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PEN-Zentrum
"Blasphemie-Paragrafen streichen"

Der Vorwurf der Blasphemie habe in jüngster Zeit eine neue Brisanz entwickelt, sagte Josef Haslinger, Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, im Deutschlandfunk. Auch Deutschland sehe mit dem Paragrafen 166 eine Bestrafung von Blasphemie vor - der PEN fordert jetzt in einer Resolution die ersatzlose Streichung.

Josef Haslinger im Gespräch mit Michael Köhler | 24.04.2016
    Der Schriftsteller Josef Haslinger
    Der Schriftsteller und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, Josef Haslinger. (imago stock & people)
    Michael Köhler: Das PEN-Zentrum Deutschland, das seinen Namen von der Abkürzung Poets, Essayists and Novelists hat, ist eine Schriftstellervereinigung, die sich wesentlich als Anwalt des freien Wortes, des bedrohten freien Wortes versteht und als Stimme verfolgter oder unterdrückter Schriftsteller. Ihr Präsident ist Josef Haslinger, der einem größeren Publikum mit seiner auch verfilmten Politsatire "Opernball" bekannt wurde.
    - Und ihn habe ich gefragt am Ende der Tagung, die in Bamberg stattfand: Wo sehen Sie die größten Gefährdungen im Moment für Autoren und warum der Titel, warum das Jahresthema Blasphemie?
    Josef Haslinger: Ja. Es ist ja kein Geheimnis, dass Blasphemie auch eine neue Brisanz entwickelt. Das hat natürlich zu tun mit dem Islam und dem islamistischen Fundamentalismus, denn das, was den Karikaturisten von Charlie Hebdo vorgeworfen wird oder vorgeworfen wurde, und zwar so massiv, dass man sich gleich dafür tötete, das war Blasphemie. Das heißt, dieses Thema, das in Deutschland, in Österreich, überhaupt in Europa eigentlich sich mehr oder weniger verabschiedet hatte, weil es gibt Blasphemie-Paragrafen in verschiedenen Gesetzbüchern, aber sie wurden im Wesentlichen nicht mehr angewandt. Das kommt gleichsam durch die Hintertür durch die Ausbreitung fundamentalistischer Strömungen des Islam nach Europa zurück. Und wir haben hier uns diesem Thema einfach zu stellen. Wir haben hier sehr, sehr wachsam zu sein.
    Köhler: Sie sagen es: Es gibt bei uns ja den Strafgesetzbuchparagrafen 166, der Bekenntnisbeschimpfung unter Strafe stellt, allerdings sehr weit gefasst, wenn der innere Frieden bedroht ist. Bei uns ist das Rechtsgut der Bekenntnisfreiheit ein sehr hohes, der Staat stellt das unter Schutz, auch die Glaubensgemeinschaften. Das ist nicht überall so. Sie als Schriftsteller, wir stehen in einer Tradition. Heinrich Heine ist gegen Zensur, Zepter und Zollverein aufgestanden, er wurde verboten. Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Gefahren? Liegen sie in einer Bedrohung der Demokratie von außen? Kommt es vielleicht von innen auch durch innere Zensur? Was denken Sie?
    Haslinger: Die größten Gefahren kommen von innen. Das ist nicht von außen. Die Demokratie ist von außen nicht bedroht. Sie ist bedroht davon, wenn wir nicht in der Lage sind, das freie Wort, die Freiheit des Einzelnen zu schützen. Wenn fundamentalistische Strömungen, wenn rassistische Strömungen sich starkmachen, wenn die Würde des Menschen plötzlich verschiedene Kategorien kennt. Das ist die größte Gefahr. Und da müssen wir tatsächlich wachsam sein. Es ist ja so, dass in ganz Europa bilden sich rassistische Strömungen heraus. Das ist etwas, was innerhalb kürzester Zeit zu einer echten Gefahrenquelle werden kann. Und dann haben wir plötzlich unterschiedliche Kategorien von Menschen, unterschiedliche Wertstufen von Menschen. Wir haben Menschen, die geschützter sind als andere. Und das ist eine Entwicklung, die wir auf keinen Fall zulassen dürfen.
    Köhler: Herr Haslinger, Sie sind nicht nur Schriftsteller, bekannter Schriftsteller, politisch engagierter Schriftsteller, sondern auch PEN-Präsident. Was tun Sie als PEN dafür? Ich glaube, es war der erste Kulturstaatsminister Michael Naumann, der das Programm "Writers in Exile" aufgelegt hat. Ist das lebendig, ist das wirksam? Schildern Sie es uns mal.
    Haslinger: Ach, lebendig oder wirksam? Das ist wirklich das ambitionierteste Exilprogramm aller PEN-Zentren der Welt. Und wir sind so froh, dass wir es haben. Wir betreiben das mit großem Engagement. Wir können acht Autorinnen und Autoren aus aller Welt für ein paar Jahre Schutz und ein Stipendium bieten. Sie kommen nach Deutschland, wenn sie denn die Chance haben. Einen wollten wir neulich aus Ägypten nach Deutschland holen. Und am Flughafen in Kairo wurde ihm mitgeteilt, dass ihm ein Reiseverbot auferlegt worden ist. Wir sind nach wie vor mit ihm in Kontakt. Seine Mails und so weiter werden natürlich kontrolliert. Aber es wird sehr, sehr schwer, diesen Autor aus Ägypten rauszubringen. Das heißt, es gelingt nicht alles, es werden uns Knüppel in den Weg gelegt. Aber es gelingt uns dann doch immer wieder, Autoren nach Deutschland zu holen, ihnen Schutz zu bieten, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre literarische Tätigkeit fortzusetzen. Und wichtig ist natürlich auch, dass wir sie als Schriftsteller der Öffentlichkeit präsentieren, dass wir ihre Texte übersetzen, dass wir sie der deutschen Öffentlichkeit zugänglich machen. Das ist, glaube ich, auch die wichtigste Aufgabe, die der deutsche PEN betreibt, und das werden wir weiter so machen.
    Köhler: Die PEN-Tagung ist auch immer dazu da, Herr Haslinger, Resolutionen zu verfassen. Einfacher gesagt: Auch da, wo manchen Autoren der Schuh drückt, mal was loszuwerden. Wie war das dieses Jahr?
    Haslinger: Dieses Jahr gab es zwei Resolutionen, die sich mit der Türkei befassen. Wir fordern einfach die Einstellung des Verfahrens gegen Can Dündar und Erdem Gül. Das sind die beiden Journalisten, die jetzt zwar auf freiem Fuß sind, denen aber eine hohe Haftstrafe nach wie vor wegen Spionage droht. Das Zweite war eine Resolution für vier Wissenschaftler, ebenfalls Türken, die selbst öffentlich dazu aufgerufen haben, dass der Staat aufhören soll, die eigene Bevölkerung im Osten der Türkei zu bombardieren. Und diese vier Wissenschaftler sind gestern zufällig, während wir die Resolution verabschiedet haben, auf freien Fuß gesetzt worden. Allerdings droht ihnen nach wie vor Haft. Und zwar jetzt nicht wegen Propaganda für eine terroristische Vereinigung, wie das ursprünglich hieß; jetzt droht ihnen Haft wegen Herabsetzung des Türkentums. Das ist ja auch ein absurder Paragraf, der immer wieder zur Anwendung kommt. Und das Dritte ist eine ganz klare Resolution gewesen, dass wir den Paragrafen 166, den sogenannten Blasphemie-Paragrafen, ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch streichen wollen.
    Köhler: Das sagt der PEN-Präsident Josef Haslinger zum Ende der Jahrestagung der Schriftstellervereinigung in Bamberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.