Dienstag, 16. April 2024

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Patrick Rothfuss: Die Musik der Stille
Die merkwürdige Freundin Auri

Alle, die sich für Fantasyliteratur begeistern, warten sehnsüchtig auf den dritten und letzten Teil der "Königsmörder-Chronik" von Patrick Rothfuss und nun das: Ein schmaler Band von nicht mal 163 Seiten mit dem Titel "Die Musik der Stille" erscheint. Im Mittelpunkt der überlangen Geschichte steht Auri.

Von Karin Hahn | 28.03.2015
    Auri lebt allein in den verschlungenen Tunneln unter der arkanischen Universität von Imre, an der auch Magie gelehrt wird. Sie ist eine gute Freundin des größten Zauberers Kvothe. Die junge, sehr schmale Frau erschafft sich in ihrem Refugium, das sie Unterding nennt, ihre ganz eigene Ordnung und Sicherheit gegen die vermeintlichen Bedrohungen der Außenwelt.
    "Fremde in Unterding, die mit ihren unziemlichen Lampen umherleuchteten. Ihr Rauch. Das Getöse ihrer Stimmen. Wie sie überall mit ihren harten, gleichgültigen Stiefeln herumtrampelten. Wie sie sich überall umguckten, ohne auch nur im Mindesten daran zu denken, welche Folgen ein Blick haben kann. Wie sie alles betatschen und durcheinanderbrachten, ohne den geringsten Sinn dafür, was sich gehörte. Auri bemerkte, dass sie die Fäuste so fest ballte, dass ihre Knöchel weiß davon wurden."
    Auri fühlt sich aber nicht nur vom Lärm der Menschen bedrängt, auch ihr eigener von Geröll, Rohren und Gegenständen gefüllter unterirdischer Wohnraum kann auf sie bedrohlich wirken. Jede kleinste, bedenkliche Luftveränderung dringt zu ihr durch und lässt sie flink in ihren allerprivatesten Ort fliehen. Auri hört immer wieder in sich hinein und spürt eine Leere, die sie nur durch ihre Geschäftigkeit vergessen kann. Sie will, dass niemand ihr falsche Fragen stellt. Ein Grund, um sich in Unterding mit seinen unzähligen Verstecken kleinzumachen.
    Patrick Rothfuss beschreibt akribisch jeden Schritt, jeden Gedanken, jede
    Gefühlsregung seiner Protagonistin. Auri ist eine durch und durch rätselhafte Figur, deren Verstand durch das Magie-Studium Schaden genommen hat.
    "Ich weiß, ich war neugierig auf Auri. Für viele Leute ist Auri die Lieblingsfigur in meinen Büchern. Sie ist voller Geheimnisse und ihr Wohnort ist auch sehr mysteriös. Und Leser sind neugierig auf Unterding. Ich habe nicht über Auri geschrieben, weil sie so bedeutend ist. Über Bedeutendes zu schreiben, ist Pflicht, ist schwere Arbeit, sozusagen Brot ohne Hefe. Über Auri zu schreiben, ist Luxus, denn Auri ist eine verspielte Figur. Meine Pflicht momentan ist eigentlich der dritte Band und das muss ich tun und das wird sicher sehr schwer. Über Auri zu schreiben ist ein Extra, es ist Spaß."
    Auri glaubt beim Aufwachen, dass sie in sieben Tagen eine leise Melodie hören wird und ein Besucher sich ankündigt. Nie wird Kvothes Name genannt, aber der Leser ahnt, dass er gemeint ist. Auri glaubt, dass Kvothe ihr drei Geschenke mitbringen wird. Und so sucht die junge Frau nach einem passenden Geschenk für den Freund. Sie erkundet achtsam neue Gegenstände in Unterding und gibt ihnen eine Bestimmung. Spezielle Orte in Auris Welt tragen einen Namen, denn ohne bestimmte Bezeichnungen, so empfindet es die junge Frau, ist alles nur traurig und einsam. Alle Dinge haben für Auri ein Eigenleben, sie ordnet sie so an, dass sie harmonisch miteinander auskommen. Sie glaubt, sie ist die Einzige, die sich darum kümmert, dass die Welt ordnungsgemäß weiterläuft.
    "Der tapfere Kristall ruhte zufrieden im Weinregal. Der Armknochen und der Leinensack wirkten so behaglich, als wären sie schon seit hundert Jahren dort. Die alte schwarze Gürtelschnalle bedrängte das Harz ein wenig, das jedoch ließ sich leicht beheben. Auri schob sie ein wenig zur Seite, damit die Dinge gesittet blieben. Sie schaute sich um und seufzte. Alles war in Ordnung – nur das große Messingzahnrad nicht. Das brachte sie schier zur Verzweiflung."
    Immer wieder trägt Auri das schwere Messingzahnrad von einem Platz zum nächsten und wird langsam panisch.
    "Da sind Leser, die finden, dieses Buch ist nicht fantastisch. Die würden sagen, es ist die Geschichte eines verrückten Mädchens, ein Mädchen, das auf viele Arten verrückt ist. Sehr verloren, gebrochen. Sie hat ein furchtbares Leben. Aber sie weiß nichts davon. Das wäre eine akzeptable Interpretation. Oder es wäre möglich, das Buch als die Geschichte einer jungen Frau zu lesen, die die Welt besser sehen kann als alle anderen Leute. Und daraus entsteht der Eindruck, ihre Aktivitäten könnten einen Sinn haben, den alle anderen Leute aber nicht verstehen. Ich wollte das offen lassen. Der Leser muss selbst herausfinden, ob er sich für die eine oder andere Interpretation entscheidet."
    Erstaunlich ist, wie liebevoll und sorgsam sich die sensible Frau um alles kümmert. Nichts entgeht ihrer Aufmerksamkeit, jedem noch so kleinen oder auch zerbrochenen Gegenstand widmet sie ihre Wertschätzung. Sie nimmt die Dinge sanft in die Hand, fügt sie zusammen, wenn das möglich ist und sie küsst sie, wenn sie glaubt, sie muss sich bei den Gegenständen entschuldigen.
    "Es war sehr interessant für mich, etwas über Auri zu lernen, zum Beispiel wie sie denkt, wie ihre Perspektive auf die Welt ist, wie sie redet, ihre Stimme. Die Geschichte ist nicht aus der ersten Person erzählt, wie meine anderen Bücher. Man kann hören, wie Auri redet, man kann ihre Sprache hören, mehr vielleicht wie man Kvothe in den anderen Büchern vernehmen kann. Es hat mich fasziniert, und es war sehr anstrengend, zu schreiben."
    "Unordnung zu stiften war nicht ihre Art. Sie bewegte sich, wie sich Wasser in einer sanften Welle bewegt. Das Wasser bleibt stets gleich, ganz egal, wie es sich bewegt. So machte man das."
    "Ich habe viel über diese feine Balance zwischen zu viel oder zu wenig erzählen gelernt. Was Auri interessant macht, das ist ihr Geheimnis. Man sieht sie als Figur nur kurz in meinen Büchern und somit ist es einfach, eine Person zu mögen, von der man nur einen kurzen Blick erhascht hat. Man ist schnell in Auri verliebt, das möchte ich den Lesern nicht nehmen. Ich möchte ihr Geheimnis teilen, aber nicht alles verraten, das wäre uninteressant."
    Mit Feingefühl und Empathie lotet Patrick Rothfuss die Seelenlandschaft dieser jungen Frau aus. Wenn Auri den Orten, an denen sie sich aufhält, fantasievolle
    Namen gibt und den Gegenständen einen Charakter zuschreibt, da kann eine Treppe schüchtern sein, Steine fühlen sich freundschaftlich an oder eine Frisierkommode ist liederlich, mag das seltsam klingen. Und doch liegt über allem ein friedvoller Zauber. So mysteriös auch Auris Verhalten ist, sie wird dem Leser durch ihre Freundlichkeit und ihre auch qualvolle Suche nach Antworten immer sympathischer und vertrauter.
    "Mit Talg und Lauge ließ sich eine brauchbare Seife herstellen. Doch sie würde keine Äpfel enthalten. Nichts Liebliches oder Freundliches. Also ja, in mancher Hinsicht war es ausreichend, um Seife herzustellen. Aber wie scheußlich wäre das? Wie schrecklich wäre es, im Leben umgeben zu sein von der krassen Leere von Dingen, die einfach nur ausreichend waren?"
    Auri durchlebt alle Gefühle von überglücklich hüpfend bis einen Tag lang durchgängig weinend. Am Ende wird sie erkennen, welche Bedeutung das schwere Messingrad für sie hat. Ein Geschenk für Kvothe ist es nicht und der fünfte Tag ist schon vorüber.
    "Von Anfang an ich wollte etwas anderes schreiben als die meisten Fantasyautoren. Nichts über das Ende der Welt oder gigantische Armeen. Ich wollte etwas über die Innenwelt einer Figur schreiben und das habe ich geschafft. Es gibt aber Leute, die wollen das nicht lesen. Es ist keine Geschichte für jeden Leser, sie ist speziell. Aber es macht mich froh, wenn Leser sagen, ich fühle mich wie Auri. Ich wusste nicht, dass andere Menschen wirklich so sein können. Ich habe es gelesen und jetzt verstehe ich meine Freundin besser, ich verstehe meinen Freund besser. Ich lese es und ich fühle mich nicht so allein und das macht mich froh."
    Patrick Rothfuss hat ein Auge für das Leiderfüllte der menschlichen Existenz wie für die leisesten Anzeichen von Glück und innerer Zufriedenheit. Durch Auri, der er sich erkennbar nahe fühlt, erkundet er in einer fantastischen Umgebung etwas Alltäglich-Situatives und erhöht es durch seine einfühlsame Sprache zu etwas ganz Besonderem.
    Buchinfos:
    + Patrick Rothfuss: "Die Musik der Stille", Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer, Hobbit Presse, Klett – Cotta, 173 Seiten, Preis: 17,95 Euro, ISBN: 978-3-608-96020-4
    + Patrick Rothfuss: "Die Musik der Stille, der Hörverlag", 1 mp3, Gelesen von Yara Blümel und Stefan Kaminski, Preis: 19,99 Euro, ISBN: 978-3-8445-1802-3