Donnerstag, 28. März 2024

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Pax Christi
NGOs bekommen in Israel das "Stigma des Verräters"

Die katholische Friedensorganisation "Pax Christi" befürchtet, dass das neue NGO-Gesetz in Israel ihre Arbeit deutlich einschränken wird. Der Sprecher der Nahost-Kommission, Manfred Budzinski, sagte im DLF, es gebe schon längere Zeit ein Klima gegen Nichtregierungsorganisationen, vor allem gegen solche, "die sich gewaltfrei gegen die Besatzung engagieren".

Manfred Budzinski im Gespräch mit Peter Kapern | 12.07.2016
    Die israelische Flagge weht am 07.04.2016 hinter Stacheldraht in der Altstadt von Jerusalem.
    Die katholische Friedensorganisation "Pax Christi" befürchtet, dass das neue NGO-Gesetz in Israel zu deutlichen Einschränkungen führen wird. (dpa / picture alliance / Carsten Rehder)
    Auch Organisationen, die sich für Bürgerrechte, Migranten oder Flüchtlinge einsetzten, könnten Schwierigkeiten bekommen, weil das Gesetz auch im annektierten Ost-Jerusalem und auf den Golan-Höhen gelten solle, sagte Budzinski. "Wir haben den Eindruck dass sie bloßgestellt werden sollen, dass ihre Arbeit delegitimiert wird, dass sie als Kritiker mundtot gemacht und eingeschüchtert werden."
    Eine Notwendigkeit für das Gesetz gebe es nicht, meinte Budzinski. Nichtregierungsorganisationen legten seit fünf Jahren offen, von wem sie welche Mittel bekommen. Außerdem müssten sie vier Mal im Jahr Berichte abgeben. "Die Transparenz ist da." Dagegen fehle sie bei siedlernahen Organisationen, "die massive private Spenden vor allem aus den USA bekommen".
    Budzinski beklagte, es herrsche seit Längerem ein Klima gegen Nichtregierungsorganisationen vor, vor allem gegen solche, die sich gewaltfrei gegen die Besatzung engagieren und dann das "Stigma des Verräters" bekämen. Zwar habe es umfassende Proteste gegen das Gesetz gegeben, die aber offensichtlich nicht ausreichend gewesen seien.

    Das komplette Interview zum Nachhören:
    Peter Kapern: Am Telefon ist Manfred Budzinski, der Sprecher der Nahost-Kommission der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, die vielfältig im Nahen Osten aktiv ist. Guten Morgen, Herr Budzinski.
    Manfred Budzinski: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Wie bewerten Sie das israelische NGO-Gesetz?
    Budzinski: Sie haben es ja gerade schon von Ihrem Bericht gehört. Wir sehen, dass da einfach Menschenrechtsorganisationen vor allem betroffen sind, aber es sind auch andere Organisationen, die sich für Bürgerrechte einsetzen, für Migranten und Flüchtlingsrechte, für Frieden, Kulturvereine. Und es geht auch um jüdisch-israelische, um arabisch-israelische und palästinensische Organisationen, denn dieses Gesetz wird auch im annektierten Ostjerusalem und in den annektierten Golanhöhen gelten.
    Kapern: Und wie wird das die Arbeit dieser Organisationen, die Sie da gerade genannt haben - und mit vielen davon arbeiten Sie ja zusammen -, beeinflussen?
    Budzinski: Zum einen, was es für die Organisationen bedeutet: Wir haben den Eindruck und die Organisationen auch, dass sie bloßgestellt werden sollen, dass ihre Arbeit delegitimiert wird - es wurde ja gerade schon gesagt, gebrandmarkt -, dass sie zum Schweigen gebracht werden, isoliert werden, dass sie im Grunde ein Stigma bekommen, dass sie als Kritiker mundtot gemacht werden sollen und dass sie auch dadurch eingeschüchtert werden. Und jetzt mal konkret: Wenn eine Organisation wie zum Beispiel Hamoked recht viele Anwälte hat, die sie dann nicht mehr bezahlen können, weil sie einerseits vielleicht aus dem Ausland weniger Unterstützung bekommen und andererseits aufgrund der Bedrohung gegen sie selbst auch dann überlegen, sollen wir das überhaupt machen, dann haben sie weniger Anwälte, die Betroffene von Menschenrechtsverletzungen unterstützen können. Oder die Organisation Medsalem, die von der deutschen Bundesregierung unterstützt wird, aber auch von den kirchlichen Organisationen wie EED oder Misereor, die wird dann vielleicht weniger Field Researcher haben, die in Hebron oder anderswo das dokumentieren, was an Menschenrechtsverletzungen passiert.
    Kapern: Was glauben Sie, Herr Budzinski, wie das Klima, das politische Klima in einem Land ist, in dem Gelder aus dem Ausland, die man für seine Menschenrechtsarbeit, für seine zivilgesellschaftliche Arbeit bekommt, als Stigma gelten, als stigmatisierungswürdig gelten?
    Budzinsik: NGO arbeiten schon lange transparent
    Budzinski: Zum einen wollte ich noch mal sagen, dass das Gesetz ja auch gar nicht notwendig wäre. Das wird fälschlicherweise einfach behauptet, die Nichtregierungsorganisationen wären nicht transparent in dem, was sie bekommen. Dabei seit fünf Jahren stellen die das auf ihrer Homepage dar, von wem sie welche Mittel bekommen. Und viermal im Jahr müssen sie Berichte abgeben. Es ist doch alles bekannt.
    Kapern: Transparenz ist gegeben?
    Budzinski: Die Transparenz ist da. Die Transparenz ist allerdings zum Beispiel nicht da, wie in Ihrem Beitrag gesagt wurde, von den siedlernahen Organisationen, die massive private Spenden vor allem aus den USA bekommen.
    Kapern: Das heißt, das Argument, das Benjamin Netanjahu, der Ministerpräsident, auch in der vergangenen Nacht wieder in der Knesset angeführt hat, nämlich dass es um die Herstellung von Transparenz geht, das trifft gar nicht zu?
    Budzinski: Ja. - Und Sie hatten ja noch mal gefragt wegen des politischen Klimas. Ich denke, man muss da einerseits sehen: Wir haben fast 50 Jahre Besatzung und kein Ende in Sicht. Wir haben einen massiven Rechtsruck in der israelischen Politik. Andererseits gibt es über 200 ehemalige Generäle und so weiter, von Armee, Geheimdienst, Polizei, die erst Ende Juni gefordert haben, dass man die Siedlungen stoppt. Oder der Tel Aviver Bürgermeister hat nach einem Anschlag gesagt, dass er für das Ende der Besatzung ist. Oder die USA vor Kurzem in der "FAZ", Israel untergräbt Friedenslösung. Es gibt einen systematischen Prozess der Landbeschlagnahme und Siedlungsaushaltung. Das ist, ich sage mal so, der Hintergrund. Und andererseits gibt es schon längere Zeit ein Klima gegen Nichtregierungsorganisationen, vor allem solche, die sich gewaltfrei gegen die Besatzung engagieren, die auch Regierungspolitik kritisieren, die etwas aufdecken und dann das Stigma des Verräters bekommen oder des Agenten ausländischer Politik, wie sie genannt werden.
    Kapern: Diese ausländische Politik wird ja damit gewissermaßen in den Zusammenhang der Israelfeindlichkeit gerückt. Das betrifft nun auch Gelder, wie Sie es eben selbst geschildert haben, die aus Deutschland nach Israel fließen, von der Bundesregierung.
    Budzinski: Ja.
    Kapern: Wie beurteilen Sie denn den Umgang der Bundespolitik mit diesem Gesetzesvorhaben, mit diesem Gesetz in Israel bislang?
    Budzinsik: EU-Assoziationsvertrag mit Israel könnte ausgesetzt werden
    Budzinski: Die Bundesregierung hat wohl frühzeitig schon dagegen protestiert und immer wieder auch war sie vorstellig, so wie wir es kürzlich erst im Auswärtigen Amt gehört haben. Auch die Abgeordneten haben in ihren Kontakten ihre große Besorgnis ausgedrückt, auch die europäischen Abgeordneten. Ob das reicht oder gereicht hat, das sehen wir ja jetzt dadurch, dass das Gesetz doch im Grunde durchgekommen ist.
    Kapern: Was würden Sie denn erwarten von den Regierungen in Berlin, in den anderen europäischen Hauptstädten, deren Arbeit ja jetzt, deren Unterstützung für solche Menschenrechtsorganisationen ja jetzt als israelfeindlich offiziell dargestellt wird?
    Budzinski: Zum einen trifft es jetzt auch nicht nur dann Mittel von, ich sage mal, der Bundesregierung, sondern sicher auch von den parteinahen Stiftungen, die ja auch sehr aktiv in der Region sind. Und vielleicht auch sogar von kirchlichen Organisationen, die ja auch staatliche Mittel bekommen. Es gibt zum Beispiel im EU-Assoziationsvertrag mit Israel, wonach Israel praktisch gleichgestellt ist, keine Zölle zahlt und so, die Menschenrechtsklausel. Die könnte man ja durchaus auch ziehen und sagen, wenn jetzt zusätzlich auch die Menschenrechtsverteidiger behindert werden und es nicht nur zu Menschenrechtsverletzungen kommt, dann könnte man das aussetzen.
    Kapern: Das Assoziationsabkommen meinen Sie?
    Budzinski: Das Assoziationsabkommen, wäre eine Möglichkeit. Und es gibt auch Drittstaaten-Regelungen ja in anderen Verträgen zwischen EU und Israel.
    Kapern: Manfred Budzinski, der Sprecher der Nahost-Kommission der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, heute Früh bei uns hier im Deutschlandfunk. Herr Budzinski, vielen Dank für Ihre Einschätzungen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag! Danke für das Interview!
    Budzinski: Gerne! Wünsche ich Ihnen auch, Herr Kapern.
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.