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Pee-cycling
Aus Urin entstehen Leuchtstoffe für die Diagnostik

Quantenpunkte sind winzig kleine Gebilde, die hell leuchten, wenn sie mit energiereichem Licht angeregt werden. Daher werden sie auch gerne als Farbstoff verwendet - zum Beispiel für die Mikroskopie an lebenden Zellen. Im Fachmagazin "Green Chemistry" beschreiben nun US-Forscher, wie man die Winzlinge aus einem ganz besonderen Abfallstoff gewinnen kann.

Von Arndt Reuning | 26.11.2015
    "Derzeit ist es nichts anderes als ein Abfallstoff ohne Wert. Wir dachten uns, dass es doch ein großer Fortschritt wäre, wenn wir unseren Kollegen aus der Nanoforschung zeigen könnten: Aus diesem nutzlosen Abfall lassen sich wertvolle Materialien herstellen, die sich für eine Vielzahl von Anwendungen eignen."
    Bei dem Abfallstoff, von dem Gary Baker hier spricht, handelt es sich um Urin. Er dient dem Chemiker von der University of Missouri-Columbia als Ausgangsstoff für die Herstellung von leuchtenden Quantenpunkten. "Pee-dots" nennt er sie, auf Deutsch also etwa Pipi-Punkte. Gut einen halben Liter der Körperflüssigkeit musste Baker sammeln, um genug Harnstoff für die Synthese zusammen zu bekommen. Zunächst erhitzte er den Urin in einem Glaskolben, um das Wasser daraus zu verdampfen. Was als Feststoff übrig blieb, zersetzte der Forscher bei einer Temperatur von 200 Grad Celsius. Zum Aufheizen griff er dabei auf eher ungewöhnliche Komponenten zurück: Eine Aluminium-Kuchenform, gefüllt mit kleinen Metallkügelchen.
    "Wir haben Luftgewehrkugeln aus Kupfer dafür genommen. Wie Kinder sie benutzen, um damit Blechdosen von einer Mauer zu schießen. Für uns war das einfach ein sehr preiswertes Heizbad. Die Temperatur lässt sich damit sehr fein einstellen. Wir haben unseren Glaskolben zwischen den Metallkugeln platziert. Die Kuchenform stand auf einer Kochplatte und diente uns als improvisiertes Heizgefäß."
    Quantenpunkte, die hell aufleuchteten
    Nach zwölf Stunden war der Harnstoff aus dem Urin förmlich verkohlt. Nur noch ein schwarzes Pulver war übrig geblieben, das sich in Wasser auflösen ließ. Aufnahmen mit dem Elektronenmikroskop zeigten, dass es sich um kleine, kugelförmige Partikel handelte, zwischen 10 und 30 Nanometern im Durchmesser. Quantenpunkte, die hell aufleuchteten, wenn sie mit blauem Licht angeregt wurden. Biokompatible Fluoreszenzfarbstoffe für die Mikroskopie von Zellen.
    "Wir konnten zeigen, dass sie sich für diese spezielle Anwendung tatsächlich eigenen. Wir haben zwei verschiedene Zelllinien mit ihnen markiert: zum einen Zellen aus dem Bindegewebe von Mausembryonen und zum anderen menschliche Brustkrebszellen. Man kann sich damit die Gestalt der Zellen anschauen, dysfunktionale Zellen, sterbende Zellen. Im Grunde genommen sind die Quantenpunkte kleine Glühbirnen, die das Zellinnere abbilden."
    Neben der Mikroskopie sieht Gary Baker noch eine zweite Anwendungsmöglichkeit für seine Pipi-Punkte: Ihre Fluoreszenz erlischt nämlich, wenn bestimmte Schwermetalle in ihrer Lösung vorliegen.
    "Diese Quantenpunkte können also verwendet werden, um zum Beispiel unerwünschte Metallverbindungen im Trinkwasser nachzuweisen. Zwei Metalle, auf die sie ansprechen, sind Kupfer und Quecksilber, also für die Umwelt durchaus relevante Elemente. Gibt man unsere Punkte in reines Trinkwasser, dann fluoreszieren sie. Wenn in dem Wasser aber schon geringe Spuren von Kupfer oder Quecksilber zu finden sind, wird das Leuchten ausgelöscht. Daher weiß man dann, dass es als Trinkwasser nicht zu gebrauchen ist."
    Kohlenstoff aus Urin - dieses Thema wird Gary Baker so schnell nicht loslassen. Gerade arbeitet er daran, den Abfallstoff zu weiteren wertvollen Materialien zu verarbeiten. So hat er Hinweise darauf gefunden, dass sich aus dem Harnstoff Graphen herstellen lässt, also einzelne wabenförmige Schichten aus Kohlenstoffatomen, eine begehrte Substanz für stabile Verbundwerkstoffe.