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Peer Steinbrück "hat sich an alle Regeln gehalten"

Peer Steinbrück habe seine Nebeneinkünfte offengelegt und damit Transparenz bewiesen, sagt Marco Bülow. Union und FDP seien dazu nicht bereit. Grundsätzlich habe ein Bundestagsabgeordneter einen Fulltimejob. Zeitaufwendige Sitze in Aufsichtsräten seien da kaum zu bewältigen, so der SPD-Politiker.

Marco Bülow im Gespräch mit Dirk Müller | 31.10.2012
    Dirk Müller: Erst wollte er nicht, dann wollte er doch, nun hat er alles offengelegt, sogar noch mit einem Eingeständnis. "Zwei Honorare hatte ich vergessen anzugeben", sagt Peer Steinbrück. Er ist aus der politischen Klemme in die transparente Offensive gegangen. Vorträge im Wert von über 1,2 Millionen Euro in drei Jahren, ein respektabler Schnitt für einen amtierenden Abgeordneten, der ja auch noch Politik im Parlament machen will, oder machen soll.

    Wie viele Lobbyisten spielen in Berlin eine Rolle, am Rande von offiziellen Vorträgen, von Konferenzen, bei Hintergrundgesprächen, in Hinterzimmern' Wer beeinflusst wie und wen im Bundestag? Darüber sprechen wollen wir mit dem SPD-Bundestagspolitiker Marco Bülow. Er ist in seiner Fraktion zuständig für Energiepolitik, für diejenigen, die Einfluss nehmen wollen, also äußerst interessant. Und Marco Bülow hat sich auf die Fahnen geschrieben, äußerst transparent und offen zu sein. Er ist jetzt bei uns am Telefon – guten Morgen.

    Marco Bülow: Ja, schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Bülow, was bekommen Sie für einen Vortrag?

    Bülow: Ich halte keine Vorträge gegen Geld, liegt aber auch daran, dass ich nicht Minister war und ich sicherlich nicht die Angebote kriege, die Herr Steinbrück hat. Ich habe höchstens mal so kleinere Aufträge. Aber wenn ich zu meinem Thema rede, zur Energiepolitik, dann mache ich das natürlich als Abgeordneter und verlange dafür kein Honorar.

    Müller: Weil das zu Ihrem Selbstverständnis dazugehört?

    Bülow: Ja, weil ich das von Anfang an für mich auch als Regel aufgestellt habe, dass ich in dem Bereich, wo ich im Bundestag tätig bin, wodurch ich ja auch dann nur interessant bin für Vorträge, kein zusätzliches Geld einnehmen werde. Dass ich zwischendurch auch Beiträge schreibe, oder auch ein Buch geschrieben habe, das ist natürlich was anderes und dafür nehme ich dann auch ein Honorar, aber werde das auch immer offenlegen und habe das von Anfang an auch getan.

    Müller: Ist das schwierig, das zu trennen?

    Bülow: Ja, manchmal ist es sicherlich schwierig. Aber ich glaube, bei bestimmten Aufträgen, oder wenn man in Aufsichtsräten oder sonst was sitzt, dann ist es relativ klar, warum man da sitzt und dass das sicherlich nichts mit der früheren Berufung zu tun hat, die man hatte, sondern mit der neuen. Wenn aber Anwälte zum Beispiel in den Bundestag gehen und dann eben noch Fälle weiterhin bearbeiten, dann finde ich das sogar richtig, weil sie sich eine gewisse Unabhängigkeit beibehalten, und dann haben sie ja praktisch diesen Beruf schon vorher gehabt. Ich war vorher Journalist, deswegen gehörte Schreiben auch schon vorher zu meinem Handwerk, und von daher, glaube ich, kann man schon ungefähr erkennen, was man denn vorher mitbringt an Tätigkeit in den Bundestag und welche Pfründe oder Kontakte man sich erst dann erwirbt im Bundestag.

    Müller: Sitzen Sie, Herr Bülow, in einem Aufsichtsrat?

    Bülow: Nein, ich sitze in keinem Aufsichtsrat.

    Müller: Schon mal gefragt worden?

    Bülow: Ja, da gab es schon ein, zwei Möglichkeiten. Ich habe das aber bis jetzt immer auch abgelehnt, obwohl ich es nicht schlimm finde, wenn man auch in einem Aufsichtsrat sitzt. Ich weiß nur: wenn man wirklich seine Arbeit ernst nimmt in einem Aufsichtsrat, dann ist das eine Menge Arbeit, und leider habe ich häufig das Gefühl, dass die Aufsichtsräte nicht wirklich ein Unternehmen kontrollieren, sondern dass dann ja häufig die Vorstandsvorsitzenden und Vorstandsmenschen bei anderen Unternehmen im Aufsichtsrat sitzen und auf der anderen Seite dann genau das Spiegelbild da ist und die Aufsichtskontrolle nicht wirklich ernst genommen wird. Ansonsten hätten wir vielleicht auch einige Dinge in der Vergangenheit vermeiden können.

    Müller: Weil man meistens dann doch eher am Dinner interessiert ist?

    Bülow: Ja das will ich gar nicht sagen, am Dinner. Aber weil man, wie gesagt, wenn man das ernst nimmt, sich da stark in die Materie einarbeiten muss, und da sitzen aber häufig Leute, die mit dem Thema nicht unbedingt vertraut sind. Und wenn sie das ernst meinen, dann ist das schon, ich will nicht sagen, ein Fulltime-Job, aber dann hat ein Aufsichtsrat schon mehr als nur man guckt mal in die Unterlagen rein, geht da zu den Treffen hin und fährt dann wieder nach Hause, sondern dann muss man wirklich am Ball bleiben und dann muss man kritisch alles beleuchten, und das stelle ich mal in Frage, nicht bei allen, aber relativ vielen, und ich stelle mal in Frage, ob man als Abgeordneter viele Aufsichtsräte überhaupt leisten kann, weil ein Bundestagsabgeordneter ist wirklich ein Fulltime-Job. Und wenn ich dann noch meinen Wahlkreis betreue und nicht nur in Berlin sitze, dann habe ich locker eine 50-, 60-, manchmal eine 70-Stunden-Woche, und da frage ich mich, das müssen schon Künstler sein, wie man dann noch ein paar Aufsichtsräte unterbringen kann.

    Müller: Haben Sie das Peer Steinbrück schon gesagt, "Sie sind ein Künstler?"

    Bülow: Also davon ab glaube ich, dass Peer Steinbrück wirklich sehr effizient arbeitet, und bei ihm sind es ja auch hauptsächlich Vorträge gewesen, die er nun ziemlich aus dem Ärmel schüttelt, und nicht Aufsichtsräte. Das ist dann, glaube ich, noch ein bisschen was anderes, als diese permanente Arbeit. Und bei ihm ist es wirklich so, da bin ich fest von überzeugt, dass er da eine Fachahnung hat bei den Vorträgen, die er gehalten hat, ich habe auch welche gehört, und so in dem Thema drin ist, dass es da auch nicht mehr eine große Vorbereitung noch geben muss.

    Müller: Aber Sie haben ja eben gesagt, das gehört zu Ihrem Selbstverständnis dazu, dass man über sein Thema auch redet. Wenn Steinbrück über sein Thema, nämlich die Finanzmärkte, bei Finanzinstituten redet, ist das bei ihm dann anders zu bewerten?

    Bülow: Nein, das ist nicht anders zu bewerten. Aber das ist meine Lesart, wie ich es mache. Peer Steinbrück hat es bis jetzt anders gemacht. Aber das ist bei fast allen Abgeordneten so, deswegen habe ich das jetzt erst mal nicht per se zu kritisieren. Er hat sich an alle Regeln gehalten und vor allen Dingen Union und FDP meinten, er muss transparent sein. Das hat er jetzt gemacht. Sie selber sind aber nicht bereit, transparent zu sein. Wenn, dann muss man die Regeln insgesamt im Bundestag ändern. Dafür setze ich mich ein, und dann werden das alle tun. Und ich habe was dagegen, wirklich eine Hetzjagd immer auf eine Person zu starten. Es ist schon interessant, dass ich mich seit zwei, drei Jahren für eine Änderung bei den Nebentätigkeiten einsetze, das machen noch ein paar andere Abgeordnete, aber bis dahin, bis zu Peer Steinbrück hat das keinen Menschen interessiert und es ist auch nicht sehr in der Öffentlichkeit, das Thema. Und ich rege mich schon ein bisschen darüber auf, dass das jetzt alles so hochgekommen ist und leider vorher nicht darüber berichtet worden ist und leider vorher die Generalsekretäre von Union und FDP keine Transparenz gefordert haben und auch ja jetzt keine Transparenz haben wollen. Also es ist ja eigentlich nur eine Personalisierung, und gegen eine Personalisierung in der Politik habe ich genauso was wie gegen Intransparenz.

    Müller: Marco Bülow, wenn Sie sagen, das kostet ja alles viel Zeit, dieses Abgeordnetenmandat, 50, 60 Stunden. Wenn man Generalsekretär ist – ich weiß jetzt gar nicht, an wen ich denke -, bei den Liberalen zum Beispiel, dann wird das ja vermutlich noch dazukommen. Das heißt, das wird ja noch mehr Arbeit sein, also Bundestagsabgeordneter und dann Generalsekretär einer Partei. Und wenn man dann im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn sitzt und verdient ja damit auch Geld, was will Patrick Döring dort?

    Bülow: Ja da müssen Sie ihn selbst fragen. Aber wie gesagt: Wenn das nicht sein ureigenstes Fachthema ist, dann muss er sehr viel Zeit in so einen Aufsichtsrat stecken, wenn er den wirklich ernst nimmt. Und dann frage ich mich natürlich schon, wie schnell ein Abgeordneter da an Grenzen kommt – erst recht, wenn er noch Generalsekretär ist oder andere wichtige Aufgaben in der Partei hat. Es ist ja auch im Prinzip bei allen Parteien ein bisschen so. Da stößt man sehr schnell an die Grenzen. Natürlich ist eine Fraktion eine Gemeinschaft, und dann kann eine Fraktion ein anderes Fraktionsmitglied entlasten in einigen Bereichen, und es gibt immer welche, die mehr machen als andere. Trotzdem sollte es natürlich sein, dass man sein Fraktionsmandat, egal was man sonst tut, ernst nimmt, und wenn man es ernst nimmt, dann kommt man da nicht mit einem Halbtags-Job weg.

    Müller: Wie viele Lobbyisten melden sich denn bei Ihnen täglich?

    Bülow: Das kann man kaum zählen. Wir haben das mal gemacht, das sind ungefähr 200 Kontakte in der Woche. Die rufen jetzt nicht alle an und bitten um ein Gespräch, sondern das sind natürlich auch Einladungen, das sind Pressemitteilungen und so weiter. Aber es kommen jeden Tag mehrere Dutzend eigentlich rein an solchen Kontakten, und es gibt jeden Tag in der Sitzungswoche mindestens 10, 15 Möglichkeiten, an irgendwelchen Treffen teilzunehmen, irgendwelche Gespräche zu führen und so weiter. Wenn man das nicht selber eingrenzt, würde man nichts anderes mehr machen. Das Problem ist dabei: Ich habe gar nichts dagegen, dass es Lobbyisten gibt und dass sie natürlich ihre Meinung kund geben. Das Problem dabei ist: Diejenigen, die viel Geld haben, die viele Lobbyisten in Berlin haben, haben dadurch einen viel größeren Einfluss als diejenigen, vielleicht mittelständische Unternehmen oder kleine Initiativen, die eben nicht eigene Mitarbeiter für Lobbyismus haben, keine eigenen Stellen haben, keine teueren Abendessen ausrichten können und deren Meinung man dann eben nicht hört, wenn man hauptsächlich sich bei Treffen mit den Großlobbyisten, mit den, sage ich mal, vermögenden Lobbyisten aufhält.

    Müller: Dann sind die Reichen und die Mächtigen, wie man so allgemein sagt, tatsächlich auch diejenigen, die das Geschehen bestimmen?

    Bülow: Ja, es gibt ein riesiges Ungleichgewicht. Und am Anfang, gebe ich für mich ja selber zu, merkt man das nicht, weil man natürlich diesen Einladungen folgt und ja auch glaubt, das ist eine Pflicht, zu diesen parlamentarischen Abenden zu gehen, sich mit dem Unternehmer XY zu treffen, mit der Anwaltskanzlei Z, die aber wieder auch jemanden vertritt, und man sich natürlich auf das konzentriert, was da an großen Einladungen in Berlin kommt. Dabei, finde ich, verliert man den Blick für diejenigen, die eben nicht die großen Lobbys haben, die eben nicht die großen Treffen ausrichten können, und dafür hat man dann keine Zeit mehr. Das halte ich für ein Problem, dass man dieses Ungleichgewicht manchmal gar nicht erkennt als Abgeordneter. Da muss man schon sich irgendwann freischwimmen.

    Müller: Wenn wir schon bei der Beichte sind: Das heißt, ich habe Sie jetzt schon richtig verstanden, dass Sie am Anfang auch eingelullt worden sind?

    Bülow: Ja natürlich. Das gebe ich gerne zu und das ist auch menschlich. Ich nenne das immer Wohlfühl-Lobbyismus. Die gut bezahlten, mächtigen Lobby-Verbände, die es gibt von einigen wenigen Unternehmen in Berlin, die haben sehr gut geschulte Lobbyisten, die einen nicht nur zu Essen einladen, sondern die einem Honig um den Bart schmieren. Wir Politiker sind im Durchschnitt ziemlich eitel und das hört sich immer alles sehr gut an: die kennen sich immer im Wahlkreis aus, die haben den gleichen Lieblingsverein, die wissen eigentlich alles über einen. Und dann fühlt man sich nach so einem Gespräch, wo meistens gar keine Forderung kommt, sehr wohl. Und dann auf einmal gibt es einen guten Kontakt zum Lobbyisten.

    Müller: Mussten Sie denn mit denen auch schon mal verreisen, oder gab es das Angebot?

    Bülow: Das Angebot gab es häufiger, aber das habe ich Gott sei Dank nie gemacht. Solche Reisen waren mir immer ein bisschen suspekt. Wenn man zwei, drei Tage irgendwo hinfährt, mit Stadtrundfahrt, Essen, Hotel, und zwischendurch dann mal auch, weiß ich nicht, ein Gaskraftwerk oder ein Atomkraftwerk sich anguckt und so ein bisschen dann auch über das Fach dann geredet wird, das war mir schon immer ein bisschen suspekt.

    Müller: Das System Lobbyismus ist ja seit Jahren in der Diskussion. Sie haben zwar eben gesagt, auch die Medien haben nicht genügend Druck ausgeübt in Punkto Transparenz auf die Bundestagsabgeordneten. Dennoch wird das ja immer wieder thematisiert, wie groß ist der Einfluss dieser Lobbyisten, und viele Politiker haben sich ja auch durch die gewandelte Situation nicht, nicht nur durch die Wulffsche Entwicklung, etwas zurückgenommen, haben versucht, ein bisschen mehr Transparenz zu machen, ein bisschen mehr Abstand zu wahren. Wenn ich Sie richtig verstehe, machen die Lobbyisten das aber nach wie vor gar nicht, die haben gar nichts gelernt.

    Bülow: Na auch da muss man unterscheiden. Es gibt durchaus Lobbyisten, die sagen, wir wollen ein Lobby-Register, wir wollen die Transparenz, und die da auch, sage ich mal, da versuchen, alles ein bisschen deutlicher darzustellen, die sagen, wir haben nichts zu verbergen, die gibt es durchaus, und die eher darüber nicht amüsiert sind, dass es mittlerweile schwierig ist auszumachen, wer redet denn da überhaupt. Wenn jemand sich vorstellt von der Firma XY und sagt das auch offen und trifft sich mit einem, dann weiß man ja zumindest, worauf man sich einstellt. Aber heute ist Lobbyismus häufig so: da kommt eine Initiative oder eine Anwaltskanzlei oder eine PR-Agentur und sagt, wir haben vor allen Dingen einen gesellschaftlichen Auftrag und wir wollen Deutschland, die Wirtschaft, das soziale Gefüge verbessern. Unter dem Label kommen die eigentlich und sprechen mit einem und man weiß gar nicht, von wem die bezahlt sind. Und wenn man das dann mal fragt, dann werden die meistens nebulös, und wenn man dann mal recherchiert, dann stellt man auf einmal fest, dass da knallharte Wirtschaftsunternehmen hinter stecken, die knallharte wirtschaftliche Interessen vertreten. Das bekannteste Beispiel ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die versucht, nach außen zu suggerieren, wir wollen nur die Marktwirtschaft verbessern, etwas sozialer machen, aber da stecken einige wenige Konzerne hinter, die knallharte Interessen vertreten, und das wird manchmal gar nicht mehr so klar im Bundestag. Und deswegen gibt es schon Lobbyisten, die sagen, wir wollen, dass das klar wird, dass das transparent wird, weil wir haben nichts zu verbergen. Also auch da gibt es ein Ungleichgewicht.

    Müller: Wir haben jetzt nur noch 20 Sekunden, aber ein Kollege hat darauf bestanden gestern im Gespräch, dass ich Sie frage, Sie sind energiepolitischer Sprecher: Bekommen Sie billigeren Strom?

    Bülow: Bitte?

    Müller: Bekommen Sie billigeren Strom?

    Bülow: Nein! Das ist mir auch noch nie angeboten worden. – Nein, nein, ich nehme sogar hier den von dem lokalen Unternehmen den etwas teureren Tarif, weil der ökologisch ist, also weil da ausgeschlossen wird, dass da Atomstrom bei ist, und weil ich damit dann die Erneuerbaren in Dortmund auch fördere.

    Müller: Gut, dann wissen wir bescheid. – Ich danke ganz herzlich für das Gespräch.

    Bülow: Ich danke auch.

    Müller: Heute Morgen im Deutschlandfunk der SPD-Bundestagspolitiker Marco Bülow.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.