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"Performersion" bei der Re:Publica
Sex-Performance, weiße Hasen und ein bisschen Dada

Wie kann man eine Virtual Reality Brille einbinden in den Theaterraum? Wenn sich Regisseure mit IT-Entwicklern zusammentun, wird es experimentell. Beim "Performersion"-Festival im Kühlhaus in Berlin Kreuzberg, das im Anschluss an die Netzkonferenz Re:Publica stattfindet, führen sich Künstler und Publikum gegenseitig an ihre Grenzen.

Von Jürgen Stratmann | 03.05.2016
    Teilnehmer auf der Digital-Konferenz re:publica am 2. Mai 2016 in Berlin
    Die Re:publica am 5. und 6. Mai 2016 im Kühlhaus in Berlin Kreuzberg (imago/Martin Müller)
    Es stimmt wohl, dass auch in darstellender Kunst kaum noch jemand an digitaler Technik vorbei kommt – auch nicht, wenn in einer Theater-Inszenierung - wie beispielsweise in Kirsten Burgers Stück "Emoji" völlig auf digitale Bühnentechnik verzichtet wird.
    Kirsten Burger: "Ich arbeite in dem Stück ausnahmsweise nicht mit Video - kein PC ist auf der Bühne, kein Computer."
    So die Berliner Theaterregisseurin und Filmemacherin. In dem kleinen Schauspiel, das heute Abend Premiere hat und während der Performersion-Days mehrfach aufgeführt wird, ist Digitalisierung das Thema. So geht es im Stück unter anderem auch um das Phänomen der Hiki-Komori – der japanische Begriff für Leute, die ihr Leben völlig in die synthetischen Computerwelten verlegt haben:
    "Die ihre Zimmer eigentlich nicht mehr verlassen und von den Eltern dann noch das Essen vor die Tür gestellt bekommen – oder vielleicht noch auf die Toilette gehen, wenn sie sich beeilen."
    Und Kirsten Burgers Emoji-Darsteller – durchweg Laien - haben teilweise Ähnliches erlebt. Doch das Stück würde wohl nicht im Rahmen der Digitalisierungs-euphorischen Performersion-Days laufen, wenn es nicht auch nach positiven Effekten solcher Kunstwelt-Erfahrungen fragen würde:
    "Sind es Erfahrungswelten, die mir was vom echten Leben stehlen? Oder sind es auch reelle Welten, die mir wieder Kompetenzen geben, die ich im reellen Leben nutzen kann?" Eine Fragestellung.
    "Womit sich sehr viele Menschen im Moment beschäftigen, wenn jetzt demnächst die Brille, die ja dann noch isolierender wirkt, als nur vor dem Computer zu sitzen, wenn die für 299,- Euro in den Handel kommt." So Julian Kamphausen, Performersion-Mit-Initiator vom Berliner Performance-Art-Programm.
    Die neue Virtual-Reality Brille in den theatralen Kontext stellen
    Stichwort Virtual-Reality Brille für 299,- Euro – solche neuartigen High-Tech-Gimmicks seien ... "auch ein Grund, warum wir an der Messe teilnehmen – Techniken kennenlernen und zu überlegen, wie kann man sie in den theatralen Kontext stellen, wie kann man sie für unsere Arbeit benutzen, ist ein Ziel."
    Gesteht David Csesienski, der als Mitglied der Theatergruppe "Prinzip Gonzo" das Spiel "Follow the white Rabbit" extra für die Performersion Days entwickelt hat. Zuschauer sind bei diesem Spiel nicht passiv dabei, sondern werden als Spieler von einer speziellen Handy-App übers Spielfeld geleitet. Die Rolle des weißen Kaninchens übernimmt dabei eine Software.
    David C.: "Wir haben Alice im Wunderland als Grundlage genommen und daran angelehnt die Aufgaben genommen." Ein überdimensionales Brettspiel zum darauf rumlaufen mit einer Smartphone-App als Handlungsmotor und Schauspielern als Spielfiguren – ein völlig neues Theaterformat. Auf Grundlage digitaler Technik. Gerade bei freien Kunstschaffenden gebe es hierfür ein großes: "Bedürfnis nach Ermächtigung, also: Mit möglichst wenig Geld einen möglichst großen Bühnen-Effekt zu erzielen."
    Auf der andern Seite werde technisches Potential vergeudet: "Für mich ein ganz hoher Frustrationspunkt in meiner Liebe für Veranstaltungstechnik ist die IFA: Wenn man 200 qm Super-LED-Bildschirme sieht, auf denen dann nur perfekte Wälder oder Alpenlandschaften projiziert werden, die dann nur wieder zurück ins Lager kommen. Da Möglichkeit und Inhalt zusammen zu führen, ist für beide Seiten eine totale Bereicherung."
    Und die Performersion Days sollen genau diese Zusammenführung herbeiführen. "Auf der einen Seite die ganzen Technik-und-digitale-Gesellschafts-orientierten Besucherinnen der Re:publica - wo wir großen Input-Bedarf haben für neue Herangehensweisen." So der Re:publica-Gründer Andreas Gebhardt.
    Llia Papatheodorou: Grenzen des Körpers in der Kunst überwinden
    Auf der andern Seite: "Akteure und Akteurinnen aus den darstellenden Künsten um dann ein gemeinsames Experimentierfeld herzustellen, auf dem die sich begegnen, zusammen arbeiten, zusammen spielen, zusammen forschen."
    Spielen, Arbeiten, Forschen heißt: Neben oben beschriebenen Performances werden zahlreiche Vorträge und vor allem Workshops angeboten.
    Und – Stichwort "Experimentierfeld": "Wir haben gerade ein Experiment aufgebaut, auf der Bühne der Münchener Kammerspiele, mit Hilfe von Benjamin Krieg: da sind 5 Live-Kameras auf der Bühne und zwei Leinwände."
    So Llia Papatheodorou vom feministischen Theaterkollektiv "She She Pop". Das Experiment mit dem Titel "50 Grades of Shame" hat für mächtig Aufsehen in der Theaterwelt gesorgt. Darin geht es. "Um Sexualität und Aufklärung und darum, wie man Grenzen des Körpers in der Kunst überwindet."
    Konkret: Per Software werden live gefilmte Körperteile diverser Darsteller auf einer Bühnenleinwand zu Wolpertinger-artig vielgeschlechtlichen Mischwesen unbestimmten Alters zusammen gesetzt. Aus einem bärtigen Greisengesicht beispielsweise spricht dann auch schon mal ein üppiger Frauenmund.
    Das Stück wird aber nicht vorgeführt, sondern man kann von "She She Pop" den Umgang mit der "Technik lernen - ganz toll, total inspirierend." Und für derart technik-affin-kreative Künstler und Künstlerinnen bringen dann ab übermorgen. "Menschen aus der digitalen Technologie und Forschung ihre Geräte mit, damit gespielt und das ausprobiert werden kann."
    So gesehen ist die zweitägige Performersion-Veranstaltung auch eine Art Partnervermittler für alles, was Sie sich vorstellen können.