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Perfektion am seidenen Faden

Als streng mathematisch und bildhaft-sinnlich zugleich wird die Tanzsprache beschrieben, an welcher der Choreograf William Forsythe seit Jahrzehnten dichtet. Größere Neuproduktionen seiner Kompanie gab es bislang meist in Frankfurt und Zürich zu sehen. Die neueste Arbeit der Truppe mit dem Titel "Yes We Can't" hatte am Mittwochabend jedoch Premiere am Festspielhaus Hellerau in Dresden.

Von Georg-Friedrich Kühn | 06.03.2008
    Ein bohrend brummendes Dreiton-Motiv erfüllt den Raum. Bis ein Tänzer mit rotem Hemd und blauer Hose aus den Kolonnaden hinten stürmt mit gellendem Schrei. In dem Raum sieht man nur drei unterschiedlich hohe Mikrofonständer auf dem riesigen, schwarzen Tanzteppich und einen kleinen weißen Flicken.

    Wie ein computeranimiertes Bild bewegt sich der Tänzer mit so fließendem wie gezacktem Figurieren der Arme, Beine, Hände, des Kopfs. Ein zweiter, ein dritter - bis zu sechs Tänzerinnen und Tänzer in bunten Kombinationen kommen hinzu, bewegen sich auf ähnliche Art in rasantem Tempo und mit stupender Virtuosität.

    Sie kämpfen um die Mikrofone, gruppieren sich zu Duos, Trios. Die Glieder verknoten, lösen sich. Eine Frau mit abgeknickten Beinen und Füßen wie eine Zwergin erkämpft sich ihren Platz an der Flüstertüte.

    "Yes, we can't" - "Ja, wir können nicht", das ist auch der ironische Titel dieser 70-minütigen Uraufführung im Festspielhaus von Dresden-Hellerau, diesem drei Stockwerk hohen, kirchenartigen Hallenraum, wo die Forsythe-Truppe teilresidiert. "Eine Arbeit von William Forsythe und den Tänzern der Forsythe Company" nennt sich der Abend im Untertitel.

    Viel wird hier mit raschen, abrupten Lichtwechseln gearbeitet in schnell wechselnden Gruppierungen. Einzelne Grundmotive ziehen sich durch. Zum Beispiel: dass zwei Tänzer sich immer mal wieder wie Fußballer abklatschen. Oder es will mal auch ein dritter mit dazwischen und abgewatscht werden.

    Oder: Einzelne machen stumme Bewegungen, die etwas Chaplineskes bekommen. Oder es bilden sich Paare, die sich ineinander hängen und dann so was wie schrägen Tango vollführen. Oder einer der Männer tanzt, mit einem Mikrofon-Ständer auf den Füßen balancierend, eine Groteske.

    Oder eine Gruppe verkriecht sich in den kleinen weißen Teppich, der zugleich wie ein Fenster in der schwarzen Fläche wirkt, und sie bauen sich ein Schneckenhaus.

    Ein weiter wiederkehrendes und ständig variiertes Motiv sind aus einem imaginären Zusammenhang gerissene Sätze, wie Party-Gewäsch. Sie werden in die Mikrofone gesprochen, geschrieen, gelallt, gekreischt. Manchmal werden sie verdichtet zu gleichsam Hintergrundgeräuschen. Oder es werden Wortspiele mit Buchstaben-Vertauschen durchexerziert, Obszönitäten inklusive. Aber alles in größter Leichtigkeit.

    Die Perfektion, mit der das abläuft, ist höchst beeindruckend. Und nichts deutet darauf hin, dass die Premiere am seidenen Faden hing. Noch eine Stunde vor Beginn musste überlegt werden, ob man den Abend nicht absagt. Ein Haupttänzer hatte sich verletzt, aber man schaffte es, in kürzester Zeit umzudisponieren.

    Am Ende gab es viel Beifall für die 14 Tänzerinnen und Tänzer und den Choreografen William Forsythe von der Zuschauer-Tribüne in Dresden. Allzu häufig kam es bisher ja nicht vor, dass neue Kreationen zuerst in Hellerau gezeigt werden. Noch dazu eine, bei der auch viel getanzt und nicht nur Tanz imaginiert oder konzipiert wird.