Mittwoch, 24. April 2024

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Parteiquerelen zum Koalitionsvertrag
"Das Ausmaß der Kritik ist ungewöhnlich"

Die Kritik von Union und SPD am Koalitionsvertrag würde nicht dazu beitragen, dass Vertrauen der Bevölkerung in die Volksparteien zu erhöhen, sagte der Politologe Oskar Niemayer im Dlf. Die gesamten Verhandlungen hätten so lange gedauert, dass es verständlich ist, dass die Bevölkerung die Geduld verliere.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.02.2018
    Die Namen der Parteien CDU und CSU auf schwarzem Hintergrund stehen neben dem Namen SPD auf rotem Hintergrund, darüber sind Bremsspuren zu sehen.
    "Dass die Kritik jetzt solche Ausmaße annimmt und verquickt wird mit Personalfragen, ist etwas ziemlich Ungewöhnliches", sagte Politologe Oskar Niedermayer im Dlf (imago / Ralph Peters)
    Zagatta: Herr Niedermayer, aus Ihrer Sicht, wer steckt denn jetzt tiefer im Schlamassel, SPD oder Union?
    Oskar Niedermayer: Ich glaube, dass es immer noch die SPD ist, die tiefer im Schlamassel steckt. Es ist klar, dass die Aufgabe des Finanzministeriums nicht glatt über die Bühne gehen würde und dass sich da sehr viele in der Union darüber aufregen, mit Recht, muss ich sagen, denn es war tatsächlich ja wohl so, dass die SPD schlicht die Union erpresst hat, dass Frau Merkel auch deutlich schneller bereit war, das Ministerium herzugeben, als die CSU zum Beispiel, dass es da ja intern auch Streit drüber gab.
    Und das zeigt eben, dass es Frau Merkel eben extrem wichtig ist, an der Macht zu bleiben. Und dadurch opfert sie durchaus mit dem Finanzministerium etwas, was ja sozusagen zum Markenkern der Union gehört. Aber dennoch ist die CDU eigentlich nicht eine Partei, die deswegen eine Palastrevolution macht. Und das Problem ist ja auch klar, Frau Merkel ist angeschlagen, und sie wird beim nächsten Mal nicht mehr antreten, aber momentan ist sie noch unangefochten, weil niemand in der CDU bereit ist, gegen sie jetzt in einer Kampfkandidatur anzutreten.
    "Starker Tobak, dass man jetzt so offen Kritik an Frau Merkel übt"
    Zagatta: Also die Union ist da Ihrer Ansicht nach weiterhin ein Kanzlerwahlverein?
    Niedermayer: Ja, das kann man schon sagen, insbesondere eben deswegen auch, weil es niemand gibt, der jetzt von jetzt auf nachher die Nachfolge von Frau Merkel antreten könnte. Das ist ja nicht der Fall.
    Zagatta: Und wenn da jetzt jemand wie der frühere Fraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz, dem ja viele noch nachtrauern, wenn der jetzt auch mit Kritik sich meldet, was er ja bisher nicht getan hat in all den Jahren, in dieser Form zumindest nicht, und wenn der jetzt sagt, wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben. Was für eine Wirkung hat das?
    Niedermayer: Das ist schon starker Tobak, gerade für diese Partei, dass man jetzt so offen Kritik an Frau Merkel und ihrer Strategie übt. Aber das wird sich auswirken durchaus in den nächsten Jahren, denn es muss ja eine Nachfolgediskussion geben, und die wird es auch geben, aber ich glaube eben nicht, dass es die jetzt schon in den nächsten Tagen geben wird. Das wird schon noch ein bisschen brauchen.
    Zagatta: Herr Niedermayer, Sie sind ja jetzt auch schon ganz lange im Geschäft. Haben Sie so was schon mal erlebt, wenn da eine neue Regierung sich aufstellt, einen Koalitionsvertrag aushandelt, dass es dann Kritik von allen Seiten hagelt und vor allem in den eigenen Reihen ja auch.
    Niedermayer: Ja, Kritik gibt es natürlich immer, weil die notwendigen Kompromisse in einem Koalitionsvertrag nicht allen passen in den Parteien. Aber dass dies jetzt solche Ausmaße annimmt und vor allen Dingen ja auch verquickt wird mit Personalfragen, das ist etwas ziemlich Ungewöhnliches.
    "Die Belastung für die SPD ist sehr groß"
    Zagatta: Wie bewerten Sie das jetzt mit diesen Personalfragen? Es geht jetzt vor allem um den Unmut über Martin Schulz, dass er da Sigmar Gabriel aus dem Amt drängt und dass er schon wieder Wortbruch begeht.
    Er hat ja gesagt, ins Kabinett unter Merkel auf keinen Fall. Und jetzt will er Außenminister werden. Wie groß ist da die Belastung für die SPD?
    Niedermayer: Die Belastung ist sehr groß, weil Martin Schulz jetzt ja zum zweiten Mal eine 180-Grad-Wende vollzogen hat und zum zweiten Mal sein Wort gebrochen hat. Er hat damit, denke ich, den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit verspielt, und er rettet sich jetzt quasi ins Außenministerium und opfert dafür Sigmar Gabriel, der ja deutlich beliebter ist in der Bevölkerung als Martin Schulz, der sich ja im freien Fall befindet.
    Aber andererseits ist es eben auch so, dass auch die anderen wichtigen Leute in der SPD-Führung, also Andrea Nahles, Olaf Scholz und andere, eben nicht wollen, dass Sigmar Gabriel weiterhin eine wichtige Rolle spielt aufgrund der Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht haben. Und insofern denke ich, versucht jetzt die SPD-Führung, den Schaden so gering wie möglich zu halten.
    Aber man sieht eben, diese erneute Entscheidung, hoppla-hopp von oben, die gefällt eben sehr vielen Leuten in der SPD nicht. Und die sagen jetzt mit Recht, ihr wollt eigentlich die Partei erneuern, unter anderem dadurch, dass die Basis mehr Mitspracherechte bekommt. Und jetzt macht er wieder genau die Entscheidung, die er immer kritisiert hat.
    "Nichts, womit man behaupten kann, die SPD hätte sich durchgesetzt"
    Zagatta: Was heißt das jetzt aus Ihrer Sicht für die Befragung, für die Mitgliederbeteiligung? Kann das noch mal zur Belastung werden, oder gehen Sie davon aus, dass das glatt durchgeht?
    Niedermayer: Das wird mit Sicherheit zur Belastung, und die SPD-Spitze fängt ja jetzt schon an, alles zu tun, um diese Personaldiskussion abzuwürgen. Das wird natürlich nicht funktionieren, es wird weiter drüber geredet werden. Und auch Gabriel wird, glaube ich, nicht still sein in den nächsten drei Wochen. Also, das wird die ganze Sache schon belasten.
    Und man darf ja auch nicht vergessen, die Inhalte, die herausverhandelt wurden, gerade in den drei Punkten, die der Sonderparteitag noch mal draufgesattelt hat auf das Sondierungsergebnis, die sind ja für die SPD nicht gerade hervorragend. Und selbst wenn man jetzt nur über die Inhalte reden würde, müsste man sagen, das ist jetzt nichts, womit man sich wirklich schmücken kann und wo man behaupten kann, die SPD hätte sich in diesen drei Punkten durchgesetzt und einen großen Sieg eingefahren.
    Zagatta: Kann das jetzt eine grundsätzlich bessere Position werden für die SPD, wenn da Andrea Nahles zumindest die Partei übernimmt und dann ja sich jetzt quasi – manche schreiben schon, sie wird jetzt die stärkste Politikerin in Deutschland im Moment –, kann das so sein? Weil wenn man sich so umhört, gibt es doch beim einen oder anderen Wähler Bedenken, diese Frau sei vielleicht ein bisschen ordinär, so, wie sie in der Vergangenheit aufgetreten ist.
    Niedermayer: Sie polarisiert sehr stark. Das ist ganz klar. Man versucht ja jetzt mit ihr und mit Olaf Scholz, einen Neuanfang hinzubekommen. Und wer dann von den beiden beim nächsten Mal Kanzlerkandidatin oder -kandidat wird, ist ja noch nicht ausgemacht. Aber es ist vollkommen richtig, innerparteilich hat sie einen sehr viel besseren Stand als bei der Bevölkerung, wie man ja auch an ihren Werten sehen kann, die ja auch nicht groß besser sind als die Werte von Martin Schulz.
    "Dass die Bevölkerung die Geduld verliert - das ist verständlich"
    Zagatta: Jetzt haben wir diesen Unmut in der SPD, wir haben ihn bei der Union. In ersten Umfragen heißt es jetzt zumindest, jetzt ist wieder eine Mehrheit der Bevölkerung nach diesem ganzen ich nenne es mal Theater gegen diese große Koalition. Ist das nicht auch eine Riesengefahr jetzt für die Volksparteien, dass sie da jetzt noch mehr an Vertrauen verlieren und schwächer werden?
    Niedermayer: Ja, das hat bestimmt nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in der Bevölkerung zu erhöhen, obwohl man ja sagen muss, diese letzten Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD, die waren ja deutlich kürzer als früher. Aber das Ganze mit dem ganzen Jamaika-Hin-und-Her hat natürlich jetzt so lange gedauert, dass die Bevölkerung die Geduld verliert. Das ist ja auch verständlich.
    Aber man darf nicht vergessen, große Koalitionen haben dann nach diesen Anfangsschwierigkeiten eigentlich immer gute Bewertungen bekommen von der Bevölkerung, das war auch bei der letzten Koalition so, die sogar ganz zum Schluss mit allen Problemen, mit Flüchtlingskrisen und so weiter immer noch bewertet wurde als alle ihre Vorgängerregierungen.
    Zagatta: Sagt der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Herr Niedermayer, vielen Dank für Ihre Einschätzungen.
    Niedermayer: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.