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Pekings Drohungen vor Buchmesse

Die Drohungen Chinas gegenüber missliebigen Schriftstellern sorgen vor der Frankfurter Buchmesse für wachsende Aufregung. Das Gastland der Buchmesse hat den Schriftstellern Bei Ling und Dai Qing die Teilnahme an einem Symposium in Deutschland verboten.

Hajo Steinert im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig | 10.09.2009
    Rainer Berthold Schossig: Ehrengast also der kommenden Buchmesse: die Volksrepublik China. Doch dieser Ehrengast macht massiven Druck auf die Organisatoren. Die haben auch nun den exilchinesischen Schriftsteller Bei Ling von einem internationalen Symposium am kommenden Wochenende ausgeladen. Gestern war bekannt geworden, dass die kritische Autorin Dai Qing ausgeladen wurde. Ihr Kommentar heute gegenüber der ARD:

    Dai Qing: "Mir tut mein Land manchmal wirklich leid. Ich bin eine Bürgerin Chinas und ich wollte an einer Diskussion über Chinas Rolle in der Welt teilnehmen. Was sie gemacht haben, ist so dumm. Es war doch nur eine Diskussionsveranstaltung. Nun, nachdem China so einen Wirbel veranstaltet hat, haben mich viele Medien interviewt. Meine Stimme wird nun doch gehört."

    Schossig: Die chinesische Autorin Dai Qing, über deren Fall wir gestern berichteten. Dai Qing wird nun aber trotz Ausladung doch an dem internationalen Vorbereitungstreffen in Deutschland teilnehmen. Sie reist auf Einladung des deutschen P.E.N.-Zentrums nach Frankfurt.

    Doch schon wieder, wie gesagt, hat die chinesische Seite mit Boykott der Veranstaltung in Frankfurt gedroht. Die Lage hat sich jetzt noch einmal zugespitzt. Frage an Hajo Steinert von der Literaturredaktion im Deutschlandfunk: Auch der im US-Exil lebende Schriftsteller Bei Ling soll nun also nicht nach Frankfurt kommen. Es würde sonst zu einer Konfrontation, wie es hieß, kommen, wird gedroht. Warum ist Bei Ling denn ein derart rotes Tuch für Chinas Offizielle?

    Hajo Steinert: Lassen Sie mich zurückgehen in den Mai dieses Jahres, da gab es ja den P.E.N.-Kongress in Görlitz, und da trat unter anderem auch Katja Behrens auf, die Vizepräsidentin und Writers-in-Prison-Beauftragte des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Und da wurde dann mit Biografien belegt, dass China das Land ist, in dem weltweit die meisten Autoren inhaftiert sind. Das war ... Das In-Prison-Committee des internationalen P.E.N. in London dokumentiert in seiner Halbjahresstatistik für 2008 Schicksale von ungefähr 40 chinesischen Dichtern, Schriftstellern und Journalisten, die im Arbeitslager sitzen, in Gefängnisse kommen.

    Und dieser Autor Bei Ling ist insofern sehr wichtig: Er ist der Gründer des unabhängigen, chinesischen P.E.N.-Clubs und Herausgeber eines politischen Magazins, "Qing Xiang" heißt es, und die stehen der in China herrschenden kommunistischen Partei sehr kritisch gegenüber. Und da gab es auch schon einen Vorfall im Jahr 2000 bei seiner Rückkehr aus dem Exil in den USA nach China wurde er verhaftet, Bei Ling, und damals setzte sich auch die Schriftstellerin Susan Sontag für seine Freilassung ein, und es gab internationalen Druck, sodass er nach einmonatiger Inhaftierung freigelassen wurde und in die USA abgeschoben wurde, wo er bis heute noch lebt.

    Schossig: Bei Ling ist also kein unbeschriebenes Blatt und ist von daher wahrscheinlich eine Art Schreckfigur. Nun sagen die Frankfurter Organisatoren, es gebe große Schwierigkeiten. Ich für meinen Teil sehe eigentlich da nur die Schwierigkeit, dass die Frankfurter Buchmesse eigentlich eine Position zu entwickeln hat in Sachen Literaturfreiheit und Meinungsfreiheit.

    Steinert: Sehr richtig. Es ist schon seltsam, dass man jetzt von großen Schwierigkeiten plötzlich spricht. Diese großen Schwierigkeiten gab es schon immer, solange man diesen Schwerpunkt geplant hat, und die Leitung der Frankfurter Buchmesse muss sich darüber im Klaren sein, dass es einfach Schwierigkeiten gibt. Und sie ist in der Tat verpflichtet, sich um das Thema Meinungsfreiheit zu kümmern.

    Das hat es in der Vergangenheit immer gegeben. Es ging immer darum, also auch die Freiheit des Wortes, des Journalismus, des Internets, all das auch zu dokumentieren auf dieser Messe. Und wenn es jetzt eben am Wochenende diese Tagung gibt zu dem Thema "China und die Welt - Wahrnehmung und Wirklichkeit", dann muss man genau darüber auch sprechen. Und Bei Ling wäre natürlich für die offiziellen Eingeladenen eine große Schwierigkeit. Und die drohen ja jetzt mit der Tatsache, dass sie einfach nicht kommen würden - und unter anderem darin eben auch ein Schriftsteller, der in Deutschland auch jüngst verlegt wird, ein Schriftsteller namens Mo Yan.

    Der hat noch neulich in einem Interview der "Frankfurter Rundschau" gesagt, vor wenigen Tagen: Schriftsteller sind die Ärzte der Gesellschaft, unsere Aufgabe ist es, ihre Krankheiten zu finden, auch die der Regierung. Und weiter: In den letzten Jahren ist die Berichterstattung zwar besser geworden in China, aber echte Kritik und Enthüllungen kann sich nur die Literatur erlauben. Und ausgerechnet dieser Schriftsteller ist jetzt einer, der sagt: Ich will mit diesem Bei Ling nicht in einem Raum sitzen.

    Und die Frankfurter Buchmesse hat die Aufgabe jetzt, sich einzusetzen für die Freiheit des Wortes, selbst auf die Gefahr hin, dass es zum Eklat kommt und dass dieser Schwerpunkt nicht so stattfindet, wie man es sich erwünscht. Denn es ist ja tatsächlich so: Man kann nicht weltweit für wirtschaftliche Liberalität sorgen und auf dem Gebiete der Kultur diese rigiden Zensurmaßnahmen weiter zeigen, wie es die Chinesen tun. Und das auch noch von deutscher Seite aus, Buchmessenseite aus zu unterstützen, das ist ein Unding.

    Schossig: Bei Ling ist im P.E.N. aktiv, Herr Steinert, und die Autorin, die jetzt gerade gestern ausgeladen worden war, worüber wir gestern berichtet haben, Dai Qing heißt sie, sie ist inzwischen vom P.E.N. nachgeladen worden zu diesem Symposion.

    Nun könnte das ja auch passieren, was Bei Ling betrifft. Da würde sich aber eine ganz fatale Rollenverteilung und Trennung einstellen, dass sozusagen die Frankfurter Organisatoren auf Linie Chinas sind, und der P.E.N. sich gleichsam als Hüter der Pressefreiheit exponieren müsste. Das kann ja auch nicht angehen.

    Steinert: Natürlich muss man auf den P.E.N. hören. Wenn der P.E.N., diese Schriftstellervereinigung, international noch eine Funktion hat, dann ist es eben, sich einzusetzen für inhaftierte, für verfolgte Schriftsteller. Das ist ihre Aufgabe. Und natürlich ist die Frankfurter Buchmesse gut beraten, wenn sie auch auf den P.E.N. hört. Und es geht darum, jetzt eben diesen Skandal möglichst in den Griff zu bekommen und sich nicht zu beugen, diesen chinesischen Delegationen der Zensurbehörde, die es ja dort gibt, nachzugeben.

    Das kann nicht sein, denn wer sagt uns denn: Wenn Bei Ling jetzt nicht kommt ... das heißt ja, er kommt zur Buchmesse und es gibt ja noch keinen Protest seitens der offiziellen, chinesischen Seite, dass er zur Buchmesse kommt. Aber wer sagt uns denn, dass sich die chinesische, offizielle Seite es sich nicht anders überlegt bis zur Buchmesse - und dann kurz vorher sagt, wenn er kommt, dieser Bei Ling, kommen wir wieder nicht?

    Dieses Wackelspiel und dieses Hadern und Zaudern der Buchmessenleitung und auch desjenigen, der jetzt dieses Symposium am Wochenende leitet, sollte man diskutieren und nicht unbedingt hinnehmen.

    Schossig: Der ausgeladene, chinesische Exilautor Bei Ling muss wieder eingeladen werden, denn die Frankfurter Buchmesse hat wohl doch eine freiheitliche Tradition zu verteidigen. Das war mein Kollege Hajo Steinert von der Literaturredaktion im Deutschlandfunk.