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Paul Gallico
Die Abenteuer einer schwanzlosen Keramik-Maus

Paul Gallicos Geschichte "Vom mutigen Manxmaus-Mäuserich" aus dem Jahr 1968 besticht noch heute durch ihren Witz und ihre einfallreichen Pointen. Gerade ist eine deutsche Neuausgabe mit Tuschezeichnungen von Linde Faas erschienen.

Von Angela Gutzeit | 29.08.2015
    Der "Manxmaus-Mäuserich" von Paul Gallico, so erzählte einmal Joanne K. Rowling, gehörte in ihrer Kindheit zu ihren absoluten Lieblingsbüchern. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass eine Figur aus Gallicos Maus-Geschichte in Rowlings "Harry Potter"-Bänden mit einer ganz ähnlichen Eigenschaft wieder auftaucht: Der "Klatterbampf", der Geist, der die Gestalt der Ängste anzunehmen vermag, die einen Menschen oder in diesem Fall eine Maus heimsuchen, ist das Vorbild für die Boggarts, die furchteinflößenden Gestaltwechsler, die in Rowlings Weltbestseller ihr Unwesen treiben.
    Autor zahlreicher Tiergeschichten
    Gallico schöpfte für seine Geschichten immer wieder aus dem reichen Fundus der Mythen, Märchen und Legenden. Aber der Amerikaner bewegte sich als Erzähler nicht nur auf dem Feld des Fantastischen. Für Erwachsene schrieb er z.B. Abenteuerromane. In "The Adventures of Hiram Holliday" von 1939 besucht ein Amerikaner Europa und wird in Kämpfe gegen die Nazis verwickelt. Und in seinem Buch "The Poseidon Adventure" von 1969 versuchen sich Passagiere von einem sinkenden Ozeanriesen zu retten. Und gleich vier Romane Gallicos handeln von den Erlebnissen der Londoner Putzfrau Mrs. Harris.
    Vor allen Dingen aber liebte Gallico Tiergeschichten, die er vorzugsweise für Kinder schrieb. So verfasste er beispielsweise nicht weniger als fünf Bücher über Katzen. In seinem Kinderbuch "Vom mutigen Manxmaus-Mäuserich", um das es hier gehen soll, spielt zwar auch ein Kater eine gewichtige Rolle. Aber der Held dieser Geschichte ist eben eine Maus oder konkreter: ein Manxmaus-Mäuserich, ein drolliges Kerlchen. Schon rein äußerlich eine Kuriosität:
    "Zunächst einmal war diese sogenannte Maus nicht grau, sondern völlig verrückterweise blau. Sie hatte einen dicken kleinen Körper wie ein Opossum, Hinterbeine wie ein Känguru, Vorderpfoten wie die eines Affen, und statt zart und durchsichtig und klein waren die Ohren lang und erinnerten ein wenig an Kaninchenohren."
    Statt "Übermaus" ein künstlerischer Totalschaden
    Sein Blick ist zärtlich und verschmitzt, wie es im ersten Kapitel, der Entstehungsgeschichte vom Manxmaus-Mäuserich heißt. Und vor allen Dingen – er verspürt keine Angst. Mit seiner Furchtlosigkeit besteht dieser kleine Bursche nicht nur eine Reihe von Abenteuern in diesem Buch. Er vermag auch dank dieser Eigenschaft seinem angeblichen Schicksal am Ende eine gütliche Wendung zu geben.
    Aber zunächst zur "Geschichte vom beschwipsten Mäusemacher" – so ist das erste und schönste Kapitel des Buches überschrieben. Der Schöpfer der kuriosen Maus ist ein Keramiker, der in einem kleinen Dorf im Herzen Englands lebt. Dieser fröhliche Mann modelliert nur Mäuse mit dem Ziel, eines Tages sein lebenslanges Werk mit einer, wie er es formuliert, perfekten "Übermaus" zu krönen.
    Eines Abends kommt er betrunken, aber heiter aus der Dorfschenke. Und auf einmal erwachen ungeahnte schöpferische Kräfte in ihm und ein Gedanke durchfährt ihn wie ein Blitz: "Jetzt! Jetzt genau in diesem Augenblick, hier und heute Nacht mache ich meine Übermaus! Endlich, endlich! Und in diesem Augenblick wusste er, dass er der größte Keramiker war, den die Welt jemals gekannt hatte, und dass die Maus, die er nun zu erschaffen gedachte, die schönste und vollkommenste sein würde, die er jemals gesehen hatte."
    Das Ergebnis dieses nächtlichen Höhenflugs erweist sich am nächsten Morgen als künstlerischer Totalschaden. In seinem Brennofen sitzt kein perfektes Ton-Tier, sondern ein seltsames Gebilde, eine Manxmaus. Manxmaus, weil der Schwanz fehlt, wie den tatsächlich existierenden Manx-Katzen auf der Isle of Man in der Irischen See. Und hierhin führt auch der Spannungsbogen in Gallicos Kinderroman. Denn der plötzlich putzmuntere Manxmaus-Mäuserich entwischt dem Keramiker und geht auf Entdeckungsreise.
    Kein großer Schriftsteller im literarischen Sinn
    Seltsamerweise wissen alle Kreaturen, denen er auf seiner Tour durch die Welt begegnet, dass er unabänderlich irgendwann die Beute des Manx-Katers werden wird. Das sei seine Bestimmung, meint zum Beispiel der Frosch: "Der Manxkater ist ein Kater ohne Schwanz, und sobald du ihn siehst, musst du sofort weglaufen. Gewöhnliche Kater fressen gewöhnliche Mäuse; Manxkater fressen Manxmäuse. Das ist ein Gesetz."
    Den Mäuserich beschleicht zwar keine Angst, aber doch eine gewisse düstere Vorahnung. Und damit wird eine Spur gelegt, die die eher lose verbundenen Episoden zusammenhält. Ansonsten geht Paul Gallico etwas wurschtig mit der Konstruktion und inneren Logik seiner Geschichte um. Ein Beispiel: Nachdem der Mäuserich dem verdutzten Keramiker entlaufen ist, fertigt ihn der forsche Erzähler mit der Bemerkung ab: "Und damit hat der Keramiker seine Rolle gespielt und verschwindet nun aus unserer Geschichte."
    Sagen wir so: Paul Gallico war im literarischen Sinn kein großer Schriftsteller. Sein Buch von 1941, das ihn berühmt machte und mehrfach verfilmt wurde, "The Snow Goose", und z. B. der Puppenspieler-Roman "Love of Seven Dolls" von 1954 sind hoffnungslos sentimental. Hinzu kommt, dass Gallico es selten mal bei einer Andeutung belassen kann, um eine literarische Wirkung zu evozieren. Er muss alles aus- und beschreiben.
    In der Tradition der Tierfabel
    Allerdings – Gallico hat Witz. In seinem Manxmaus-Buch versteht er es, das allzu Anrührende durch komische Szenen zu unterminieren. Und so sind ihm in diesem Buch atmosphärisch dichte Geschichten gelungen – mit einem erfrischend klaren Blick für die allzu menschlichen Stärken und Schwächen, die sich in Gallicos zumeist tierischen Figuren widerspiegeln. Wie zum Beispiel in der "Geschichte von der großen Bumbletoner Mäusejagd". Ganz in der Tradition der Tierfabel, die ja zumeist eine moralische Schlusspointe bereithält, hilft der Manx-Mäuserich einem erschöpften Fuchs, sich vor einer Jagdmeute in Sicherheit zu bringen. Der Winzling lenkt die Hunde mit dem Taschentuch des Fuchses auf eine falsche Spur. Als die Hunde den vermeintlichen Fuchs gestellt haben, deuten sie gegenüber der betretenen Jagdgesellschaft ihren kümmerlichen Fang in einen grandiosen Erfolg um. Die Schläue des Kleinen entblößt, so kann man es lesen, die Dummheit der Großen.
    "Wir haben Ihnen einen Manx gefangen."
    "Sie haben mir was gefangen?"
    "Einen Manx, Herr Baron."
    Da kreischte Fräulein Dideldum, die einmal genau hingeguckt hatte, laut auf.
    "Das ist aber doch nur eine Maus! Und eine ganz abscheuliche noch dazu!"
    Ob der blaue Mäuserich auf den technikbesessenen Flugkapitän Habicht trifft oder auf den entlaufenen Tiger Burra Khan, der wieder zurück will in seinen Zirkuskäfig – Paul Gallicos Kinderbuch lebt von diesen witzigen und einfallsreichen Pointen, die übrigens die Illustratorin Linde Faas in ihren zarten Tuschezeichnungen hervorragend einzufangen wusste.
    Paul Gallico: "Vom mutigen Manxmaus-Mäuserich"
    Mit Illustrationen von Linde Faas. Aus dem Englischen von Adolf Himmel
    Verlag Urachhaus, Stuttgart 2015, 205 Seiten, 15,90 Euro.