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Performance, Authentizität und Theater

Für das Avantgarde-Theater ist der Januar ein wichtiger Monat, denn dann findet in New York Amerikas größte Theater- und Kulturmesse statt - das heißt, die Stadt ist voll von einflussreichem Publikum. Das versucht auch das Coil-Festival auszunutzen, das sich der Performance-Szene verschrieben hat.

Von Andreas Robertz | 11.01.2011
    Der Raum ist erfüllt mit dem Gesang alter Männer. Zwei jüdische Rabbiner singen Gebete und schreiten durch den Raum. Der Ältere bleibt plötzlich stehen und verstummt, so als suche er nach dem richtigen Text oder wäre erschöpft. Der Zweite kommt, nimmt ihn liebevoll unter die Arme und beide schreiten singend weiter.

    Der Abend "Rabbi Rabino" des argentinischen Regisseurs Vivi Tellas handelt von den beiden alten New Yorker Rabbinern Moshe und Heyman. Es ist eine Welturaufführung und für die beiden echten Rabbiner auch ein Bühnendebüt.

    Sie erzählen jüdische Witze, Geschichten über ihr Leben, diskutieren über den Tod, und als es an der Zeit ist, halten sie ihr Abendgebet auf der Bühne ab, nicht ohne sich vorher beim Publikum zu entschuldigen.

    Ist das Abendgebet zweier echter Rabbiner auf der Bühne ein echtes Gebet? Wie authentisch kann eine Performance sein? Im zweiten Stock des PS 122 kann man am selben Abend das Gastspiel "Ouverture Alcina" der italienischen Gruppe Teatro delle Albe sehen. Doch ganz im Gegensatz zu dem warmen persönlichen Gesang der beiden Rabbiner ist diese Produktion ein zuweilen erschreckend lautes Duett zwischen der Stimme einer alten Medea-artigen Zauberin, die nicht sterben kann, und einer eindringlichen Soundcollage, die ihre inneren Zustände reflektiert.

    Mit dem Text des Renaissance-Gedichtes "Orlando Furioso" verflucht die weiß geschminkte Performerin Ermanna Montanari in einer Art italienischem No-Theater die Männer, die Liebe und die Unsterblichkeit, ein bizarrer Abend über das Verhältnis von Stimme und Musik, Sprache und Gestik, dem Mythischen und dem Rituellen. In einer anderen Uraufführung, der Produktion "Hello Hi There" der Amerikanerin Annie Dorsen, gibt es gar keine Darsteller mehr. Zwei Computerprogramme ahmen eine menschliche Konversation über eine berühmte Fernsehdebatte zwischen dem amerikanischen Aktivisten Noam Chomsky und dem französischen Philosophen Michel Foucault nach, oft erschreckend intelligent und komisch und jeden Abend neu.

    In einem Interview mit der New York Times erklärt Vallejo Gantner, künstlerischer Leiter des COIL Festivals, dass die New Yorker immer glauben, dass, wenn etwas richtig gut ist, es automatisch auch in New York gezeigt würde und dass diese Annahme in der globalen Vernetzungs- und Medienwelt zunehmend falsch sei. Ganz im Gegenteil müsse immer wieder für diese Position gestritten werden. Deswegen ist das COIL Festival auch als ein leidenschaftliches Plädoyer für New York als Knotenpunkt dieser globaler werdenden Kultur zu verstehen.

    Eine andere wichtige Funktion des Festivals ist die Präsentation von markanten amerikanischen Neuproduktionen, die Einkäufer finden müssen, wenn sie touren wollen. Eine solch markante Produktion ist sicher die New Yorker Erstaufführung des Tennessee Williams-Einakters " Green Eyes" in einem winzigen Hotelzimmer im futuristischen Hudson River Hotel. Das Stück, geschrieben als Reflex auf posttraumatische Probleme heimkehrender Soldaten aus dem Vietnamkrieg, handelt von der Hochzeitsnacht eines jungen Paares, das zu einem psycho-sexuellen Verwirrspiel mutiert - und dies mit einer Unausweichlichkeit und Brutalität, als ob Sarah Kane mitgeschrieben hätte.

    Die sehr gelungene Inszenierung von Travis Chamberlain beweist, wie aktuell Tennessee Williams Arbeit ist. Regisseur und Darsteller setzen auf die kompromisslose Intimität der Situation. Gleichzeitig stellt sich - durch die Unmittelbarkeit der Vorgänge - die Frage nach Reaktion und aktiver Teilnahme, denn der Bühnenrand ist oft nicht mehr als zwei Zentimeter vom Publikum entfernt.

    Das COIL Festival zeigt eine aufregende Auswahl unterschiedlichster Ansätze im Spannungsfeld von Performance, Authentizität und Theater. Es zeigt sich, dass die amerikanische Szene dabei mutig neue Wege des Narrativen sucht.

    Informationen:
    Das COIL Festival in New York