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Peking
Wanderarbeiter wehren sich gegen brutale Räumungsaktionen

Seit Ende November haben in den südlichen Vororten von Peking brutale Räumungsaktionen begonnen: Mithilfe eines 40-Tage-Plans wollen die Behörden "minderwertige Behausungen" von Wanderarbeitern eliminieren. Hintergrund ist auch eine politische Vorgabe, Peking bis 2020 auf 23 Millionen Einwohner zu begrenzen.

Von Alex Dorloff | 13.12.2017
    Mitarbeiter einer Behörde gehen am 27.11.2017 in Xinjian, einem Vorort von Peking (China). Nach einem Feuer mit 19 Toten in einer Unterkunft für Wanderarbeiter haben die Behörden eine Sicherheitskampagne gestartet, mit der die Bewohner vertrieben und die Unterkünfte abgerissen werden sollen.
    Wanderarbeiter in China (dpa / picture alliance / Simina Mistreanu)
    Tian Yunpeng packt seine Hände in den riesigen Wärmesack, der am Lenkrad seines Motorrollers befestigt ist. Er liefert für Restaurants Essen aus, arbeitet für einen Lieferdienst in Peking. Der 30-Jährige zieht den Reißverschluss seiner dicken, gelben Winterjacke zu und setzt eine schwarz-gelbe Mütze auf. Gegen die Kälte trägt er eine Stoffmaske. Es ist kurz vor Schichtbeginn. Tian ist einer der wenigen, die hier im Pekinger Vorort Xinjian Cun noch bleiben dürfen.
    "Ich werde erst ausziehen, wenn es hier zu Ende geht. Im besten Fall lassen sich mich bis zum Jahresende bleiben. Sie sagen, es sei nicht sicher hier und schmeißen dich raus. Wir können nichts tun, wenn die Regierung das so will. Das Apartment da vorne wurde am Nachmittag zerstört, morgens haben sie es angekündigt. Und wenn du deine Sachen nicht rausschaffst, werden die gleich mit zerstört. Wir haben nichts zu sagen."
    Peking soll nicht mehr als 23 Millionen Einwohner bekommen
    Es riecht immer noch verbrannt in Xinjian Cun. Nur wenige Meter entfernt von Tians Wohnung ist vor wenigen Wochen ein Gebäude abgebrannt, in dem Wanderarbeiter mit ihren Familien gelebt haben. Um den Brandort steht jetzt ein blauer Wellblechzaun. Die Scheiben sind alle kaputt, das noch übrige Mauerwerk schwarz. 19 Menschen sind bei dem Feuer ums Leben gekommen. Die Pekinger Behörden haben das zum Anlass genommen, Tausende Wanderarbeiter aus ihren Häusern zu werfen. Begründung: Die Gebäude seien illegal und nicht feuersicher.
    Ein ausgebranntes Appartementhaus in Peking wird von einem blauen Bauzaun gesichert.
    Ein Brand in dieser Unterkunft, bei dem vor zehn Tagen 19 Menschen ums Leben kamen, ist der Auslöser für die Räumungen. (dpa / Qianlong/ Imaginechina)
    "Viele wussten nicht, wo sie hin sollten, mussten zurück in ihre Heimatprovinzen. Ich finde das nicht richtig. Wer so wenig Einkommen hat, muss doch in diesen Häusern hier leben. Wir können es uns doch gar nicht leisten, in legalen und sicheren Gebäuden zu wohnen."
    "Es fehlt an menschlicher Fürsorge"
    Die Behörden interessiert das nicht. Es gibt die politische Vorgabe, Peking bis 2020 auf 23 Millionen Einwohner zu begrenzen. Und möglichst viel von dem, was in Chinas Hauptstadt provisorisch, informell und einfach ist – und oft keine Genehmigung hat – abzureißen und los zu werden. Die Leidtragenden sind vor allem die Wanderarbeiter. Die Räumungsaktionen kamen so plötzlich und waren so brutal, dass für China ungewöhnlich viel Kritik aufkam. In sozialen Netzwerken im Internet, in einem offenen Brief von 100 Intellektuellen. Sogar von Staatsmedien und regierungsnahe Professoren. Auch Wang Yiwei von der Renmin Universität findet die Abriss-Aktionen bedenklich.
    "Die Art, wie die Behörden damit umgegangen sind, muss sich verbessern. Sie haben überreagiert und sehr banale und harte Maßnahmen ergriffen. Es fehlt an menschlicher Fürsorge. Sie sollten auch nicht den diskriminierenden Begriff Unterschicht benutzen. Und sie sollten nicht einfach unter Zwang die Leute rausschmeißen. "
    Der Umgang mit den Wanderarbeitern hat noch eine weitere Diskussion los getreten. Die Stadtregierung hatte in einem internen Schreiben den abfälligen Begriff Unterschicht beziehungsweise Bevölkerung am unteren Ende benutzt – und wurde dafür vielfach kritisiert. Aber Peking macht damit deutlich: Man will diese Leute nicht mehr haben. Im Internet wurde der Begriff bereits zensiert.
    Ein Mann sammelt mit einem Pritschenwagen Elektroschrott ein, um ihn anschließend auf dem Recyclinghof zu verkaufen. Am Stadtrand von Peking gibt es viele einfache Vororte wie Xinjian Cun. Die glitzernden Geschäftsviertel der Hauptstadt, mit Shopping Malls und gläsernen Hochhäusern, sind von hier rund ein Stunde entfernt. Lian Wei steht mit ihrem zweijährigen Sohn vor einem Gemüsestand. Sie mussten ihre Wohnung bereits verlassen, haben aber in der Nachbarschaft übergangsweise etwas Neues gefunden.
    "Die Behörden müssen nach einem Brand doch erst mal die Brandursache klären. Und wenn das Risiko durch zu wenig Feuerschutz zu hoch ist, muss das behoben werden. Aber sie müssen ja nicht gleich die ganzen Leute rausschmeißen. Wie sollen wir überleben, wenn wir auf die Straße gesetzt werden? Das ist ja kaum möglich, also gehen viele zurück in ihrer Heimatprovinzen. Aber da gibt es dann oft keine Arbeit."
    Wanderarbeiter ohne Rechte
    Die 27-jährige junge Mutter Lian Wei ist hier im Pekinger Süden geboren. Schon ihre Eltern kamen als Wanderarbeiter in die Stadt. Und auch nach 27 Jahren hat Lian keine soziale oder rechtliche Absicherung in Peking, weil sie sich wie die anderen Wanderarbeiter nicht registrieren darf. Bleiben will sie trotzdem.
    "Die Stadtregierung könnte mehr sozialen Wohnungsbau schaffen anstatt die Menschen einfach rauszuschmeißen. Diese Leute hier halten doch die Wirtschaft, dort wo sie leben, am Laufen. Wenn sie die Vororte verlassen, gibt es auch keine Wirtschaftsleistung mehr."
    Lian hat einen kleinen Online-Shop für Kleidung. Die Stadt Peking ist wie andere chinesische Millionenstädte von der Arbeit der Wanderarbeiter abhängig. Sie arbeiten in Restaurants, auf dem Bau oder für die vielen Lieferdienste. Ganze Geschäftszweige wie der Internethandel stünden vor riesigen Problemen, wenn es die günstigen Arbeitskräfte zur Auslieferung nicht mehr gibt.
    Aber Cai Qi, der Parteichef in Peking, hat versprochen, dass Problem mit den sogenannten minderwertigen Behausungen innerhalb von 40 Tagen zu lösen. Und damit läuft die Razzia noch bis ins neue Jahr.