Dienstag, 19. März 2024

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PEN-Jahrestagung in Dortmund
"Öffentlichkeit schaffen für die verfolgten Autoren"

Wenn ein deutscher Journalist in der Türkei in Haft sitze, berühre das auch unmittelbar uns, sagte der PEN-Präsident Josef Haslinger im Dlf. Nach einer Amtszeit kandidiert er nicht erneut für diesen Posten, weil er sich dem eigenen Schreiben wieder stärker widmen will.

Josef Haslinger im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 26.04.2017
    Der Präsident der Schriftstellervereinigung PEN in Deutschland, Josef Haslinger
    Der Präsident der Schriftstellervereinigung PEN in Deutschland, Josef Haslinger (Deutschlandradio / Nils Heider)
    Maja Ellmenreich: Die Arbeit des PEN ist wichtiger denn je – das sagt Josef Haslinger, der amtierende Präsident des deutschen Zweiges der Schriftstellervereinigung, die sich stark macht für die Freiheit des Wortes.
    Und: Die den guten alten Stift, den englischsprachigen PEN, diesen jahrhundertealten Geburtshelfer der geschriebenen Sprache, den insbesondere herrsch- und selbstsüchtige Machthaber fürchten – nach ihm hat sich die internationale Schriftstellervereinigung benannt. Ab morgen treffen sich etwa 170 Autorinnen und Autoren in Dortmund zur Jahrestagung des deutschen PEN. Und für sie gilt es nicht zuletzt, ein neues Präsidium zu wählen. Denn obwohl er sagt, dass die Arbeit des PEN wichtiger denn je sei, steht Josef Haslinger nach vierjähriger erster für eine zweite Amtszeit nicht mehr zur Verfügung – so wie seine beiden Präsidiumskollegen Sascha Feuchert und Hans Thill ebenfalls ihre Posten zur Neuwahl freigeben.
    - Josef Haslinger haben wir am Nachmittag in Leipzig telefonisch erreicht, wo er als Professor für Literarische Ästhetik lehrt und von wo er sich gleich nach unserem Gespräch auf den Weg nach Dortmund macht. Herr Haslinger, Sie haben Ihren Rückzug unter anderem mit der vielen Arbeit, mit dem großen Aufwand begründet. Beides haben Sie – so Ihre Worte – auch gerne in Ihre PEN-Präsidententätigkeit investiert.
    Leben wir gerade in Zeiten, da dieses Amt, dieses Engagement schlichtweg nicht mehr ehrenamtlich zu leisten ist?
    Josef Haslinger: Nein, das soll weiter ehrenamtlich geleistet werden. Ich glaube, das ist Konsens in unserer Schriftstellerorganisation, dass wir uns dieser Charta verpflichtet fühlen, und diese Charta bedeutet Engagement. Es ist nur so, dass wir uns abwechseln müssen. Das kann nicht einer. Es soll sich auch nicht einer oder auch eine Gruppe von Menschen da in eine Führungsebene begeben und dort ewig sitzen bleiben. Ich glaube, es ist wichtig, dass es nun Wahlen gibt und dass die Wahlen auch etwas bewirken, dass Bewegung ist, dass auch andere Leute drankommen und neue Ideen eingebracht werden und auch frisches Engagement.
    Ellmenreich: So wie Ihr Vorgänger Johano Strasser, der, glaube ich, elf Jahre lang deutscher PEN-Präsident war, solche Zeiten sind vorbei in Zeiten, in denen die Meinungsfreiheit auf der Abschussliste steht, sage ich mal flapsig?
    Haslinger: Auf der Abschussliste – ja, das kann man so sagen. Jedenfalls gibt es starke gesellschaftliche Gruppen auch bei uns, die nicht so viel halten von der Meinungsfreiheit und wenig halten vom Egalitätsprinzip, die gerne hätten, dass es eine bevorzugte Gruppe von Menschen gibt, für die alle Rechte gelten. Und eine andere Gruppe von Menschen, für die Rechte nur noch eingeschränkt gelten. Eine solche Entwicklung dürfen wir nicht zulassen. Der müssen wir entgegentreten, wo immer sie sichtbar wird.
    "Öffentlichkeit schaffen für die verfolgten Autoren"
    Ellmenreich: Was kann ein PEN-Präsident dagegen machen, außer gute und warme Worte sprechen?
    Haslinger: Das ist es, ja: Öffentlichkeit schaffen, Öffentlichkeit schaffen für die verfolgten Autoren, für die inhaftierten Journalisten. Es ist ja nicht so, dass die Türkei uns als einziges Land beschäftigt, aber das ist natürlich das Land, das in den letzten zwei Jahren doch in den Vordergrund getreten ist unserer Tätigkeit. Was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass mittlerweile ja auch die deutsche Meinungsfreiheit betroffen ist. Denn wenn ein deutscher Journalist, der für eine deutsche Zeitung schreibt, Deniz Yücel, wenn der in der Türkei in Haft sitzt, dann betrifft das uns unmittelbar. Dann ist das nicht etwas, was die Türken unter sich ausmachen sollen, sondern das ist etwas, was Deutschland unmittelbar berührt. Weil damit auch die Berichterstattung in Deutschland mit betroffen ist. Das heißt, wir sind doch in der Situation, dass wir in der eigenen Gesellschaft mittlerweile auch stärker und verstärkt arbeiten müssen, weil hier offenbar bestimmte Dinge keine Klarheit mehr haben. Das hat sich ja auch bei der Abstimmung für das Referendum in der Türkei gezeigt, wo das Stimmverhalten der in Deutschland lebenden türkischen Mitbürger doch ein höchst fragliches war. Und man darf sich dann ja nicht nur fragen, was läuft da falsch bei den Türken, sondern man muss sich fragen, was läuft falsch in unserer Gesellschaft, dass diese Menschen sich doch eher einem Land zugehörig fühlen mit autokratischen Tendenzen, in dem sie gar nicht leben. Anstatt dem Land, in dem sie alle Freiheitsrechte genießen und in dem sie leben. Das betrifft eigentlich alle Lebensbereiche, wo man einmal nachfragen muss, was kann hier besser gemacht werden.
    Ellmenreich: Josef Haslinger, Sie haben gesagt, ein Grund für ihren Rückzug sei auch, dass Ihr Wunsch groß sei, wieder selbst zu schreiben. Was meinen Sie, schreiben Sie anders nach dieser Zeit als Präsident des PEN Deutschland? Hat diese Zeit Sie nachhaltig literarisch geprägt?
    Haslinger: Oh, das kann ich nicht sagen. Aber geprägt hat sie mich mit Sicherheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich all das, was ich über die Welt erfahren habe und erfahren durfte, muss man ja auch dazu sagen – ich habe ja doch einen Einblick gekriegt, den ich vorher nicht hatte -, dass das völlig spurlos an mir vorbeigeht.
    Ellmenreich: Nun werden Sie miterleben in den kommenden Tagen, wie ein Nachfolger, vielleicht auch eine Nachfolgerin gewählt wird auf der PEN-Jahrestagung in Dortmund. Da steht ein Zitat des Dortmunder Schriftstellers Peter Rühmkorf über dieser Jahrestagung. Und dieses Zitat lautet: "Bleib erschütterbar und widerstehe." Ist das Ihr Rat an einen Nachfolger, an eine Nachfolgerin, sich weiterhin von den Geschehnissen berühren zu lassen, aber doch standhaft zu bleiben?
    Haslinger: Ja. Eigentlich gilt das nicht nur für Schriftsteller. Eigentlich gilt das für alle Menschen. Das ist eigentlich ein sehr wunderbares Zitat, weil gerade die Empathie die Grundlage dafür ist, dass man bereit ist, alle Menschen einer Gesellschaft als gleichwertig anzuerkennen. Und ihnen die gleichen Rechte zuzugestehen und die gleiche Würde zuzugestehen. Das ist ein Zitat, das einerseits unsere Tagung und die Themen, die wir behandeln, gut unterstreicht, auf der anderen Seite aber auch ein guter Ratschlag an alle Menschen der Gesellschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.