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Pegida in Sachsen
"Ein Stück Vereinigung ist nicht bei den Menschen angekommen"

Der sächsische Linken-Chef Rico Gebhardt sieht eine Ursache für den massenhaften Zulauf für Pegida in Sachsen in der DDR-Vergangenheit der Menschen. Auch viele Anhänger seiner Partei, die in der DDR sozialisiert worden seien, hätten mit Fremden Probleme, sagte Gebhardt im DLF.

Rico Gebhardt im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.01.2015
    Porträt von Rico Gebhardt
    Der sächsische Linken-Chef Rico Gebhardt (dpa / Jens Wolf)
    Angesichts "menschenverachtender und rassistischer Äußerungen" aus dem Organisationsteam des islamkritischen Pegida-Bündnisses sieht der Chef der Linkspartei in Sachsen, Rico Gebhardt, keine Grundlage für ein Treffen mit den Köpfen der Bewegung. Seine Partei schließe aber Gespräche mit den Anhängern nicht aus, sagte Gebhardt im DLF. Bei den Demonstrationen in Dresden gebe es "eine große Gruppe von Menschen, die da mitlaufen, denen schon bewusst ist, wem sie da hinterherlaufen, die aber auch andere Probleme artikulieren." Die Menschen seien unzufrieden und hätten den Eindruck, die Politik glaube ihnen nicht, so Gebhardts Eindruck.
    Gebhardt räumte ein, dass viele Anhänger der Linkspartei, die in der DDR sozialisiert worden seien, Probleme mit Fremden hätten. Das erlebe er im Wahlkampf immer wieder und darin könne man auch eine Ursache für den großen Zulauf für Pegida in Sachsen sehen.

    Thielko Grieß: Die SPD-Generalsekretärin Fahimi lehnt es weiter ab, sich mit Pegida-Demonstranten zu unterhalten. Ihr Parteichef Sigmar Gabriel hingegen hat es gestern Abend getan, in Dresden, allerdings als Privatmann, wie er fein säuberlich auseinandergehalten hat. Pegida will nun morgen demonstrieren, am Sonntag also, statt wie sonst am Montag. Als einen Grund für diesen Wechsel gibt Pegida auf Facebook an, so könne man vielleicht Gegendemonstrationen, die sonst immer stets angemeldet worden sind, aus dem Weg gehen. Am Telefon begrüße ich jetzt Rico Gebhardt, Chef der sächsischen Linken und Fraktionschef der Linken im Sächsischen Landtag. Guten Morgen nach Dresden!
    Rico Gebhardt: Guten Morgen!
    Grieß: Nach dem Demoausfall von Pegida in der vergangenen Woche – am Montag war ja Ruhe – und dem Rücktritt des Mitorganisators Lutz Bachmann, hatten Sie da gehofft, Pegida könne sich irgendwie selbst erledigen?
    Gebhardt: Nein, das war nicht unsere Hoffnung, und davon ist und war auch nicht auszugehen, dass Pegida jetzt sich selbst erledigen würde.
    Grieß: Würden Sie denn mit Pegida-Anhängern sprechen und reden und diskutieren?
    Gebhardt: Also man muss immer unterscheiden: Wir haben immer deutlich gesagt, wir sehen überhaupt keine Notwendigkeit und keine Grundlage, uns mit dem Organisationsteam von Pegida zu treffen. Die haben in ihren Äußerungen bisher sehr deutlich gemacht, dass sie sehr menschenverachtende, sehr rassistische Äußerungen getan haben, die gegen eine bestimmte Religion sich richten und die sich gegen eine bestimmte Personengruppen richten, und das sind für uns ganz deutliche Anzeichen für rassistische und menschenverachtende Äußerungen. Aus dem Grunde gibt es für uns keine Grundlage, mit dem Personenkreis zu reden. Zweitens: Es gibt eine große Gruppe von Menschen, zumindest was ich hier aus Dresden kenne – und ich kann nur über Dresden reden –, die da mitlaufen, denen schon bewusst ist, glaube ich, wem sie da hinterherlaufen, das muss man auch deutlich sagen, die aber auch andere Probleme artikulieren, die mit ihrer Situation zu tun haben, mit ihrer persönlichen Situation zu tun haben, mit der gesellschaftlichen Situation zu tun haben, die Unzufriedenheit äußern. Das geht von GEZ-Gebühren abschaffen bis zu Abwassergebühren, bis zu Kleinkläranlagen, Arbeitsplätze, Russlandpolitik, Griechenlandpolitik und so weiter und so fort. Und mit denen, glaube ich, ich nenne die mal die Unorganisierten, mit denen kann man, glaube ich, ins Gespräch kommen.
    Grieß: Haben Sie es schon mal ausprobiert, Herr Gebhardt!
    Gebhardt: Also es gibt Kolleginnen von mir, die sich mal an einer Aktion beteiligt haben, die auch die Emigrationsministerin geführt hat, die einen Stand aufgebaut haben am Rande einer Demonstration und dort versucht haben, mit den Demonstrierenden ins Gespräch zu kommen. Das Problem ist, die Leute wollen einen Monolog führen, sie wollen senden und weniger miteinander ins Gespräch kommen. Das sieht man ja auch schon daran, man will mit Gegendemonstranten ja gar nicht zusammenkommen. Und wenn ich jetzt mal annehme, man könnte dort einen Dialog führen, dann muss man nicht am Sonntag demonstrieren, sondern am Montag, wo auch die anderen da sind. Also nicht das Gefühl, dass wirklich eine große Bereitschaft da ist, auch bei dem Organisationsteam, tatsächlich ins Gespräch zu kommen.
    "Staatspartei CDU"
    Grieß: Nun gibt es aber ja solche Gespräche, zum Beispiel in der Landeszentrale für politische Bildung, deren Chef Frank Richter sich da hervortut, also Sie sollten das vielleicht auch mal gleichtun und nachahmen.
    Gebhardt: Wir haben als Partei und als Fraktion überhaupt nicht ausgeschlossen, dass wir auch bereit sind, solche Gespräche zu führen. Ich glaube, man muss dazu erst mal noch mal ein bisschen was definieren und klarmachen. Ich bin ein bisschen überrascht, dass jetzt anfängt die Staatsregierung, so zu tun, als könne sie auf die Bürgerinnen und Bürger da zugehen oder sie müssten das jetzt tun. Also gerade im Freistaat Sachsen ist es ja seit vielen Jahren so, dass ein Diskurs mit gesellschaftlichen Problemen ja eigentlich überhaupt gar nicht gewünscht ist. Die Staatspartei der CDU, die ja hier seit 25 Jahren den Freistaat Sachsen regiert, die hat seit vielen Jahren einen Gestus an den Tag gelegt, die lautet: Wir haben die Wahrheit für uns gepachtet, es gibt nur diese Politik, die wir machen, und es gibt keine Alternativen dazu. Und dann hat man noch mit Kurt Biedenkopf jemanden gehabt, der Anfang der 90er-Jahre den Leuten auch gesagt hat, meine lieben Kinder im Freistaat Sachsen, ich kläre die Probleme für euch. Ja, und das haben auch viele geglaubt, und es ist niemals zu einem wirklichen gesellschaftlichen Diskurs gekommen. Man fragt sich ja auch, warum gab es den größten Naziaufmarsch gerade in Dresden, warum gab es die größte Funkzellenabfrage gerade in Dresden, und warum kommen jetzt gerade die größten Demonstrationen, was die islamfeindlichen Demonstrationen in der ganzen Bundesrepublik betreffen, warum gibt es die jetzt gerade immer in Dresden.
    Grieß: Ich glaube allerdings, Herr Gebhardt, es ist nicht ganz so einfach, das einzig und allein auf die CDU-geführte Staatsregierung zu schieben. Ich hab mir das Politbarometer der vergangenen Woche mal angeschaut. Da wurde gefragt, der Islam gehört zu Deutschland – dieser Satz wurde erst mal vorangestellt, der inzwischen ja auch von der Bundeskanzlerin mehrfach gesagt worden ist – und dann die Frage sozusagen: Stimmen Sie dem nicht zu? Und darauf haben mit Ja geantwortet von den AfD-Anhängern fast 100 Prozent – das ist vielleicht keine ganz so große Überraschung –, aber Platz zwei, Herr Gebhardt, ging an Ihre Partei, an die Linke, mit weit mehr als 50 Prozent. Warum hat Ihre Klientel Schwierigkeiten unter anderem mit dem Islam?
    Gebhardt: Es gibt Erklärungsmuster dazu, die ich auch in den letzten Wochen wieder gelesen habe, und die hat zum Teil damit was zu tun, dass eine große Anhängerschaft meiner Partei, die vor allen Dingen in der DDR sozialisiert worden ist, tatsächlich auch mit Fremden Probleme hat. Mit DDR-Sozialisierung gibt es da Begründungsversuche. Ich glaube, dass man darin vielleicht die ein oder andere Ursache sehen könnte, das ist nicht auszuschließen. Ich hab seit vielen Jahren die persönlichen Erlebnisse gehabt, dass man bei Wahlkampfveranstaltungen, vor allen Dingen, wenn man auf der Straße ist, Infostände macht, viele Leute erlebt hat, die gesagt haben, ich wähle euch, aber das mit den Flüchtlingen, das mit den Ausländern, das müsst ihr mal lassen – also unsere positive Aussage dazu. Deswegen sind die Aussagen für mich, jetzt sagen wir mal als Parteipolitiker, nicht so ganz überraschend, weil ich sie leider im Wahlkampf schon ab und zu erleben musste.
    "Das Gefühl, die Politik glaubt ihnen das nicht"
    Grieß: Also Sie bedauern das. Sind sozusagen Linke in Sachsen gelegentlich sehr viel konservativer, als sich das ein Westdeutscher überhaupt vorstellen kann?
    Gebhardt: Ja, das ist so. Das ist auch manchmal erklärbar, also weil natürlich Linke im Osten, die auch in der PDS dann sozialisiert worden sind – sie wollten natürlich auch was bewahren, sie wollten Dinge aus ihrer DDR bewahren, aus dem, was sie für sich als ihr Leben empfunden haben, und es ist ihnen ein Stückchen weggenommen worden. Und ich will jetzt überhaupt gar nicht bewerten, ob das jetzt politisch richtig oder falsch ist, es ist einfach menschlich. Und das trifft man jetzt auch übrigens bei diesen Demonstrationen. Es geht darum, dass ein Stück Vereinigung nicht wirklich vollzogen worden ist, also auch nicht wirklich bei den Menschen angekommen ist, sondern es gibt ganz viele Menschen, die sind mit ihrer Situation unzufrieden, und sie haben das Gefühl, die Politik glaubt ihnen das nicht. Wir haben voriges Jahr 25 Jahre lang Mauerfall gefeiert, hoch und runter, auch in Sachsen, es gibt aber tatsächlich einen signifikanten großen Anteil in der Bevölkerung, der eben kein Gewinner ist und der sich darüber nicht freut, dass die Wiedervereinigung stattgefunden hat – aus politischen, sozialen, aber eben auch aus finanziellen Gründen. Also selbst ein Handwerker, der sich selbstständig gemacht hat, erleben Sie ja, wenn Sie mit dem reden, dass er sagt, ich hab Angst vor der Zukunft, weil ich weiß nicht, ob ich jetzt noch Nachwuchs finde, ich weiß nicht, ob jemand meinen Betrieb übernimmt, ich weiß nicht, was die Wirtschaftskrise noch für mich bringt, ich weiß nicht, was der Mindestlohn für mich bringt. Es wird ihm auch nicht erklärt, und das ist das, was ich vorhin gesagt hab, dafür muss sich schon jemand verantwortlich machen, der 25 Jahre lang regiert.
    Grieß: Und warum wird das im politischen Diskurs, in der Öffentlichkeit so wenig angesprochen, diese Schwierigkeiten? Das ist ja auch das, was viele Demonstranten beklagen: Sprachlosigkeit über das, was sie als Missstände wahrnehmen.
    Gebhardt: Eine Staatspartei – ich kann es nur noch mal wiederholen, auch wenn Sie es vorhin gefragt haben –, sie sind also nicht nur eine Staatspartei, die gleichzeitig Regierungspartei ist und die CDU sie seit 25 Jahren regiert.
    Grieß: Gut, dann wäre das ja ein rein sächsisches ...
    Gebhardt: ... zwei Legislaturperioden sogar mit mehr als 50 Prozent regiert hat.
    Grieß: Aber noch einmal ...
    Gebhardt: Sie will keinen Diskurs.
    "Vermisse deutliche Worte in Sachsen"
    Grieß: Okay, dann ist es ja nicht der lange Schatten der DDR, von dem wir hier sprechen, sondern der lange Schatten der DDR ausschließlich in Sachsen, denn die Linke regiert in anderen Bundesländern ja mit.
    Gebhardt: Wo finden wir denn noch Pegida-Demonstrationen in diesem Ausmaß, wie sie hier derzeitig in Dresden stattfinden?
    Grieß: Das liegt vielleicht auch an der Größe der Städte.
    Gebhardt: Der zweitgrößte Aufmarsch findet noch in Leipzig statt, richtig? Und danach? Es sind eher Gegendemonstranten, die auf der Straße sind. Und wir wissen doch, seit vielen Jahren gibt es ja auch Umfragen – das ist dann auch egal, ob die im Osten oder im Westen gemacht worden sind, also in Gesamtdeutschland gibt es die Zahl –, dass 25 Prozent der Menschen so einen latenten Rassismus in sich tragen, menschenfeindlich sind. Es gibt verschiedene Studien von verschiedenen Umfrageinstituten, dass wir 25 Prozent der Bevölkerung haben, die genau dafür anfällig ist. Und deswegen muss man, glaube ich, auch gerade in unserer Betrachtung unserer eigenen Geschichte als Deutsche da auch immer ganz deutliche Worte dazu und dagegen finden. Und die vermisse ich eben in Sachsen. Ich will nicht lang über Sachsen reden.
    Grieß: Herr Gebhardt, solange Sie aber in der Opposition sind, wäre es ja ein Anfang, dass Sie mit Ihren Wählern auch erst einmal sprechen und sozusagen darauf drängen, dass bestimmte Werthaltungen vielleicht langsam – da spricht man ja von vielen Jahren – verändern.
    Gebhardt: Korrekt, das ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen. Und das ist auch eine Aufgabe, die wir haben, und die nehmen wir auch sehr ernst. Es gibt ja immer noch eine Unterscheidung zwischen meinen Wählern und meinen Parteimitgliedern, so. Es ist tatsächlich ein Problem, und es hängt natürlich auch immer ein bisschen damit zusammen, dass man sich natürlich immer auf ganz viele andere Probleme dann zwischendurch – während des Wahlkampfes oder während der Wahlperioden – damit beschäftigt, das ist richtig. Aber da würde ich Ihnen recht geben, dass es auch eine Aufgabe ist einer Oppositionspartei wie der Linken.
    Grieß: Es ist ein langer Schatten der DDR, der unterschiedlich ausfällt, je nachdem, wohin man schaut. Das haben wir auseinanderdifferenziert gemeinsam mit Rico Gebhardt, Chef der sächsischen Linken. Herr Gebhardt, danke für das Gespräch und ein gutes Wochenende!
    Gebhardt: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.