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Perlmutt im Knie

Werkstoffkunde. - Keines der derzeit gebräuchlichen Prothesenmaterialien ist ideal: Keramik ist spröde, Kunststoff verschleißt zu schnell, bei Metall ist der Abrieb ein Problem. Forscher aus Hannover suchen daher nach neuen Materialien, die man zum Beispiel für künstliche Kniegelenke verwenden kann. In Perlmutt haben sie einen interessanten Kandidaten gefunden.

Von Michael Böddeker | 09.12.2008
    Es kleidet die Innenseite von Muschelschalen aus. Wegen seines matten, irisierenden Glanzes wird es oft zu Schmuck verarbeitet. Perlmutt ist aber nicht nur hübsch, sondern gleichzeitig hart und spröde. Auf molekularer Ebene ähnelt es einer Mauer aus Ziegelsteinen. Die Ziegel sind winzige Kalkplättchen, eingebettet in einen Kitt aus einer flexiblen Proteinmatrix. Das verleiht Perlmutt besondere mechanische Eigenschaften.

    "Das heißt man hat eine harte Oberfläche, wenn aber das Perlmutt belastet wird, ist es so dass die Matrix, man stellt es sich so vor dass die Matrix sich ein bisschen dehnt, und eben die Plättchen ein bisschen verschiebt, und dadurch dieser Werkstoff eine gewisse Elastizität hat","

    erklärt Berna Richter vom Labor für Biomechanik und Biomaterialien der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie untersucht, ob sich Perlmutt für den Einsatz in künstlichen Kniegelenken eignet. Natürliches Perlmutt aus Muscheln soll für die Gelenke allerdings nicht genutzt werden. Denn aus Muschelschalen lässt sich kaum ein Kniegelenk herstellen. Chemiker arbeiten vielmehr daran, ein künstliches Material mit den Eigenschaften von Perlmutt herzustellen.

    ""Vereinfacht gesagt versucht man, Plättchen herzustellen und diese eben schichtweise mit einem Polymer zu verbinden."

    Bisher hat man auf diese Weise schon dünne Schichten aus künstlichem Perlmutt hergestellt. Bis dieser reif für die Anwendung ist, arbeiten die Forscher nun erstmal an natürlichem Perlmutt aus Muscheln weiter. Zum Beispiel an einem Prüfstand, der die Belastung im Knie nachstellt. In einer warmen Proteinlösung reiben sich zwei Perlmutt-Proben aneinander – mehrere Millionen Mal, in einem regelmäßigen Rhythmus. Berna Richter:

    "Hier ist es so, dass wir eine Roll-Gleit-Bewegung erzeugen, und das simuliert die Bewegung im Knie. Im Knie ist es so, dass der Oberschenkelknochen auf der einen Seite rollt, auf der anderen Seite gleitet er aber auch im Gelenk. Das heißt es ist keine einfache Bewegung."

    Weshalb im Labor auch noch viele weitere Tests durchgeführt werden. Aber bevor künstliche Kniegelenke implantiert werden können, müssen sie sehr genau bearbeitet, geschliffen und poliert werden. Ob das mit neuem, perlmuttartigem Material genauso gut klappt wie mit Keramik, wird außerhalb von Hannover am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen untersucht.

    In der großen Werkhalle des Instituts steht hinter einer Abtrennung aus Glas eine so genannte 5-Achs-Bearbeitungsmaschine. Marijke van der Meer demonstriert, wie hier Knieprothesen geschliffen werden.

    "Das ist das Schleifwerkzeug. Das rotiert jetzt erst einmal auf Bearbeitungsgeschwindigkeit, knapp 20.000 Umdrehungen pro Minute."

    Hinter den Glasscheiben bewegen sich Roboterarme. Eine Kühlflüssigkeit befeuchtet den Rotor beim Schleifen. Keramische Materialien und Perlmutt sind sehr hart. Um sie bearbeiten zu können, muss das Schleifwerkzeug noch härter sein. Van der Meer:

    "Das ist Diamant, weil das eben das härteste ist, um auch so einen Werkstoff wie Keramik zu beherrschen."

    Mit unterschiedlich großen Schleifscheiben untersuchen die Forscher, wie sich Perlmutt am besten bearbeiten lässt. Es werden Kerben hineingeritzt, und anschließend unter dem Elektronenmikroskop begutachtet. Von der grundlegenden Materialprüfung bis zum fertigen Kniegelenk ist es noch ein weiter Weg, sagt Berna Richter

    "Bis überhaupt eine Prothese dann eingesetzt wird müssen so viele Untersuchungen noch ablaufen, dass das mit Sicherheit noch Zukunftsmusik ist. Aber vielversprechend."

    Doch selbst wenn es die perlmuttähnliche Prothese eines Tages geben sollte, ein richtiges Gelenk wird auch sie nicht ersetzen können. Richter:

    "Heutzutage ist es immer noch so: das eigene Gelenk ist das bessere Gelenk."