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Parteigründung ALFA
"Die AfD ist entgleist"

Ex-AfD-Chef Bernd Lucke hat die "Allianz für Fortschritt und Aufbruch" (ALFA) gegründet und deren Vorsitz übernommen. Im DLF sagte er, in der AfD hätten inzwischen prorussische Kräfte das Sagen. "Problematische Leute" aus der AfD sollen nicht bei ALFA aufgenommen werden. Lucke betonte die westliche Ausrichtung seiner neuen Partei.

20.07.2015
    Bernd Lucke ist neuer Vorsitzender der "Allianz für Fortschritt und Aufbruch" (ALFA). Die rund 70 Gründungsmitglieder gehören zum Verein "Weckruf 2015".
    Bernd Lucke ist neuer Vorsitzender der "Allianz für Fortschritt und Aufbruch" (ALFA). Die rund 70 Gründungsmitglieder gehören zum Verein "Weckruf 2015". (picture alliance / dpa - Uwe Zucchi)
    Der Vorsitzende der neuen Partei ALFA, Bernd Lucke, sagte, Wolfgang Schäuble sei nicht für ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozonen, einen sogenannten "Grexit", gewesen. Lucke bezeichnete einen temporären Grexit als "skurrile Idee". Wenn es Griechenland dadurch besser ginge, würden das Land nicht gut daran tun, in den Euro zurück zu kehren. Umgekehrt hätten die Euro-Länder im Fall eines Misserfolgs kein Interesse an einer Rückkehr Griechenlands.
    Lucke sagte, Deutschland habe sich nicht nur in der Euro-Frage, sondern auch im Bereich Technologie Fesseln aufgelegt, die einen unheilvollen Weg bedeuteten. In den Bereichen Bio- und Nanotechnologie erschwere insbesondere der Einfluss grüner Politiker die Zukunftsfähigkeit.
    Zur Abgrenzung von ALFA und AfD sagte Lucke: "Die AfD ist entgleist, sie ist zur Pegida-Partei ausgerufen worden und antiwestliche, prorussische Kräfte haben das Sagen übernommen." Er habe nichts gegen "ein vernünftiges Nationalbewusstsein" und wolle nicht Konservatives zurückdrängen, stelle sich aber gegen Islam- und Fremdenfeindliches. Lucke betonte die Verankerung der neuen Partei im westlichen Bündnis und der westlichen Wertegemeinschaft.
    Lucke bestätigte, dass es eine Schwarze Liste für "problematische Leute" aus der AfD gebe, die ALFA nicht aufnehmen werde. Zudem soll es ein Jahr Probezeit für neue Mitglieder geben, die der Partei nicht bekannt seien. Inhaltlich sei ALFA nicht explizit gegen die AfD gerichtet und wolle Wähler aller Parteien gewinnen.

    Das Interview in voller Länge:

    Thielko Grieß: In Kassel saßen sie gestern zusammen, die aus der Alternative für Deutschland ausgetretenen, die Enttäuschten, diejenigen, die mit der Parteiführung unter Frauke Petri Albträume verbinden, aber jedenfalls nicht die Politik, die sie sich einmal vorgestellt haben. Und sie haben es wieder getan, wieder eine Partei gegründet, eine Alternative zur Alternative für Deutschland, sie heißt Allianz für Fortschritt und Aufbruch, abgekürzt ALFA. Der Vorsitzende ist wieder Bernd Lucke. Herr Lucke, guten Morgen!
    Bernd Lucke: Guten Morgen!
    Grieß: Für Sie persönlich ist das ja auch ein neuer Aufbruch und ein neuer Fortschritt. Mit welchem Ziel?
    "Selbst auferlegte Fesseln verstellen unsere Zukunft"
    Lucke: Ja, mit dem Ziel, die ursprünglichen politischen Anliegen der AfD wieder in die Öffentlichkeit hineinzutragen und dem Wähler natürlich als Option, als politische Option zu bieten, verbunden aber auch mit einem erweiterten Themenspektrum, was sich in der Fortschrittsfreundlichkeit äußert, die wir ja jetzt auch im Namen der Partei ausdrücken.
    Wir glauben, dass Deutschland sich nicht nur in der Eurofrage selbst Fesseln auferlegt hat, die man am besten abstreifen sollte, sondern dass wir auch in anderen Bereichen, gerade beispielsweise bei unserem Verhältnis zu wichtigen und wegweisenden neuen Technologien in Deutschland solche selbst auferlegten Fesseln haben, die unsere Zukunft verstellen.
    Und dagegen wollen wir antreten, weil wir hier einen sehr unguten Einfluss eigentlich insbesondere der grünen Politiker in unserem Lande sehen, die damit die Zukunftsfähigkeit Deutschlands beeinträchtigen.
    "Unheilvoller Weg für große Industrienation Deutschland"
    Grieß: Sagen Sie uns das konkret. Welche Fesseln sehen Sie dem Land umgelegt?
    Lucke: Na ja, es ist eben so, dass in Deutschland sich ein Denken ausgebreitet hat, das Fortschritt und neue technische Möglichkeiten grundsätzlich negativ, skeptisch, ablehnend beurteilt werden. Also wenn ich denke an Möglichkeiten, die die Biotechnologie bietet oder die Nanotechnologie, die Gentechnologie und ähnliche Entwicklungen, dann machen andere Länder da in einer sehr viel offeneren, durchaus verantwortungsbewussten Weise, aber doch in einer positiven Art und Weise Gebrauch davon, während wir in Deutschland dem immer skeptisch, ablehnend gegenüberstehen. Und das ist für eine große Industrienation, die ihre Stärke ja auch gerade ihren Innovationen und Erfindungen zu verdanken hat, glaube ich, ein unheilvoller Weg.
    Grieß: Und beim Thema Euro, Griechenland halten Sie es mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ein Grexit wäre das Wünschenswerte?
    Lucke: Also das sehe ich überhaupt nicht, dass Schäuble für den Grexit wäre.
    "Temporärer Grexit ist unsinnig"
    Grieß: Das hat er ein paar Mal gesagt.
    Lucke: Er hat da zwar eine etwas skurrile Idee in die Welt gesetzt, dass Griechenland vielleicht mal temporär aus dem Euro ausscheiden könne. Aber schon das hat er in seiner Politik überhaupt nicht verwirklicht, sondern er hat ja sich intensiv dafür eingesetzt, dass man jetzt das neue Griechenlandpaket auf den Weg bringt und erneut nach jetzigem Stand 86 Milliarden Euro nach Griechenland fließen lässt, um den Grexit zu verhindern.
    Aber selbst ein temporärer Grexit ist unsinnig, macht gedanklich keinen Sinn, denn wenn Griechenland feststellen würde, dass es ihm außerhalb des Euros besser gehen würde als im Euro, dann wären die Griechen ja blöd, wenn sie zurückkehrten in den Euro. Und wenn es Griechenland nach einem Ausscheiden nicht besser ginge, dann wären wir blöd, wenn wir sie zurücknähmen.
    "AfD ist einfach nicht mehr unsere Partei"
    Grieß: Nun nennen Sie Ihre Partei ausgerechnet ALFA, benannt nach dem ersten Buchstaben des klassischen griechischen Alphabets. Ist das Humor?
    Lucke: Nein. ALFA ist einfach die Abkürzung für Allianz für Fortschritt und Aufbruch. Das ist nicht spezifisch auf Griechenland gemünzt.
    Grieß: Oder vielleicht auf eine Automarke. Wie wollen Sie sich von der AfD abgrenzen, Herr Lucke?
    Lucke: Nun ja, ganz eindeutig dadurch, die AfD ist ja entgleist in Essen, auf dem Bundesparteitag vor 14 Tagen ist sie zur Pegida-Partei ausgerufen worden. Es haben dort sehr stark antiwestliche, prorussische Kräfte das Sagen übernommen. Da wurde alles bejubelt, was sich irgendwie gegen die EU gerichtet hat oder gegen den Islam. Und das ist einfach nicht mehr unsere Partei, solches Gedankengut hat in ALFA keinen Platz.
    "Defizit von Deutschland ist das verkrampfte Verhältnis zur eigenen Nation"
    Grieß: Also Sie unterlassen auch künftige Spielereien mit sozusagen diesen sehr nationalkonservativen Gedanken und diesem Gedankengut. Das haben Sie ja in der Vergangenheit ja nicht immer so getan.
    Lucke: Ich habe nichts dagegen, dass man ein vernünftiges Nationalbewusstsein hat, das, denke ich, ist durchaus auch ein Defizit von Deutschland, dass man da kein entkrampftes Verhältnis zur eigenen Nation hat. Es geht mir auch nicht darum, Konservatives zurückzudrängen, sondern es geht mir darum, Fremdenfeindlichem und Islamfeindlichem keinen Platz einzuräumen in unserer Partei. Es geht mir darum, dass wir eine klare Verankerung im westlichen Bündnis haben mit der Mitgliedschaft in der EU und in der NATO.
    Grieß: Sie haben – wir haben das nachgelesen mal in den schon zur Verfügung stehenden Dokumenten –, es gibt so etwas, ich umschreibe das jetzt mal, Sie werden sich vielleicht dagegen wehren, weil das zu negativ klingt, eine Art schwarze Liste, Menschen, die Sie nicht aufnehmen wollen in Ihrer Partei. Wer steht da alles drauf?
    Lucke: Die gibt es noch nicht, aber die werden wir erstellen. Und das ist auch gar nicht, das bestreite ich überhaupt nicht. Das haben wir, wir kennen jetzt unsere Pappenheimer aus der AfD zum Beispiel, die wir ganz bestimmt nicht in ALFA aufnehmen würden. Da führen wir dann in der Tat eine schwarze Liste, ja.
    "Ablehnung islam-, fremdenfeindlicher oder irgendwie extremistischer Gesinnung"
    Grieß: Welche Fehler – wie wollen Sie das vermeiden, wie wollen Sie das kontrollieren, welche Vergangenheit jemand hat, welche Vergangenheit jemand mitbringt? Das war bei der AfD auch schon ausgesprochen schwierig.
    Lucke: Na ja, zunächst mal kennen wir, wie gesagt, die Leute aus der AfD, die problematisch sind, sehr, sehr gut. Also ich meine, ich glaube, es gibt kaum jemanden, der die AfD besser kennt als ich, und insofern wissen wir, wen wir ganz bestimmt nicht aufnehmen würden.
    Zum anderen haben wir ganz klare politische Verortungen diesmal bereits in unserer Satzung festgeschrieben, insbesondere die Verankerung im westlichen Bündnis, in der westlichen Wertegemeinschaft, die Ablehnung islamfeindlicher oder fremdenfeindlicher oder irgendwie extremistischer Gesinnung, steht direkt in der Satzung bereits drin und muss beim Unterzeichnen eines Mitgliedsantrags bejaht werden.
    Drittens ist es so, dass wir jetzt eine einjährige Gastmitgliedschaft der Mitgliedsaufnahme vorschalten. Das heißt, Menschen, die wir nicht kennen, die sind zunächst einmal nur mit eingeschränkten Rechten bei uns willkommen.
    Grieß: Also eine Art Probezeit ist das.
    Lucke: Eine Art Probezeit, ganz richtig, ja, eine Probezeit. Und dann lernen wir sie innerhalb dieses einen Jahres hoffentlich kennen, und erst dann, wenn wir sie kennen, nehmen wir sie auf.
    "Ich habe meine Schwäche im Bezug auf Teamarbeit"
    Grieß: In der man sich bewähren muss. Sie haben beim Parteitag im Januar noch in Bremen gesagt, sie seien kein guter Teamplayer, da waren Sie noch Ko-Parteichef der AfD. Haben Sie in der Zwischenzeit dazugelernt, oder bleibt es beim ALFA-Lucke?
    Lucke: Es ist richtig, ich bin sicherlich jemand, der auch seine Schwächen hat im Bezug auf Teamarbeit. Ich glaube nicht, dass sich das grundsätzlich ändert. Ich treibe einfach gerne Sachen voran und bin dann vielleicht ungeduldig, wenn andere nicht so schnell das an Output liefern, was ich da gern hätte. Das ist eine Eigenschaft von mir, die ich überhaupt nicht abstreiten will.
    Ich habe aber dennoch immer sehr gut zusammengearbeitet mit der großen Vorstandsmehrheit in der Alternative für Deutschland, und ich werde das jetzt auch in ALFA können. Nur habe ich eine Neigung dafür, wirklich klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeitsbereiche zu schaffen und den Menschen, die dann Verantwortung tragen, auch die Entscheidungskompetenz zuzubilligen.
    Grieß: Sie haben einige Positionen genannt, und darunter auch die Westbindung. Das klingt sehr nach Konrad Adenauer, man weiß nicht ganz genau, ob der bei Ihnen gerne Mitglied geworden wäre. Aber anders gefragt: Sie müssen sich – stellen Sie sich darauf ein, womöglich im Osten Deutschlands mit ALFA wenig Wahlerfolg zu haben?
    Lucke: Nein, überhaupt nicht. Und ich möchte auch mal sagen, die Westbindung ist sicherlich eine große Leistung Konrad Adenauers, aber es ist ja nun nicht nur Konrad Adenauer, der für die Westbindung gewesen ist, sondern es ist ein Grundkonsens unserer Gesellschaft. Und die ganze friedliche Revolution von 1989 war ein Bekenntnis der Ostdeutschen zur Westorientierung und zur westlichen Wertegemeinschaft.
    "Wir haben sehr viel klarere Strukturen als die AfD"
    Grieß: Na ja, dieser Grundkonsens, Herr Lucke, wenn ich das kurz einfügen darf, dieser Grundkonsens wird ja immer wieder infrage gestellt, durchaus auch von vielen der, wie Sie es nannten, Pappenheimer, die Sie aus der AfD noch kennen.
    Lucke: In der Tat ist es so, dass es leider in der AfD diese Menschen gibt – und ich sehe sie nirgendwo anders als in der AfD. Selbst die Grünen, die ja früher mal gestartet sind mit der Partei, die raus wollte aus der NATO, sind inzwischen ja überzeugte Anhänger der Westbindung.
    Ich kann jetzt also nicht wirklich erkennen, dass dieser Grundkonsens unserer Gesellschaft von namhaften politischen Kräften infrage gestellt wird. Diejenigen, die damit offenbar Schwierigkeiten haben, die haben sich leider in der AfD gesammelt, und das ist ja mit ein Grund, weshalb wir da raus sind.
    Grieß: Sie haben sich einige Durchgriffsrechte gesichert in der Partei. Ist das jetzt, ist ALFA ein Partei, die in ihrem Zuschnitt Ihren Vorstellungen so entspricht?
    Lucke: Also von Durchgriffsrechten würde ich in diesem Fall nicht sprechen. Wir haben sehr viel klarere Strukturen, als das in der AfD der Fall ist, weil wir die Zuständigkeiten der Organe wirklich so geregelt haben, dass es keine Kompetenzüberschneidungen mit anderen Organen in der Partei gibt. Das ist, glaube ich, eine Frage von sinnvoll strukturierter Führungsarbeit, die in der AfD, in deren Satzung, leider nicht angelegt worden ist.
    Grieß: Zum Schluss, Herr Lucke, wenn es Ihnen tatsächlich gelingt, den Wahlerfolg der AfD und Frauke Petris zu schmälern mit Ihrer neuen Partei – wie groß ist die Freude?
    Lucke: Also Entschuldigung, bislang sehe ich überhaupt keine Wahlerfolge von der AfD unter Frauke Petris Führung. Ich sehe nur, dass die in den Meinungsumfragen jetzt eingebrochen sind und noch bevor es unsere neue Partei, bevor es ALFA überhaupt gab, schon auf drei Prozent runtergegangen sind. Das ist also nichts, was sich Frauke Petri sehr stolz auf die Brust heften wird.
    Unsere Freude liegt darin, wenn wir Erfolge haben und ist nicht jetzt spezifisch gegen die AfD gerichtet. Wir wollen gern die Anerkennung vom Wähler haben, und wir wollen die Wähler genauso gerne von der CDU oder von der SPD oder von der FDP gewinnen, wie wir sie von der AfD gewinnen wollen.
    Grieß: Es gibt die Allianz für Fortschritt, und es gibt Bernd Lucke an ihrer Spitze. Herr Lucke, danke für das Gespräch heute bei uns im Deutschlandfunk!
    Lucke: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.