ‚Wir müssen die CDU wieder in irgendeine Richtung lenken, wo sie nie war!‘ Von denen jedoch, die vielleicht ehr hinter Merkel stehen, die hatten anfangs noch ein Problem damit, dass jemand von der AfD in die CDU eintritt."
    Die nächste Bewährungsprobe für die beiden könnte kommen, wenn Angela Merkel irgendwann abtritt.
    "Ich kann diesen Quatsch mit ‚Die Merkel muss weg!‘ nicht mehr hören! Weil: Was kommt nach Merkel? Das ist ja die entscheidende Frage. Und das möchte ich gar nicht wissen, was danach kommt!"
    Die CDU muss sich überlegen, wie sie ihre Leute bei der Stange hält, wenn deren Idole abtreten.