Donnerstag, 25. April 2024

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Performance "Faust"
"Der Bezug zur Gegenwärtigkeit ist sehr groß"

In der Performance "Faust" sei bei der Künstlerin Anne Imhof der Bezug zur Gegenwärtigkeit sehr groß, sagte die Kuratorin des deutschen Pavillons in Venedig, Susanne Pfeffer, im DLF. Imhof schaue auf die Welt, Gesellschaft und auf das Individuum und "wie stark zum Beispiel Machtstrukturen sich innerhalb unserer Körper offenbaren".

Susanne Pfeffer im Gespräch mit Änne Seidel | 10.05.2017
    Performance von Anne Imhof.
    Performance "Faust" von Anne Imhof. (Deutschlandradio/Änne Seidel)
    Änne Seidel: "Faust" heißt das fünfstündige Gesamtkunstwerk, das die Künstlerin Anne Imhof während der Biennale jeden Tag aufs Neue zum Leben erweckt. Eine Arbeit, die mit einer ziemlichen emotionalen Wucht daher kommt. Bei manch einem Besucher flossen sogar die Tränen. Auf diese heftigen Reaktionen angesprochen, sagte die Künstlerin Anne Imhof:
    O-Ton Anne Imhof: "Natürlich freut mich das, dass es verschiedene Reaktionen auslöst, und ich freue mich, dass so viele Leute kommen, dass die auch bleiben. Und dass das so einen Widerhall findet, ich glaube, das sind nicht nur die Emotionen des Betrachters, das ist auch das, was die Leute, die das Stück performen oder in dem Moment auch kreieren, machen und auch deren Emotionen und Gedanken stecken da drin. Und ich glaube, das ist dann vielleicht sogar eine angemessene Reaktion."
    Seidel: Anne Imhof über die Reaktionen der Besucher auf ihre Arbeit im deutschen Pavillon. Ausgewählt wurde die Künstlerin von der Kuratorin des Pavillons, Susanne Pfeffer. Auch mit ihr konnte ich gestern sprechen. Ich habe sie zuerst nach der politischen Dimension dieses Werks gefragt. Es gibt zum Beispiel immer wieder Szenen zwischen den Performern, die an Polizeigewalt erinnern. Daher die Frage an Susanne Pfeffer: Macht und Unterdrückung, sind das zentrale Themen in dieser Arbeit?
    Susanne Pfeffer: Auf jeden Fall. Es geht schon gerade sehr stark darum, wer ist Handelnder, wer ist Erleidender, wer gehört dazu, wer wird ausgeschlossen. Ich glaube, wir sind in einer Zeit, wo es permanent eigentlich um Ausschluss und Einschluss geht, und das ist national wie im Privaten, glaube ich, ein wichtiges Thema, was natürlich definiert, wie wir uns als Menschen in dieser Gesellschaft bewegen können oder auch dürfen.
    Seidel: Sie haben im Vorfeld der Biennale mal gesagt, dass Sie Anne Imhof ihren Realismus schätzen. Vielleicht können Sie mal versuchen, anhand dieser Arbeit im deutschen Pavillon zu beschreiben, was genau Sie damit meinen. Inwiefern ist ihre Bildsprache realistisch?
    Pfeffer: Ich glaube, es ging darum, dass bei Anne Imhof eigentlich der Bezug zur Gegenwärtigkeit sehr groß ist. Das heißt, sie schaut auf die Welt, auf die Gesellschaft, auf das Individuum, wie stark zum Beispiel Machtstrukturen sich innerhalb unserer Körper offenbaren, wie sie durchzogen werden in einer Zeit, wo wir permanent dabei sind, unsere Körper zu optimieren, und auch im Grunde gemaßregelt werden, wenn wir das nicht machen. Das ist schon ein Teil dessen, wieweit auch Technologie sich immer mehr in unsere Körper einschreibt, im Positiven wie im Negativen, in Formen der Freiheit, aber auch in Formen der Unterdrückung.
    "Sowohl ein Porträt der Gesellschaft als auch ein Porträt des Individuums"
    Seidel: In der Kunstgeschichte ist der Begriff Realismus ja auch sehr stark mit Gesellschaftskritik verknüpft, zum Beispiel ein Gustave Courbet, der angefangen hat, Bettler zu malen. Sehen Sie das bei Anne Imhof auch, diese explizite Gesellschaftskritik?
    Pfeffer: Auf jeden Fall – in dem Sinne, dass sie auch versucht, sowohl ein Porträt der Gesellschaft auch als ein Porträt des Individuums zu zeichnen und die sich natürlich auch gar nicht voneinander trennen lassen.
    Seidel: Mit welchem Begriff würden Sie das eigentlich beschreiben, was sie da macht? Ist das eine Performance, ist das eine Installation, was ist das eigentlich?
    Pfeffer: Es ist Faust. Faust – das ist der Titel der Arbeit – umfasst wirklich eine raumgreifende Struktur, Malerei, ganz viele neue Kompositionen, die sie extra entwickelt hat, Tiere, wir haben Hunde hier zu sehen, aber auch performative Arbeiten, das heißt mit Menschen, mit Individuen. Und das zusammen ergibt eigentlich die Arbeit von Anne Imhof.
    Seidel: Und wie stark ist sie vom Theater beeinflusst? Faust ist ja nun ein Titel, den man eher dem Theater zuordnen würde.
    Pfeffer: Faust bezieht sich auf die Hand, und das ist ganz interessant. Wir sind ja in einem Zeitalter, wo man permanent eigentlich auf die Hand blickt beziehungsweise auf die eigenen Finger, die Finger ja von ganz eklatanter Bedeutung sind. Nun kann ich aber im Grunde nur, wenn ich die Finger zusammenschließe zu einer Faust, eigentlich aktiv oder gewalttätig werden und kann diese Gewalt entweder gegen jemand anders richten, oder auch gegen sich selbst, und das ist ein großes Thema in dieser Arbeit. Sie erwähnten das schon mit Macht und Ohnmacht, wer hat die Oberhand und wer ist übergeordnet oder ist der Untergeordnete vielleicht der Übergeordnete, dass sich die Systeme eigentlich permanent verschieben, und das entspricht, glaube ich, sehr stark unserer Wahrnehmung der jetzigen Zeit der sich in einer totalen Transformation befindenden Gesellschaft.
    Skulpturales Element, performatives Element und Malerei
    Seidel: Ihre Arbeit umfasst Malerei, Installation, Performance, sagen Sie. Sind wir jetzt endgültig an dem Punkt angekommen, wo wir diese klassischen Gattungsbegriffe und Grenzen über den Haufen werfen können, weil sowieso alles verschwimmt, alles verschmilzt?
    Pfeffer: Ach, das weiß ich nicht. Sie fragen auch nach den Gattungen. Natürlich gibt es ein skulpturales Element, natürlich gibt es ein performatives Element, natürlich gibt es Malerei, und das sind ja schon sehr unterschiedliche Medien. Ich glaube, was hier zusammenkommt, dass sich diese Medien immer wieder neu übereinanderlegen und aufeinander beziehen und dass auch alles nicht immer gleichzeitig präsent ist. Es gibt Momente, wo man keinen Sound hat, es gibt Momente, wo totale Stille ist, es gibt Momente, wo man im Raum steht und keine Malerei sieht, es gibt Momente, wo man immer Malerei sieht. Ich glaube, dass diese Bilder, die Anne Imhof schafft, sich permanent neu verschieben und dadurch eigentlich auch jede Sekunde, wenn Sie da reingehen, sehen Sie ein anderes Bild.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.