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Persönliche Vergangenheitsbewältigung

679 argentinische Soldaten wurden in dem Konflikt mit Großbritannien um die Falkland-Inseln getötet. Und mehrere hundert weitere haben sich nach dem Krieg das Leben genommen. Veteranen-Organisationen schätzen die Zahl der Selbstmorde auf etwa 460. Neben psychologischer fehlte es lange auch an finanzieller Unterstützung. Erst seit Januar bekommen die Malwinen-Rückkehrer eine zufriedenstellende Rente von umgerechnet etwa 650 Euro. Victoria Eglau hat einen argentinischen Veteranen getroffen, der nach 25 Jahren an den Kriegsschauplatz zurückgekehrt ist.

31.03.2007
    Norberto Santos steht in einem Zimmer seines Hauses in der argentinischen Stadt La Plata. Es ist eine Art Erinnerungsraum: Fotos und Urkunden hängen an der Wand. Auch Bilder von den Falkland-Inseln sind dabei, aufgenommen vor 25 Jahren. Norberto und seine Kameraden sind darauf zu sehen, in Uniform, jung und lachend. Sie waren gerade angekommen auf den Malwinen, wie die Inseln von den Argentiniern genannt werden, und die Kämpfe hatten noch nicht begonnen. Norberto, damals 17, heute 42, zeigt auf ein Foto:

    "Zwei von denen sind gefallen. Der hier ist getötet worden, und der da auch", sagt Norberto Santos, ein lebhafter Mann, der in der Stadtverwaltung von La Plata arbeitet. Er selbst kam 1982 schwer verwundet aus dem Falkland-Krieg zurück, er hatte seinen linken Arm verloren und trägt seitdem eine Prothese. Norberto ist nervös, denn in zwei Tagen wird er auf die Malwinen reisen, gemeinsam mit sieben anderen Kriegsveteranen.

    "Das ist wie eine Schuld, die noch aussteht: Ich will mich von den getöteten Kameraden verabschieden", erklärt Norberto Santos. "Ein letztes Gespräch, zwar spät, aber früher konnte ich dort nicht hinreisen, sagt er, es geht mir sehr nahe, zurückzukehren. Wenn ich dort hinkomme, wo ich damals im Einsatz war, wo ich verletzt wurde, und wo meine Companeros gefallen sind, werden meine Erinnerungen wahrscheinlich wieder lebendiger und härter. Durch das Abschiednehmen will ich den Kreis schließen", sagt Norberto.

    Nur ein paar Dutzend argentinische Veteranen sind in den letzten 25 Jahren auf die britischen Falkland-Inseln gereist. Norberto Santos hofft, dass durch die Reise seine Wunden nicht wieder aufgerissen werden, und vor allem, dass es ihm gelingen wird, den Schreckensbildern von damals neue, positive Bilder entgegenzusetzen. Bei der Verarbeitung ihrer Kriegstraumata, ihrer Verluste und Schuldgefühle haben die rund zehntausend argentinischen Falkland-Veteranen wenig Unterstützung erhalten.

    "Die Gesellschaft hat uns nicht gut aufgenommen. Wir mussten durch die Hintertür zurückkommen, wir werden immer noch nicht gut behandelt", erzählt Norberto Santos. Er selbst kehrte nach einem zwei Jahre langen Krankenhaus-Aufenthalt in den Alltag zurück, vom Staat bekam er weder finanzielle noch psychologische Hilfe. Das war 1984, da war die argentinische Militärjunta, die den Krieg um die Malwinen begonnen hatten, bereits abgetreten, Argentinien war von der Diktatur zur Demokratie zurückgekehrt. Und die Gesellschaft wollte den verlorenen Krieg am liebsten vergessen und brachte den jungen Veteranen Misstrauen statt Mitgefühl entgegen.

    "Die Gesellschaft betrachtete uns als gestörte, halb verrückte, gefährliche Menschen", erinnert sich Santos. "Wir suchten Arbeit, man hat uns auf die Schulter geklopft und sich nie wieder bei uns gemeldet." Norberto Santos hätte seinen Job bei der Stadtverwaltung damals beinahe nicht bekommen. Er wurde nur eingestellt, weil er verschwieg, auf den Malwinen gekämpft zu haben, und ein Arzt ihm bescheinigte, er habe seinen Arm bei einem Unfall verloren.

    "Ich habe das Gefühl, dass der Krieg für mich wie ein Rucksack ist. Mit der Zeit hat man mir immer mehr Steine hineingetan, und der Rucksack wurde immer schwerer", sagt Norberto.

    "Ich habe doch nur getan, was ich musste: ich habe meinen Wehrdienst absolviert. Und dann kam diese verrückte Aktion der Militärs und ich fand mich in einem Krieg wieder. Es ist schwer zu verstehen, warum man mich dafür verurteilt hat", klagt Norberto. Viel mehr Groll als gegen die britischen Soldaten hegt er gegen die eigene Gesellschaft und die argentinischen Militärs, die zehntausend junge Männer schlecht ausgerüstet in einen aussichtslosen Krieg schickten. Norberto Santos erzählt von den vielen Veteranen, die sich umgebracht haben, auch in seiner Stadt La Plata.

    Zwei Wochen später. Norberto Santos ist von seiner Reise auf die Malwinen zurückgekehrt. Im Veteranenzentrum von La Plata trifft er sich, wie jeden Dienstag, mit den Companeros.
    Norberto wirkt gelöst, zufrieden.

    "Die Reise hat mir gut getan, ich konnte Gefühle herauslassen, auf dem Friedhof habe ich viel geweint", erzählt der Veteran. "Es hat mir gefallen, dort zu sein. Ich habe nun die Erinnerung, mit meinen Companeros eine Flasche Wein getrunken zu haben, in den Bergen, wo wir gekämpft haben. Ich habe mich verabschiedet. Ich habe den Kreis geschlossen. Heute fühle ich mich erleichtert."

    Auch Osvaldo Savarella, der mit Norberto auf die Malwinen reiste, bereut die Rückkehr an den Kriegsschauplatz nicht.

    "Ich habe ein Wechselbad der Gefühle erlebt: zwischen Freude, Trauer und Wut. Aber jetzt fühle ich mich beruhigt", beschreibt Osvaldo seine Erfahrung. Ganz verheilen wird die Wunde des Krieges aber nie, fügt er hinzu. Mit den Bewohnern der Falkland-Inseln hätten sie wenig Kontakt gehabt, erzählen die argentinischen Veteranen. Probleme habe es nicht gegeben. Aber die britische Flagge über den Malwinen zu sehen, das habe ihnen weh getan. Denn dass die Inseln eigentlich Argentinien gehören, davon sind die Veteranen und der Großteil der Argentinier überzeugt.

    "Sie sind argentinisches Territorium, und als solches wollen wir die Malwinen verteidigen", erklärt Norberto Santos. "Dieser Anspruch rechtfertigt aber nicht den Tod von Menschen. Für ein Gebiet, in dem kaum Menschen leben, ist argentinisches und englisches Blut geflossen."