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Patt in Österreich
"Briefwählerinnen und Briefwähler tendieren stärker zu Van der Bellen"

Bei der Präsidentenwahl in Österreich liegt Norbert Hofer, der Kandidat der FPÖ, aktuell vorne. Aus der Vergangenheit wisse man aber, dass bei den Briefwahl-Stimmen die FPÖ meistens unterdurchschnittlich abschneiden würde, sagte der Parteienforscher Laurenz Ennser-Jedenastik im DLF. Für Van der Bellen werde es dennoch sehr knapp.

Laurenz Ennser-Jedenastik im Gespräch mit Thielko Grieß | 23.05.2016
    Ein Stimmzettel wird in einem Wahllokal im österreichischen Wien in eine Urne geworfen.
    Laurenz Ennser-Jedenastik: "Alexander van der Bellen braucht ungefähr 60 Prozent der Briefwahl-Stimmen" (picture alliance / dpa / Christian Bruna)
    Thielko Grieß: Es ist ein Patt, das wohl erst heute Abend aufgelöst werden wird, bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich. Norbert Hofer, der Kandidat der FPÖ, liegt zwar vorn in der Zählung der gestern abgegebenen Stimmen, aber es fehlt ja noch das Ergebnis der Briefwähler und die könnten das Pendel wieder in Richtung Alexander Van der Bellen von den Grünen ausschlagen lassen.
    In Wien begrüße ich jetzt Laurenz Ennser-Jedenastik, Parteienforscher an der Universität in Wien. Schönen guten Tag!
    Laurenz Ennser-Jedenastik: Guten Tag.
    Grieß: Haben Sie eine Prognose, wer um 19 Uhr als Sieger bekannt gegeben wird?
    Ennser-Jedenastik: Nein. - Wir wissen das nicht und es wird so knapp, dass wir es auch wirklich dann erst wissen können.
    Briefwählerinnen und Briefwähler tendieren zu Van der Bellen
    Grieß: Haben Sie eine Ahnung oder ist es doch zu sehr ein Blick in die Glaskugel, wie Briefwähler mehrheitlich gewählt haben könnten?
    Ennser-Jedenastik: Wir wissen, dass die Briefwählerinnen und Briefwähler deutlich stärker zu Van der Bellen tendieren, aber das ist in diese Prognosen des Fifty-Fifty schon eingerechnet. Das heißt, bei den bis jetzt ausgezählten Stimmen liegt Norbert Hofer deutlich vorne, aber aus der Vergangenheit, aus dem ersten Wahlgang schon und auch aus anderen Wahlen wissen wir, dass bei den Briefwahl-Stimmen die FPÖ meistens unterdurchschnittlich ist und die Grünen zum Beispiel immer überdurchschnittlich sind. Es wird davon ausgegangen, dass Van der Bellen ungefähr 60 Prozent der Briefwahl-Stimmen, die noch ausstehen, braucht, damit es für ihn ausgeht, und so wie die Prognose für die Briefwahl-Stimmen ist, die hochgerechnet wird auf Basis des ersten Wahlgangs und aus der Verteilung der Wahlkarten-Wählerinnen und Wähler, wird es sehr knapp. Aber seriös kann zu diesem Zeitpunkt niemand sagen, wie das ausgeht.
    Grieß: Das verstehe ich natürlich. - Woran liegt das, dass Briefwähler in der Mehrheit eher grün wählen? Was ist das für ein Milieu, das briefwählt?
    Ennser-Jedenastik: Die unterscheiden sich natürlich. Vor allem sind das Leute, die eher in den Städten zuhause sind. Die fahren dann womöglich am Wochenende aufs Land, sind nicht in ihrer Wahlgemeinde am Wahltag. Und dann gibt es noch ein paar andere Unterschiede, dass die womöglich eine höhere Bildung, ein höheres Einkommen haben, und das sind alles Faktoren, die dann diesen strukturellen Unterschied ausmachen in der politischen Präferenz dieser Gruppe.
    Grieß: Jetzt heißt es allerorten, Alexander Van der Bellen habe eine Aufholjagd hingelegt und es sei überraschend, wie gut er dann doch nach bisherigem Stand der Dinge abgeschnitten hat. Würden Sie auch von einer Aufholjagd sprechen?
    Ennser-Jedenastik: Es ist ein bisschen schwierig, wenn man das so versteht, dass die Kandidaten mit ihrem Ergebnis des ersten Durchgangs starten. Dann war die Distanz, die Van der Bellen bis zu den 50 Prozent zu überwinden hatte, deutlich größer als bei Norbert Hofer, weil Van der Bellen ist von 21 Prozent etwa losgestartet und Norbert Hofer von 35 Prozent. Aber ich weiß nicht, ob das eine legitime Interpretation dieses Wahlgangs ist, weil klar ist, dass der Abstand deutlich knapper wird als die 14 Punkte Abstand im ersten Wahlgang. Das war absehbar schon vor einem Monat.
    "Davon zu sprechen, dass das Land gespalten ist, ist eine Fehldiagnose"
    Grieß: Ist Österreich ein geteiltes Land? Wir haben von etlichen Unterschieden gerade auch im Beitrag von Stefan Ozsváth vor unserem Gespräch gehört, wer in welche Richtung tendiert. Das unterscheidet sich nach Geschlechtern, das unterscheidet sich nach Stadt und Land, nach Regionen, nach Bundesländern. Ist Österreich ein geteiltes Land?
    Ennser-Jedenastik: Das halte ich für ein bisschen übertrieben, diese Diagnose. Es stimmt, dass alle diese Merkmale natürlich Einfluss auf das Wahlverhalten haben. Aber dass wir zum Beispiel ein unterschiedliches Wahlverhalten von Frauen und Männern haben, dass sich das nach Bildung unterscheidet, nach Region zum Teil, auch nach anderen sozialstrukturellen Merkmalen, zum Beispiel nach Alter, das ist in allen europäischen Ländern so und bei jeder Wahl so. Das sind insofern die strukturellen Faktoren, die jedes Wahlergebnis immer treiben, und daher davon zu sprechen, dass das Land gespalten ist, ist, glaube ich, eine Fehldiagnose.
    Grieß: Nun gibt es ja auch den Befund, dass die östlichen Regionen, die östlich gelegenen Bundesländer eher FPÖ gewählt haben - Sie sehen, ich spreche von Tendenzen und von eher - als die westlichen Bundesländer. Und man vermutet, ein Grund könne gewesen sein, dass die östlichen Bundesländer eher mit Flüchtlingen zu tun gehabt hätten beziehungsweise die Wähler dort. Hat das für Sie eine Plausibilität?
    Ennser-Jedenastik: Bevor ich das nicht statistisch überprüft habe, würde ich dem wenig Glauben schenken. Es ist zum Beispiel so, dass die Bundeshauptstadt Wien eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Flüchtlingen aufgenommen hat, und das war das schwächste Bundesland für Herrn Hofer. Es ist auch so, dass zum Beispiel der Anteil an Migrantinnen und Migranten traditionell in Österreich nicht mit der Stärke der FPÖ korreliert. Insofern wäre ich sehr überrascht, wenn das tatsächlich der Fall wäre.
    Rechte des Bundespräsidenten in Österreich sind relativ umfassend
    Grieß: Angenommen Hofer gewinnt diese Wahl, steht dann ein Rechtspopulist dem Staat vor? Was ist das?
    Ennser-Jedenastik: Er bekleidet das höchste Amt im Staat. Das hängt dann von der Amtsführung des Kandidaten jeweils ab, wie er es ausgestaltet. Nach den Buchstaben der Verfassung wären die Rechte des Bundespräsidenten in Österreich relativ umfassend. Es hat aber sich in der Geschichte des Amtes seit 1945 so eingebürgert, dass die Personen, die das Amt inne haben, diese Rechte eigentlich nie voll ausnutzen. Das heißt, die ziehen sich normalerweise auf eine relativ repräsentative Rolle zurück.
    Grieß: Was ist Ihre Prognose, wie sich Hofer verhalten könnte?
    Ennser-Jedenastik: Norbert Hofer hat angekündigt im Wahlkampf, ein aktiverer Präsident zu sein, und auch Szenarien angedeutet, unter denen er die Bundesregierung etwa entlassen könnte, was eine der Kompetenzen des Bundespräsidenten ist, wozu es aber in der Geschichte dieses Amtes noch nie gekommen ist. Das wäre ein echtes Novum. Und da wissen wir einfach nicht, wie er das Amt auslegen würde. Als Politikwissenschaftler ist man immer vorsichtig im Prognostizieren großer Veränderungen und wir tendieren ein bisschen eher dazu zu sagen, dass es wahrscheinlich mehr Kontinuität geben wird, aber natürlich ist es so, …
    Grieß: Ist denn die Bezeichnung Rechtspopulist dann gar nicht gerechtfertigt?
    Ennser-Jedenastik: Doch, das denke ich schon. Ich denke, das ist auch ein Terminus, der hat sich in der Disziplin für Parteien wie die FPÖ oder den Front National oder die Freiheitspartei in den Niederlanden etabliert und das ist ein legitimer Begriff. Manche Leute würden sagen, der ist negativ besetzt, aber für mich ist es einfach eine korrekte Bezeichnung der Parteienfamilie.
    "Die gehören alle zum politischen Establishment"
    Grieß: Auf der anderen Seite: Ist Alexander Van der Bellen ein Vertreter des österreichischen Establishments?
    Ennser-Jedenastik: Ich denke mal, Leute, die politische Positionen inne haben, wie sie der Herr Hofer hat, der im Prinzip eines der höchsten Ämter im Staat bekleidet als dritter Nationalratspräsident, und Personen wie Alexander Van der Bellen, die Universitätsprofessoren waren und dann fast zehn Jahre lang Bundessprecher der Grünen, die gehören alle zum politischen Establishment.
    Grieß: Im Wahlkampf ist ja diese Unterscheidung gemacht worden, gerade von Norbert Hofer, der sich, glaube ich, auch als jemand geriert hat, der nicht zum Establishment gehört. Vielleicht bin ich jetzt schon dieser Unterscheidung auf den Leim gegangen.
    Ennser-Jedenastik: Man muss das ein bisschen differenziert sehen. Was sicher stimmt ist, dass Alexander Van der Bellen von der politischen, kulturellen und medialen Elite mehr Unterstützung bekommen hat im Land als Norbert Hofer. Das ist ganz logisch, weil das sind Personen, die aus ganz vielen verschiedenen Gründen viel näher im Van der Bellen-Lager stehen, rein ideologisch schon, als jetzt bei Norbert Hofer. Ob jemand dadurch zum Kandidat des Establishments wird, ich glaube, das ist eher ein bisschen ein Kampfbegriff, ein politischer. Aber natürlich sehen wir die Unterschiede, die wir in der Wählerschaft insgesamt sehen, wie zum Beispiel, dass Bildung ein starker Einflussfaktor ist auf das Wahlverhalten. Wenn Sie dann eine Reihe von Personen hernehmen, die alle relativ gut verdienen oder relativ hoch gebildet sind, dann ist es relativ wenig überraschend, dass unter so einer Gruppe die Unterstützung für Van der Bellen deutlich höher ist als im Durchschnitt.
    Grieß: Laurenz Ennser-Jedenastik, Parteienforscher von der Universität in Wien. Danke schön für das Gespräch.
    Ennser-Jedenastik: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.