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Paula Yacoubian
Libanons erste unabhängige Parlamentarierin

Die Politikjournalistin Paula Yacoubian hat lange zugesehen, wie sich im Libanon nichts änderte. Jetzt hat sie sich in die Nationalversammlung wählen lassen. Sie ist die einzige unabhängige Abgeordnete in einem Politikbetrieb, in dem eine Parteibindung traditionell viel zählt.

Von Nina Amin | 09.06.2018
    Die frischgewählte armenisch-libanesische Parlamentarierin Paula Yacoubian vor dem Parlament in Beirut, der Hauptstadt Libanons
    Die frischgewählte armenisch-libanesische Parlamentarierin Paula Yacoubian vor dem Parlament in Beirut, der Hauptstadt Libanons (AFP / Anwar Amro)
    Paula Yacoubians kleines Büro im neuen Parlamentsgebäude in Beirut wirkt noch kahl. Schlichtes Ledersofa, großer Schreibtisch, aber an den Wänden hängt: nichts. Schokolade und Datteln stehen dafür bereit, für die ersten Besucher in ihrem neuen Amtssitz.
    Als einzige unabhängige Frau wurde Paula Yacoubian bei der Parlamentswahl Anfang Mai in die libanesische Nationalversammlung gewählt. An ihrer ersten Parlamentssitzung hat die frühere Fernsehjournalistin schon teilgenommen:
    "Es war gut. Trotzdem habe ich gespürt, wie sehr sie versuchten, mich im Schach zu halten. Ich bin die einzige Außenseiterin. Alle von denen sind Teil des Systems, Teil der politischen Parteien, die dieses Land regieren. Auch die, die sich selbst Opposition nennen, sind Teil des Systems."
    Im Libanon regiert der religiöse Proporz
    18 anerkannte Religionsgruppen leben im Libanon. Alle haben ihren Schutzherren, der für seine Klientel Politik macht. Und durch religiösen Proporz im Parlament vertreten sein muss.
    Paula Yacoubian kennt das System gut: Jahrelang hatte die Journalistin in ihrer Politiksendung die verschiedensten Politiker zu Gast. Jeder im Libanon kennt ihr Gesicht. Sie meint, unabhängig zu sein. Dass sie für den Privatsender des damaligen und heute amtierenden Ministerpräsidenten Saad Hariri gearbeitet hat, habe keinen Einfluss auf ihre politische Arbeit:
    "Ich gehörte nie zu seiner politischen Bewegung oder seiner Partei. Ich hatte wirklich gehofft, dass sich die Lage verbessern wird. Dass wir eine Korrektur unseres Systems erleben. Die Art, wie regiert wird. Bis ich verstanden habe: Gar nichts wird sich ändern."
    Wenig Staat, viel klientelistische Politik
    Sie weiß, was sie ändern will. Die Libanesin mit armenischen Wurzeln ist in einem christlichen Viertel in Beirut aufgewachsen. Sie stammt aus einer Familie, die den Völkermord an den Armeniern vor gut 100 Jahren miterlebt hat. Ihr Vater überlebte. Der Libanon wurde Zufluchtsort. Hier, so Yacoubian, sei ihre Heimat. Und in der will sie die Libanesen vereint sehen. Egal ob Christ, Schiit, Sunnit oder Druse.
    Aber einen libanesischen Staat gebe es derzeit nicht:
    "Jeder sagt, ich versuche, das meiste für meine Leute heraus zu holen, mehr Rechte, mehr Sozialleistungen. Das stimmt aber nicht. Die holen nur mehr staatliche Leistungen für ihre Familien, für ihre Großfamilien. Das libanesische Volk bekommt gar nichts. Außer Müll, Umweltverschmutzung und Korruption."
    Neue Bürgerbewegung gegen schlechte Regierungsführung
    Das kleine Land am Mittelmeer hat große Probleme: Das Stromnetz bricht immer wieder zusammen. Die Müllentsorgung ist katastrophal, das Meer verschmutzt.
    Weil eben in dem Nicht-Staat Libanon öffentliche Aufgaben von mafiösen Clans dominiert sind. Immer mehr Libanesen wehren sich dagegen und werden aktiv. Paula Yacoubian ist Teil einer neuen Bürgerbewegung. Sie hat bei der Wahl von dem neuen Wahlgesetz profitiert, das Außenseitern den Gewinn von Sitzen auf Kosten des Establishments erleichtert:
    "Wir haben Leute auf unserer Seite, die auf die Straße gehen und sich gegen Projekte auflehnen werden, die schlecht für unsere Gesundheit sind, für unsere Umwelt und für alles, für das wir stehen."
    "Nur im Jemen sind Frauen noch schlechter repräsentiert"
    Ein weiterer Punkt auf ihrer Agenda: Mehr Frauen in die Politik zu bekommen. Unter 128 Abgeordneten sind gerade einmal 6 Frauen. Yacoubian will das ändern:
    "Nur im Jemen sind Frauen noch schlechter repräsentiert als hier. Ich habe beim Parlamentspräsidenten eine bessere Quote verlangt. Und ich werde auch von Regierungschef Hariri eine mindestens 25-prozentige Frauenquote in der Regierung fordern."
    Ihre Kritik richtet sich nicht nur gegen die Regierung. Der libanesische Lebensstil sei nicht normal, meint die Geschäftsfrau, die mit einer eigenen Kommunikationsagentur ihren Lebensunterhalt verdient, selbstkritisch. Die Libanesen müssen sich ändern, eine stärkere Verbindung zu ihrem Land aufbauen:
    "Eine Frau wird schwanger, dann hält sie Ausschau nach einem Land, wo sie ihr Kind zur Welt bringen kann. Damit dies den Pass des Landes bekommt. Und wenn es keinen Pass bekommt, weil die Familie nicht die finanziellen Mittel dafür hat – denn das kostet natürlich viel –, dann schicken sie ihr Kind als Erwachsener an ausländische Unis und versuchen dafür ein Visum zu bekommen."
    "Im Libanon zu leben ist wie neben einem Vulkan zu leben"
    Die besten Köpfe des Landes verlassen so seit Jahren den Libanon. Als Mutter eines 13-jährigen Sohnes hofft sie, dass ihr Kind später in Beirut bleiben wird. Trotzdem – auch er hat einen zweiten Pass, einen amerikanischen – wie sein Vater:
    "Im Libanon zu leben ist wie neben einem Vulkan zu leben: Du weißt nie, wann er ausbricht. Die Situation um uns herum ist verrückt. Wir haben nicht die beste Nachbarschaft. Ja, es ist nicht einfach, aber es ist mein Traum: Eine Zukunft für unsere Kinder in diesem Land zu haben."
    Auf die nächste Generation hofft Paula Yacoubian auch bei den nächsten Wahlen in vier Jahren: Dass die jungen Libanesen den herrschenden Clans und Parteien abschwören und mehr Parlamentsmitglieder wählen, die sich um die Probleme aller Libanesen kümmern. Auch daran will die einzige unabhängige libanesische Parlamentarierin arbeiten.