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Peinliche Staatsbürgerschaft DDR

Anders als viele DDR-Intellektuelle war Monika Maron 1990 eine glühende Befürworterin des Einigungsprozesses - und doch hat sie das "andere Deutschland" bis heute nicht losgelassen. Davon zeugt auch Marons neuestes Buch, das unter dem Titel "Zwei Brüder" - Texte aus den letzten 20 Jahren kompiliert.

Von Elke Kimmel | 27.09.2010
    "Wenn meine Arbeit mir nicht misslungen ist, habe ich also nicht die DDR erklärt, sondern ich habe erzählt, was mit Menschen geschieht, wenn sie Verhältnissen unterworfen sind, in denen sie eine relative materielle Sorglosigkeit mit ihrer geistigen Freiheit bezahlen, und in denen der Versuch, sich aus der Unmündigkeit zu befreien, die Existenz und sogar die leibliche Freiheit kosten kann."
    So erklärte die Schriftstellerin Monika Maron anlässlich ihrer Auszeichnung mit dem Nationalpreis 2009 der Deutschen Nationalstiftung in Weimar die Ziele ihrer Arbeit. Die Dankesrede ist der letzte von 15 Texten einer Sammlung, die jetzt unter dem Titel "Zwei Brüder" im Fischer-Verlag erschienen sind. Der erste stammt aus dem Jahre 1989, die meisten sind zwischen dem Mauerfall und 1995 entstanden und veröffentlicht. Doch entgegen Marons Weigerung, die DDR und die Ostdeutschen zu erklären, beschäftigen sich alle diese Texte mit dem schwierigen Verhältnis der West- zu den Ostdeutschen und umgekehrt. Gleichsam zur Erläuterung beginnt der Band mit sehr persönlichen Ausführungen:

    Ich war das Kind von Kommunisten. Ich habe gelernt, dass die Welt sich nicht in Nationen teilt, sondern in Klassen, und dass das Vaterland aller Proletarier die Sowjetunion ist: Das glaubte ich, solange ich ein Kind war.
    In "Ich war ein antifaschistisches Kind" erzählt Monika Maron 1989, wie sich durch ihre Familie jahrzehntelang eine schier unüberwindliche Feindschaft zog. Sie berichtet davon, was es für ein in diesem Geiste erzogenes Kind bedeutete, im west-berliner Stadtteil Neukölln aufzuwachsen und welche Befreiung 1951 für sie der Umzug nach Ost-Berlin darstellte:

    In West-Berlin war ich der einzige Junge Pionier in der Klasse, wahrscheinlich sogar in der ganzen Schule gewesen. In der neuen Schule war ich eine von vielen. Nun war ich gleich mit allen. Ich wohnte auf der Seite der Wahrheit und der historischen Sieger. Ich war zehn Jahre alt, und das Wort Kommunist war für mich ein Synonym für guter Mensch. Alle Menschen, die mir nahe standen und die ich liebte, waren Kommunisten.
    Fast 40 Jahre später, 1988, kann Maron nach Hamburg übersiedeln - ein Schritt, für den sie die eigene Mutter heftig verurteilt. Zunächst von hier, später von West-Berlin aus, beobachtet sie die Veränderungen im deutsch-deutschen Verhältnis in den Jahren rund um die Wiedervereinigung. Ihre Texte aus dieser Zeit sind meist zugespitzt, nicht immer gerecht, aber sehr lebendig. Energisch geißelt sie im August 1989 die Selbstzufriedenheit der Bundesbürger, die zwar gern aus der Ferne Pakete schickten, aber wenig Verständnis für die ostdeutschen Flüchtlinge aufbrächten. Aber auch von ostdeutschem Selbstmitleid will sie nichts wissen. Darin liegt die große Qualität der Analysen von Maron. Sie verlangt von allen Deutschen kritische Selbstreflexion und Ehrlichkeit im Umgang mit sich selbst. Nahezu allergisch reagiert sie auf die Flucht vieler Ostdeutscher in eine vermeintlich angenehmere Vergangenheit. Als heilsamen Schock empfiehlt sie 1995 den Besuch ihres Wilmersdorfer Postamtes, wo eine Atmosphäre vergleichbar der in der DDR herrsche:

    Manchmal bedaure ich, dass ich niemals Sehnsucht nach der alten DDR habe, weil keine Sehnsucht so leicht zu stillen wäre wie diese.
    Die meisten DDR-Bürger seien 1990 mehr als erleichtert gewesen, dass sie ihre "peinliche Staatsbürgerschaft" endlich losgeworden seien:

    Am 3. Oktober 1990 traten die Ostdeutschen der Bundesrepublik Deutschland bei und waren am 4. Oktober immer noch sie selbst. Aber plötzlich hatten sie eine Vergangenheit. Der Staat DDR, der, solange er gegenwärtig war, zur Identifikation nie getaugt hatte, zwang sich ihnen gegen ihren Willen als identitätsstiftende Vergangenheit auf.
    Gerade weil Maron immer wieder die wunden Punkte im deutschen Binnenverhältnis anspricht, weil sie sich an ost- wie westdeutschen Stereotypvorstellungen abarbeitet, ist diese Aufsatzsammlung spannend. Hier kann man hautnah miterleben, wie die Autorin in den rasanten Jahren 1989 bis 95 permanent darum ringt, die täglichen Ereignisse zu überblicken und einzuordnen. Aber es klingt auch ein wenig resigniert, wenn sie anlässlich der Verleihung des Nationalpreises 2009 anmerkt, dass ein Drittel der deutschen Nachkriegsgeschichte von Ost- und Westdeutschen gemeinsam verbracht worden sei. Schon deshalb sei es unangemessen, dass das deutsche Original stets als westdeutsch und das Ostdeutsche als dessen "seltsame Abart" begriffen werde. Falsch meint sie, denn:

    "Die DDR war das Ergebnis der gemeinsamen deutschen Geschichte, sie gehört zur deutschen Geschichte, und die Literatur, die in ihr geschrieben wurde, ist deutsche Literatur, gute oder schlechte, wahrhaftige und verlogene. Vieles, was schon vergessen wurde und anderes, das vermutlich vergessen wird, wie zu allen Zeiten. Vielleicht wird manches überleben, aber das entscheiden nicht wir."
    Monika Maron nutzte diesen Auftritt auch, um dem angeblichen Nicht-Verstehen-Können ostdeutscher Eigenarten durch Westdeutsche eine Absage zu erteilen - Ostdeutsche ihrerseits beanspruchten auch keine Interpretationshilfen von westdeutschen Autoren. Gleichwohl ist Maron dafür zu danken, dass sie diese Hilfe immer wieder angeboten hat - mal emotionaler, mal in ironisch-distanzierter Form. Ihre Texte lassen die Leser noch einmal die Jahre nach der Vereinigung nachempfinden und wer sie auf sich wirken lässt, wird auch die eigenen Klischees möglicherweise in Frage stellen müssen. Das ist nicht wenig für eine solche Textsammlung.

    Elke Kimmel über Monika Maron: Zwei Brüder. Gedanken zur Einheit 1989-2009. Veröffentlicht im S.Fischer Verlag, 208 Seiten für 17 Euro und 95 Cent, ISBN: 978-3-10048-834-3.


    Weitere Neuerscheinungen zur deutschen Einheit (Auswahl):

    Annette Jensen: Im Osten was Neues. Unterwegs zur sozialen Einheit. Rotbuch Verlag, 286 Seiten, € 14,95 (ISBN 978-3-86789-116-5)

    Franz Josef Jung: Die letzten Tage der Teilung. Wie die deutsche Einheit gelang. Herder Verlag, 200 Seiten, € 17,95 (ISBN 978-3-4513-0324-1)

    Claus Christian Malzahn: Deutschland 2.0. Eine vorläufige Bilanz der Einheit. dtv premium, 134 Seiten, € 12,90 (ISBN 978-3-423-24798-6)

    Lothar de Maizière: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. Meine Geschichte der deutschen Einheit. Herder Verlag, 320 Seiten, € 19,95 (ISBN 978-3-4513-0355-5)

    Klaus Schroeder: Das neue Deutschland. Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört. wjs Verlag, 249 Seiten, € 19,95 (ISBN 978-3-937989-66-2)

    Richard Schröder: Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit. Herder Spektrum, 256 Seiten, € 9,95 (ISBN 978-3-4510-6253-7)

    Beatrice von Weizsäcker: Die Unvollendete. Deutschland zwischen Einheit und Zweiheit. Lübbe Verlag, 288 Seiten, € 16,99 (ISBN 978-3-7857-2417-0)