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Patzende Philharmoniker

Zwar verdirbt ein verbeulter Horneinsatz noch keinen Sommerabend, aber der Holzbläsersatz der Wiener Philharmoniker wollte bei "Eugen Onegin" in Salzburg an etlichen Stellen einfach nicht recht harmonieren. Und bei den Geigern, so der Anfangsverdacht, muss irgendwo an den hinteren Pulten ein Hausmeister Dienst geschoben haben.

Von Frieder Reininghaus | 30.07.2007
    Achtung, Sehnsucht! Auf der großen Festspielbühne wartete zunächst eine einsame Person vor einem einsamen Fernsehapparat. Der zeigte eine brachliegende Bahnstrecke in unendlich einsamer Landschaft. Der theaterpädagogisch wertvolle Fingerzeig, wie die Biografie der Tatjana zu lesen sei, war so superwertvoll, dass Andrea Breth ihn zu Beginn der beiden folgenden Akte wiederholen ließ.

    Ansonsten bestellte die Hausregisseurin des Burgtheaters das Feld, das ihr der Bühnenbildner Martin Zehetgruber in eine hochherrschaftliche Wohnung gepflanzt hatte: Im Salon der Großgrundbesitzerin Larina, die zunächst noch im Morgenrock ihren Verrichtungen nachgeht, prangen die Ähren. Da wurde das Stichwort von der "russischen Kornkammer" zum wunderschönen Bild. Selbstverliebt dreht es mehrere Ehrenrunden. Im Schutz der Halme entwickeln die pummelige Olga und ihr Verlobter Lenski ein Maß an Vertraulichkeit, das auch im 19. Jahrhundert als vollständig schicklich gegolten hätte - Ekatarina Gubanova und Joseph Kaiser treffen dazu den rechten Ton der vertraulichen Gewöhnung. Er tenört sie an: "Ich liebe dich, wie nur eine Dichterseele lieben kann" - sie reibt sich derweil mit dem linken Unterschenkel einen Flohstich am rechten.

    Seht, so schön kann Russland sein! Peter Mattei aber bricht mit seiner imposanten Stimme und Statur in die Idylle, deren Fragilität wiederum mit theaterpädagogischer Deutlichkeit angezeigt wird: Vier Landarbeitern wurde der Schädel kahl rasiert. Tatjana hat eine der großen Frauenpartien des 19. Jahrhunderts zu bestreiten. Die noch junge russische Sopranistin Anna Samuil wächst in dieser Rolle und beweist in der finalen Auseinandersetzung mit dem unerhörten Geliebten großes Format.

    Den literarisch viel gerühmten Brief an den gebührend schnöselhaft vorgeführten Onegin tippt Tatjana Anna Samuil in eine Schreibmaschine älterer Bauart - Uniformen und Abendkleider der Festgesellschaft deuten die Spätaussiedlung der Handlung in die postsozialistische Ära an. Doch die Übertragung der von Puschkin im frühen 19. Jahrhundert charakterisierten gesellschaftlichen Verhältnisse bleibt so inkonsequent wie die Behandlung der Natur: Am Morgen nach dem Erntedankfest sind die Bäume kahl. Wahrscheinlich ist dies Dialektik. Oder eben doch wieder Didaktik: Seht, so kalt ist der Tatjana ums Herz!

    Bürgerliche Festlichkeit hat im Kunstsegment des Regietheater längst Konventionen der Brechung und Demontage hervorgebracht - Rituale des schlechten Benehmens und der Peinlichkeit: Erbrechen, Vergewaltigen und andere Formen der eiligen Lustbefriedigung. Andrea Breth sucht einen historischen Kompromiss: Den schönen Schein der alten oder neuen Bürgerlichkeit lässt sie annagen und ausfransen - die erwachsenen Söhne des Fürsten Gremin, dessen neue Frau Tatjana wird, rüpeln und schikanieren das Personal. Doch gewinnt diese Art eines derben Realismus nicht die Oberhand. Wenn am Ende Tatjana und Eugen, nachdem sie sich hastig zu ein paar Zwischenspieltakten ineinander verkrallt haben, doch nicht überein- und zusammenkommen, dann zeigen sich die beifallsträchtigen Vorzüge der genauen, auf Fisemadenten verzichtenden Personenregie.

    Also: Tristesse Breitwand über den süffigen absteigenden Sequenzen der Tonspur. Sie hat das Publikum fast ganz in Beschlag genommen, wiewohl die Wiener Philharmoniker, gerade auch im Großen Salzburger Festspielhaus, schon bessere Tage erleben duften. Zwar verdirbt ein verbeulter Horneinsatz noch keinen Sommerabend, aber der Holzbläsersatz der Nobelkapelle wollte etlichen Stellen einfach nicht recht harmonieren. Und bei den Geigern, so der Anfangsverdacht, muss irgendwo an den hinteren Pulten ein Hausmeister Dienst geschoben haben. Von den etatmäßigen Herren des Orchesters hatten vielleicht zu viele anderswo lukrative Verpflichtungen und in der Hochsaison werden womöglich sogar die Aushilfen knapp. So ließ die heikle Delikatesse von Tschaikowskys Musik, die im Hochpreis-Segment nun einmal erwartet werden darf, doch ein wenig zu wünschen übrig. Das Auftrumpfen der Tanzmusik und die musikdramaturgisch motivierten Derbheiten brachte Daniel Barenboim freilich zu gebührender Wirkung.