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Peer Steinbrücks letzte Bundestagsrede
"Das war der letzte Ton aus meinem Jagdhorn!"

Zum letzten Mal stand Peer Steinbrück heute am Rednerpult des Deutschen Bundestags. Der 69-jährige Sozialdemokrat verabschiedete sich mit einer launigen Ansprache. Dabei redete der frühere Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat wie gewohnt auch Klartext.

Von Frank Capellan | 29.09.2016
    Der SPD-Politiker Peer Steinbrück hält seine letzte Rede im Bundestag.
    Der SPD-Politiker Peer Steinbrück hält seine letzte Rede im Bundestag. (pa/dpa/Skolimowska)
    Phoenix: "Was war er nicht alles! Jetzt also hier sein Abschied aus dem Deutschen Bundestag!"
    10:01 Uhr unter der Reichstagskuppel. Peer Steinbrück auf dem Weg zum Rednerpult. Letzter Auftritt im Deutschen Bundestag. Ein großer Sozialdemokrat tritt ab.
    Steinbrück: "Das lädt nun zu einem längeren – hoffentlich nicht langatmigen – Resumee ein, dass der Präsident aber in genau 4 Minuten und 57 Sekunden unterbrechen würde…"
    Minister in Schleswig-Holstein, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, Finanzminister in Berlin, ja was war er nicht alles, und was hätte er noch werden können…
    Steinbrück: "Hätte, hätte, Fahrradkette."
    Steinbrück polarisiert
    Die Kanzlerschaft bleibt ihm verwehrt. Zu sehr polarisiert Steinbrück, Spitzenverdiener hebt Spitzensteuersatz an: Das linke SPD-Programm passt 2013 zu vielen in der Partei – nur nicht zum Kanzlerkandidaten. Zum Abschied nimmt er es mit Humor.
    Steinbrück: "Als ich vor 47 Jahren in die SPD eintrat, da dachte ich, dass die Verteilung von Sumpfhühnern und Schlaubergern ziemlich einseitig auf die Parteien verteilt ist. Und ich gehörte natürlich zur Partei der Schlauberger!"
    Arrogant, autoritär, als blitzgescheiter Volkswirt ist Peer Steinbrück manchen Genossen ein Graus. Seine Gardinenpredigten sind gefürchtet in Partei und Fraktion. Steinbrück sagt, was er denkt.
    "… bis zu einem gewissen Grade bin ich entsetzt, dass zwei Clowns gewonnen haben…"
    Steinbrück redet Klartext, zeigt sogar den Stinkefinger, so zieht er durch die Republik zu einem Zeitpunkt allerdings, als er längst sämtliches Vertrauen verspielt hat. Bis heute zählt der 69-Jährige zu den Abgeordneten mit dem höchsten Nebenverdienst, mindestens 590.000 Euro. Das passt nicht zu einem Kandidaten, der für die Partei der kleinen Leute ins Rennen geht.
    Steinbrück: "Ich habe diese Honorarverträge zu einer Zeit angenommen, als weder die SPD noch ich selbst die Idee hatten, dass ich politisch wieder in den Ring steigen könnte."
    Seine Rednerhonorare kleben an ihm. Das macht das Rennen gegen Merkel aussichtslos, obwohl er sich als deren Finanzminister in der ersten Großen Koalition höchste Reputation erwirbt. Seit an Seit beruhigen sie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise und versichern 2008 nach der Lehmann-Pleite:
    Angela Merkel und Peer Steinbrück: "…dass Ihre Einlagen sicher sind, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren!"
    Die Kavallerie im Fort Yuma
    Zugleich sagt er Steuerhinterziehern den Kampf an, nimmt sich die Steueroasen wie die der Schweiz vor: "Die siebte Kavallerie im Fort Yuma. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt!"
    Vor allem sein großes Vorbild Helmut Schmidt drängt ihn dazu, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen. Helmut Schmidt: "Weil wir im Augenblick politische Führer brauchen, die wissen, worüber sie sprechen!"
    Doch Steinbrück wird zum Problem-Peer, zum Pannen-Peer. Der Spott ist ihm sicher. Steinbrück findet nie in seine neue Rolle. Steinbrück: "Sie wollten mich noch mal verführen, dass ich mich über Weinsorten auslasse. – Nein, ich wollte Ihnen mal zeigen, dass auch Journalisten Weinsorten aussuchen, die auf keinen Fall für unter fünf Euro zu haben sind!"
    Warum tut er sich das alles an, fragt Frau Gertrud bei einer öffentlichen Parteiveranstaltung. "Wir konnten Scrabble spielen, wann wir wollten. Der muss doch irgendwas bewegen wollen, um alles aufzugeben!"
    Steinbrück kommen danach die Tränen, die Stimme versagt, seine Anspannung wird öffentlich. Vorbei und vergessen. Heute im Bundestag ist er wieder der Alte, der über Schlauberger und Sumpfühner zu witzeln vermag. Steinbrück: "Inzwischen weiß ich, dass die Verteilung solcher Sumpfhühner und Schlauberger in und zwischen den Parteien der Normalverteilung der Bevölkerung folgt."
    Den Sinn für Humor und Selbstironie teilt er mit dem Bundestagspräsidenten, entsprechend gibt ihm Norbert Lammert heute noch eins mit auf den Weg: "Falls Sie weiterhin Reden halten, reden Sie gut über uns – wir haben es verdient. Sie aber auch!"
    Als Steinbrück seine letzten Satz im Bundestag spricht, erhebt sich der Saal. Stehend erteilen sie Ovationen, so wie schon am Dienstag in der Fraktion, als er sich – ganz untypisch – vor der Partei verneigt: "Das war der letzte Ton aus meinem Jagdhorn!"