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Pathologische Bindung

Bodo Kirchhoff hat einen Roman über die Jugend und das Älterwerden geschrieben. Im Mittelpunkt von "Eros und Asche" steht eine Männerfreundschaft. An ihr entfaltet der Autor ein psychologisches Drama.

Von Jochen Rack | 26.02.2008
    "Eros und Asche": Der Titel von Bodo Kirchhoffs neuem Roman ist trefflich gewählt, denn die Freundschaft, von der Kirchhoff erzählt, bewegt sich im Widerspruch von Liebe und Enttäuschung, wobei der abgründige Doppelsinn der Glut, die zur Asche wird, darin liegt, dass der Freund M., alias Michael Päselt - dem Kirchhoff sein autobiografisches Buch gewidmet hat - zugleich ein Kettenraucher ist, der im Alter von 57 Jahren an einem Lungenemphysem stirbt. Der Tod des Freundes ist Ausgangspunkt von Kirchhoffs Roman, der auch als Nachruf zu lesen ist: als Requiem für den Freund und eine lebenslange Freundschaft, die in vieler Hinsicht eine typische Männerfreundschaft ist.

    Als sich die beiden Männer Anfang der 60er Jahre in einem Internat am Bodensee kennenlernen, teilen sie als 15-Jährige die alterspezifischen Neigungen: Man raucht zusammen verbotene Zigaretten, küsst heimlich Mädchen, erzählt einander gegenseitig seine Träume, diskutiert über die Möglichkeiten der Gesellschaftsveränderung, schreibt eine Schülerzeitung und begibt sich auf die Suche nach einem der Kunst und Literatur geweihtem Leben. Auf einer Romreise mit zwei jungen Frauen machen die beiden Freunde erste Erfahrungen mit der Liebe und müssen es ausbaden, dass eine der beiden Frauen von M. schwanger wird. Später wird der Freund M. Medizin studieren und als Neurologe in Berlin leben und arbeiten, während Kirchhoff ein Leben als Schriftsteller führt, dessen Zentrum Frankfurt ist. Die Begegnungen zwischen den beiden Freunden werden seltener, man telefoniert zuweilen oder trifft sich im Vorübergehen auf einer Autobahnraststätte.

    "Ein Freundschaftsroman" nennt sich Bodo Kirchhoffs Buch im Untertitel, und das bezeichnet nicht nur eine Gattung, den Roman über eine Freundschaft, sondern auch ein psychologisches Drama in dem analogen Sinn, wie Sigmund Freud einmal vom "Familienroman" sprach: die konfliktuöse, erotische Beziehung zwischen zwei Männern, von denen der Freund, wie Kirchhoff schriebt, immer schon "auf verlorenem Posten stand".

    "Und M´s letzte Worte, Worte am Telefon, bevor seine Verflüchtigung an mir vorbeiging, waren mehr ein Aufruf als eine Bitte: Pack unsere Dinge in einen Roman. Und halt die Ohren steif - eine Formel, die er immer schon bei Abschieden gebraucht hatte, um den Gegenwind anzudeuten, der für ihn das leben selbst war. Seine Ohren und auch alles Übrige sind bald darauf zu Staub geworden, nur der Aufruf blieb bestehen; und unsere Dinge, das waren die einer Freundschaft von absurder Tiefe, bis in die Blutgefäße des Denkens, absurd, weil das spätere Leben diese Zeit überschrieben hat, auch wenn die alten Buchstaben noch bei jeder Gelegenheit durchscheinen. () klar ist nur, worum es geht, um eine lang zurückliegende, unerledigte Liebe."

    In der Geschichte der "unerledigten Liebe" zwischen M. und Kirchhoff sind die Rollen bis zur letzten Konsequenz ungleich verteilt, der eine gibt, der andere nimmt: Kirchhoff schreibt seine Liebeserklärung an den Toten, die dieser in Auftrag gegeben hat, und er ist sich dabei bewusst, dass der Mann, der die Abwesenheit seines Freundes beklagt, "die weibliche Seite in sich zum Vorschein" bringt. Kirchhoffs Requiem ist insofern auch die Beschreibung einer pathologischen Bindung, die der Autor einmal als "harsche Zärtlichkeit" charakterisiert.

    "Die eigentliche Freundschaft bestand aus der Sehnsucht danach."

    Kirchhoff beschreibt seinen Freund M. als Mann mit wachem Geist; einen unterkühlten Intellektuellen, der eine Zuschauerhaltung kultivierte, auch in der Liebe, ein elitärer Sonderling und Einzelgänger, der sich in seine Bücherhöhle zurückzog, ein "Wegläufer vom Leben" und "arroganter Autist" (so bezeichnet ihn Kirchhoffs Frau), kurzum, ein durchweg negativer, nicht unbedingt sympathischer Charakter, dem gleichwohl Kirchhoffs Sympathie gilt. Korrespondierend zu seiner Weltverneinung und heroischen Selbststilisierung als großem Einsamen folgt M einer kompromisslosen Sehnsucht nach dem Schönem, die er in Hölderlins Hyperion ausgedrückt findet. - Kirchhoffs Psychogramm des Freundes erinnert in vieler Hinsicht an Camus' "Mensch in der Revolte", eine Figur, die sich gegen die und außerhalb der Gesellschaft stellt und das exzessive Rauchen gewissermaßen als Geste trotziger Selbstbehauptung kultiviert, ein Sich-Zurückziehen auf sich selbst angesichts einer als falsch erlebten Welt, wozu natürlich die Kritik an der Massenkultur des Fernsehens ebenso gehört wie die Klage über den Bedeutungsverlust der Literatur.

    M. ist eine existentialistische Figur, die typisch ist für ihre Zeit, und Kirchhoffs Freundschaftsroman ist auch ein Generationsroman - ein Nachruf auf die Kinder von Marx und Coca Cola, die mit Sartre und Gauloises bzw. Reval, Roth-Händle und Adorno groß wurden: Ein Roman über die Jugend und das Älterwerden, der Entwicklungsroman der 68er.

    "Unsere Freundschaftsjahre im Internat - Tag für den Tag den See vor Augen, gegenüber die Schweiz, hinter uns nur ferne Eltern und im Nacken protestantische Unlust und Enge - waren ein einziges Trotzdem, mal im Stillen mit Zigarette auf dem Klo, mal lautstark, als wir zum Boykott der Schulandacht aufriefen."

    Kirchhoff erzählt die Geschichte seiner Freundschaft zu M. nicht chronologisch, sondern er kreist sein Thema gewissermaßen langsam ein, indem er stilistisch nicht weit vom Tagebuch entfernt von seinem alltäglichen Leben im Jahr 2006 berichtet und die Erinnerungen an den Freund damit verschränkt. So ist zugleich ein intimes Journal über den Schriftsteller als alternden Mann entstanden, der im Jahr 2006 an einer Augenkrankheit leidet und, während er auf Lesereisen geht und Schreibseminare abhält, über seine Ehe und seine Kinder nachdenkt.

    Als Schriftsteller weiß Kirchhoff, wie man einen Stoff recheriert, und er nutzt dieses Wissen zur Erforschung seiner eigenen Freundschaftsgeschichte, indem er mit Ms letzter Freundin, früheren Lebensgefährtinnen und mit ehemaligen gemeinsamen Freunden spricht, indem er sich in Ms Wohnung umschaut, seine Bücher und Briefe sichtet und seine eigenen Jugendtagebücher noch einmal liest, die von den früheren Erlebnissen mit M berichten.

    Entstanden ist ein melancholisches Buch über das Altern und den Tod, über das Glück der Freundschaft und ihr Unglück, ein Requiem, in dem naturgemäß ein Ton der Trauer überwiegt, ein elegische Beschwörung einer Freundschaft, in der zu vieles versäumt wurde:

    "Das Versäumte, oder was zu tun wäre, wenn sich M.s Zeit zurückdrehen ließe. In zu einer Reise bewegen, alles bezahlen. Einen Blick in seine Arbeitswelt werfen - M. als Neurologe im Klinikbetrieb, M. als Notarzt, M. als Hilfsantiquar (und Pessoa-Figur). Einen Telefontermin vereinbaren, einmal im Monat. Eine Einladung nach Frankfurt aussprechen, ihn mit dem Auto holen; den Sohn durch M.s Berliner Räume führen. Noch einmal das Internat besuchen, noch einmal die zwei Schwestern treffen, deren Leben wir durcheinandergebracht haben. Mit M. über seinen versteckten See rudern; dabei ein Gespräch in dem Wissen führen, dass es unser letztes ist."


    Bodo Kirchhoff: Eros und Asche
    Frankfurter Verlagsanstalt