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"Persönliche Verletzung" Grund für Parteiaustritt

Der ehemalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) bezeichnet die Rüge durch seine Partei als "unwürdig". Die Forderung, sein Wort in Zukunft sorgfältig abzuwägen, sei unzumutbar. "Ich kann mich doch nicht auf die Zukunft hin auf irgendetwas verpflichten", so Clement. Diese "persönliche Verletzung" hätte ihn letztendlich bewogen, aus der SPD auszutreten.

Wolfgang Clement im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 30.11.2008
    Jürgen Zurheide: Herr Clement, haben Sie Ihr Mitgliedsbuch schon zurückgeschickt?

    Wolfgang Clement: Nein, aber ich habe ja meine Austrittserklärung abgegeben und werde jetzt meinem Ortsverein die Unterlagen zuschicken und mich auch verabschieden. Mir tut es mit Blick auf den Ortsverein leid, aber es ist eben unabänderlich.

    Zurheide: Was ist eigentlich - das müssen Sie uns erklären - zwischen Montagabend und Dienstagmorgen passiert? Montagabend hatte man den Eindruck - in Berlin wurde erzählt: Ja, wir haben eine Einigung, wir haben einen Kompromiss gefunden, Otto Schily hat das für Sie verhandelt, und Dienstagmorgen haben Sie dann gesagt: Schluss, aus, ich geh raus! Was ist da passiert?

    Clement: Was passiert ist? Ich hab geschlafen und habe ein bisschen gejoggt. Aber im ernst gesprochen: Ich hatte ja an dem Abend die Information über die Rüge bekommen, die mir erteilt worden sei und über die weiteren Begleitumstände - und daraufhin habe ich mich nach nochmaliger Überlegung in der Nacht dann am Morgen entschieden, auszuscheiden.

    Die Gründe sind meines Erachtens zunächst einmal die der persönlichen Verletztheit, auch des Umgangs miteinander. Sie müssen ja bedenken: Ich habe mir jetzt fast ein Jahr lang angehört, dass ich charakterlos sei und dass ich verantwortlich sei für eine menschenverachtende Politik durch die Agenda 2010 - und dann endet ein solches Verfahren mit einer Rüge. Aber nicht nur mit einer Rüge, sondern auch noch mit einer Erklärung, die ich unterschreiben soll, dass ich in Zukunft sorgfältig meine Worte abwägen werde. Das hat bei mir dann das Fass zum Überlaufen gebracht, das ist unzumutbar. Meine Töchter nennen das "lächerlich", ich nenne das unwürdig. Das war einer der Gründe, weshalb ich mich entschieden habe, auszuscheiden.

    Zurheide: War das nicht dann absehbar und eigentlich geplant?

    Clement: Das war weder absehbar noch geplant, sondern das war ein normales Verfahren. Es war die dritte Instanz eines Verfahrens, das sich über ein Jahr hingezogen hat. Und der Ausgang des Verfahrens ist für mich nicht akzeptabel. Ich kann mich doch nicht auf die Zukunft hin auf irgendetwas verpflichten. Denn hinter solchen banalen Formulierungen, ich solle meine Worte sorgfältig wägen, steckt ja erstens, dass ich das vorher nicht getan hätte. Ich bin aber jemand, der das - vor allem, wenn er sich schriftlich äußert - sehr sorgfältig tut.

    Das habe ich übrigens auch in diesem Kommentar getan und das tue ich auch in der Zukunft. Ich würde von denen erwarten, die mich ununterbrochen beschimpft haben, dass die mal darüber nachdenken, was sie eigentlich tun. Von denen hat es niemand es für notwendig gehalten, mich in Schutz zu nehmen. Ich habe im übrigen schon vorher erklärt, dass ich zu solchen Erklärungen nicht bereit sei, und dabei bleibt es.

    Zurheide: Jetzt hat sich Franz Müntefering, der neue Parteivorsitzende, kräftig eingemischt. Er hat versucht, Brücken zu bauen. So wird das jedenfalls in Berlin gesehen. Sie haben die Brücke am Ende nicht betreten. Haben Sie damit Franz Müntefering beschädigt?

    Clement: Das weiß ich nicht. Ich hatte nicht die Absicht, irgendjemand zu beschädigen, sondern meine Konsequenzen zu ziehen. Und ich habe ja versucht, das darzulegen. Es hat mich niemand verteidigt, im Ernst - außer Rudolf Scharping und ganz wenigen aus der Führung oder der ehemaligen Führung der SPD, um das einmal deutlich zu sagen.

    Da haben sich dann einige erst bemüht, als mich die Düsseldorfer ausschließen wollten und ein Ausschluss von mir Probleme für die Partei aufwerfen würde. Bis dahin habe ich relativ wenig gespürt von der vielzitierten Solidarität. Aber das ist gar nicht der eigentlich Punkt. Der zweite Punkt, weshalb ich ausscheide, ist natürlich, dass ich ein publizistisch tätiger Mensch bin, der sich seit fast 30 Jahre seines Lebens journalistisch betätigt hat und der sich nicht einer eingeschränkten Meinungsfreiheit unterwerfen lässt.

    Das ist nämlich der zweite Punkt, der mich zum Austritt veranlasst hat. Das habe ich ja schon vorher deutlich gemacht. Hier geht es um die Frage, wie es die SPD mit der Meinungsfreiheit hält. Und ich habe mir dann in der zweiten Instanz sagen lassen müssen, dass eine Parteimitgliedschaft eine eingeschränkte Meinungsfreiheit bedeutet. Das ist für jeden Verleger, für Journalisten oder für einen publizistisch tätigen Menschen, als den ich mich verstehe - absolut unakzeptabel.

    Da würde ich noch schärfer fragen: Ist überhaupt eine Partei, die einer solchen Grundlinie folgt, geeignet, Zeitungen zu verlegen oder Rundfunk zu veranstalten oder auch Einzelpersonen wie Ministerpräsidenten und andere in die Rundfunkräte von öffentlich-rechtlichen Anstalten zu entsenden? Das ist eine sehr ernste verfassungsrechtliche Frage und die ist mir auch schon gestellt worden. Ich bin ziemlich sicher, dass diese verfassungsrechtliche Frage noch geklärt werden muss. Und der dritte Punkt ist dann eben der politische Kurs, den die SPD geht, den ich nicht akzeptiere. Das bezieht sich sowohl auf das Verhältnis zur PDS-Linken als auch auf die Wirtschafts-, auf die Energie- und Industriepolitik.

    Zurheide: Auf die Inhalte kommen wir gleich noch zu sprechen. Ich würde noch mal bei der einen Frage bleiben wollen, wo Sie gerade sagen, die verfassungsmäßigen Grundrechte sind da möglicherweise betroffen. Nun sagen diejenigen in Berlin, die mit Ihnen kritisch umgegangen sind: Er kann sagen, was er will - inhaltlich -, nur vor einer Wahl dazu aufzurufen, die eigene Parteifreundin nicht zu wählen, das verstößt gegen Grundprinzipien in einer Partei. Ist das falsch?

    Clement: Also, erst einmal verlangt das natürlich eine Abwägung. Wie verhält sich denn ein Journalist, wenn er vor dieser Frage steht? Darf er das nicht als sozialdemokratisches Parteimitglied? Das war übrigens einer der Gründe, weshalb ich erst 1970 in die SPD eingetreten bin, dass ich damals schon zehn Jahre lang gezögert habe, weil ich Zweifel hatte, ob das vereinbar ist.

    Und heute stelle ich fest: Das ist so, jedenfalls wie das interpretiert wird, nicht vereinbar. Ganz abgesehen davon, zum Inhalt des Kommentars - aber das wiederhole ich jetzt zum x-ten Mal: Ich habe nicht aufgerufen, hier die SPD nicht zu wählen. Ich habe eine sehr pointierte, sehr ernsthafte, sehr harte Stellungnahme abgegeben nach einer Interview-Äußerung von Frau Ypsilanti, in der sie in der "WELT" vor meinem Kommentar erklärt hatte, dass die SPD keine Großkraftwerke mehr akzeptieren werde, und zwar weder Kohle- noch Kokskraftwerke oder nukleare Anlagen.

    Das habe ich als unverantwortlich bezeichnet und gesagt, das muss korrigiert werden, das muss man abwägen, das muss man auch in seinen Wahlentscheidungen abwägen. Ein solcher Kommentar lässt natürlich die Reaktion von Frau Ypsilanti oder von Herrn Beck zu, der damals Parteivorsitzender war, zu sagen: In der Sache hat der Kerl Unrecht. Das ist doch ziemlich simpel, wie man damit umgeht.

    Stattdessen hatte man sich entschieden, mich zum Lobbyisten zu erklären und anschließend ein Parteiordnungsverfahren in Gang zu setzen. Das ist doch der Sachverhalt. Und ein solcher Sachverhalt wirft die Frage auf, wie es denn steht mit dem Umgang in der Partei und mit der Meinungsfreiheit. Und ich bekomme heute von Verlegern und anderen die Frage gestellt: Ja, wie ist denn das, wissen die das nicht in der Sozialdemokratie, dass es mindestens eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und der Disziplin - und der Solidarität meinetwegen - innerhalb einer Partei gibt? Wissen sie nicht, dass eine liberale Partei, als die sich die SPD - eine freiheitliche Partei, als sie Willy Brandt immer charakterisiert hat, "Freiheit ist das Wichtigste" hat er zum Schluss gesagt - dass man dann eine Abwägung zugunsten der freiheitlichen Meinungsäußerung vornehmen muss? So, das sind ernsthafte Fragen.

    Zurheide: Wären Sie denn bereit, anders herum auch so viel Freiheit von anderen zu akzeptieren, die Sie heftig kritisieren oder kritisiert haben? Das gehört dann aber auch zum Spiel dazu.

    Clement: Aber selbstverständlich. Ich bin in meinem Leben mehr malträtiert worden mit Worten und mit Angriffen als viele andere. Also, ich habe da wirklich keinen Nachholbedarf. Ich bin aufgefordert worden, wegen der Arbeitsmarktpolitik nicht mehr in Sachsen am Wahlkampf teilzunehmen, mich nicht mehr blicken zu lassen in Sachsen - also immer von Sozialdemokraten, von sozialdemokratischen Führungsleuten -, nicht mehr nach Thüringen zu kommen, nicht nach Oberhausen zu kommen. Das habe ich alles hinter mir.

    Meinen Sie, ich hätte jemals gedacht, jetzt starte ich ein Parteiordnungsverfahren? Ich war sauer, natürlich, aber ich habe mich natürlich auch gefetzt und mich dann mit solchen Leuten auseinandergesetzt. Das erwarte ich in einer Partei. Das ist doch keine Diskussionskultur, wenn ich damit rechnen muss, dass ich dann mehr oder weniger sang- und klanglos verabschiedet werden soll. Also, so geht das nicht, und das ist ein sehr wichtiger Grund für mich, mich mit dieser Art Umgang nicht zu unterwerfen.

    Zurheide: Jetzt sagen viele, damit haben Sie genau die geschwächt, die eigentlich politisch bei Ihnen stehen - Franz Müntefering, weil er ja immerhin auch Agenda Befürworter ist, Herrn Steinmeier, Herrn Steinbrück. Dieser Flügel ist doch geschwächt durch Ihren Rückzug, da können Sie nicht dran vorbei sehen.

    Clement: Das weiß ich nicht, ob die geschwächt sind durch meinen Rückzug. Ich sollte unter Mitwirkung von Franz Müntefering entmannt werden dort in diesem Verfahren - mit einer Rüge und mit einer solchen Unterschrift herausgehen. Ich wäre dadurch sicherlich nach diesem Verfahren nicht stärker gewesen als ich es heute bin.

    Parteien haben aber keinen Alleinvertretungsanspruch. Ich habe die Möglichkeit, mich zu äußern, und andere haben diese Möglichkeit auch. Ich bekomme ja eine unendliche Zahl von Unterstützungen, nicht aus den Parteien in erster Linie, wohl aber von einzelnen Sozialdemokraten, die völlig unbekannt sind. Ich hatte drei Stunden nachdem die Zeitungen auf dem Markt waren, auf dem Bildschirm 540 zustimmende Mails, und zehn Prozent dagegen. Das sind doch die Sachverhalte.

    Deshalb glaube ich nicht, dass Frank Steinmeier oder Peer Steinbrück durch mich geschwächt worden sind. Ganz im Gegenteil. Ich hoffe, dass die Partei, wenn sie die Blähungen hinter sich hat, ernsthafter über diesen Austritt nachdenkt und sich Gedanken darüber macht, was ich eigentlich in der Substanz gesagt habe. Und da liegt eine ganze Menge auf dem Tisch, das geordnet werden muss.

    Zurheide: Kommen wir zu den Inhalten, in der Tat. Beginnen wir mit der Energiepolitik. Da steht der Vorwurf im Raum, die De Industrialisierung Deutschlands werde vorangetrieben. Ich würde das gerne in zwei Etappen behandeln - erstens Sie fragen, was akut anliegt, und zweitens, wie die SPD sich dazu stellt. Sehen Sie bei dem, was zum Beispiel im Emissionshandel im Moment auf europäischer Ebene passiert, dass es Deutschland unter dem Strich schädigt, weil zum Beispiel das Land Frankreich mit seinen vielen Atomkraftwerken deutlich profitiert, und sehen Sie auch, dass es manche möglicherweise in Frankreich darauf anlegen, Deutschland zu schwächen?

    Clement: Aber sicher, ja. Wir sind hier wirklich in einer äußersten Gefahr. Der Emissionshandel, so wie die europäische Kommission ihn vorschlägt, geht zu Lasten Deutschlands, übrigens auch zu Lasten aller zentraleuropäischen Länder, also von den baltischen Staaten über Polen bis nach Griechenland hinunter. Die arbeiten allesamt auf Kohlebasis, haben Kraftwerke, ihren Industriesektor. Und das geht eindeutig zu Gunsten der Atom-Länder, wenn Sie so wollen, also insbesondere Frankreichs, aber auch eines Landes wie Finnland, das jetzt eine zweite Atomanlage baut. Das muss auch allen bekannt sein. Das hat ja niemand geringerer als Hubertus Schmoldt vor wenigen Tagen übrigens in einem gemeinsamen Artikel mit dem niedersächsischen Ministerpräsident Wulff sehr deutlich gesagt. Wenn das so läuft wie es die EU Kommission vorschlägt und nicht nur Industrieunternehmen, sondern auch die Energieversorger ihre Emissionszertifikate ganz oder teilweise ersteigern sollen, dann bedeutet das natürlich weitere Preissteigerungen im Energiebereich.

    Und das wiederum führt dazu, dass diese Energieversorgungsunternehmen vor allem Braunkohlekraftwerke nicht mehr in Deutschland bauen können. Das werden sie dann eben im Ausland tun. Und das geht zu Lasten aller energieintensiven Branchen. Selbst wenn die die Zertifikate nicht ersteigern müssen, werden sie teurer Strom beziehen müssen. Und den teurere Strom macht den Unterschied aus beispielsweise zu Frankreich. Da gilt dann selbst für einen Spitzenstahlkocher, die heute aus Deutschland heraus Weltmarktführer sind, dass sie nicht mehr konkurrenzfähig sind. So bekommen Sie keine Investitionen mehr auf diesem Sektor.

    Zurheide: Aber das ist doch Aufgabe der Kanzlerin, das im Wesentlichen in Brüssel durchzusetzen. Oder an wen adressieren Sie das?

    Clement: Das adressiere ich an die Bundesregierung und namentlich an den Umweltminister, der auf diesem Sektor nichts Besseres zu tun hatte, als Herrn Schmoldt zu attackieren. Er hat ihn als eine deutsche Ausgabe von George W. Bush zu karikieren versucht. Das sind unerträgliche Prozesse. Und diese Bundesregierung ist zur Zeit mit namhafter Unterstützung des Umweltministers auf dem Weg, die Energieversorger in die totale Versteigerung der Emissionszertifikate zu treiben. Und wenn sie das tun, dann haben sie eben diese Konsequenz, die ich gerade dargestellt habe. Ganz abgesehen davon, dass die energieintensive Industrie ebenfalls immer noch keine Klarheit hat, wie denn mit ihr umgegangen wird. Und wenn diese Prozesse so in Gang gesetzt werden wie von Brüssel vorgesehen, dann haben sie eine Situation, in der in Deutschland industriell nicht mehr investiert wird.

    Zurheide: Jetzt haben Sie selbst gerade angesprochen, der eine oder andere bezeichnet Sie als Lobbyist. Fakt ist, Sie sitzen für RWE-Power im Aufsichtsrat. Sind Sie Lobbyist?

    Clement: Ach, das ist doch idiotisch. Ich bin seit 1989 in der Regierung in Düsseldorf. Ich habe seit 1989 keine wichtigere Aufgabe gehabt, als mich um die Energiepolitik zu kümmern. Alles, was ich hier sage, das können Sie millimetergenau ablesen von 1989 bis heute. Das hat nichts damit zu tun, dass ich - übrigens deutlich ein Jahr nach meinem Ausscheiden aus der Bundesregierung - in einem Subunternehmen von RWE die Aufgabe eines neutralen Mitgliedes des Aufsichtsrates der RWE Power übernommen habe, übrigens auf einstimmiges Votum von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hin. Das weiß auch jeder.

    Das ist nur dummes Zeug, mit dem Leute aus der Diskussion heraus gedrängt werden sollen. Und ich schäme mich dafür, dass jemand wie Kurt Beck und andere aus der SPD diese Geschichten übernommen haben. Das ist doch unerträglich. Wir haben die Mitbestimmung auf den Weg gebracht. Wir stehen dafür gerade. Und wenn jemand eine solche Rolle übernimmt auf gewerkschaftlichen Wunsch, auf Arbeitnehmerwunsch, auf Wunsch der Arbeitgeber in diesem Fall gemeinsam, dann soll man dafür in dieser Weise angegangen werden und charakterisiert werden. Wissen Sie, inzwischen bin ich darüber hinweg. Ich bin inzwischen ja alt genug, und mich trifft das nicht mehr sonderlich. Ich finde es nur beschämend, dass zu solchen Mitteln gegriffen wird.

    Zurheide: Kommen wir zum Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahlen sind zurück gegangen. Da freuen sich viele darüber. Allerdings beobachtet man auch eine gewisse Spaltung des Arbeitsmarktes. Es gibt die gut verdienenden Kernbelegschaften und dann gibt es Randbelegschaften, die deutlich weniger verdienen und deren soziale Sicherheit und Arbeitsplatzsicherheit geringer ist. Ist dieser Befund richtig oder falsch?

    Clement: Zunächst einmal ist richtig, dass unsere Arbeitslosigkeit zurück gegangen ist seit 2005 von 5 Millionen auf unter 3 Millionen. Und als ich das 2005 gesagt habe, dass wir in 2, 3 Jahren so weit sein werden, dass dort solche gravierenden Veränderungen möglich sind, da hätte man mich beinahe für verrückt erklärt. Das ist das eine. Das zweite ist, natürlich werden die Arbeitslosenzahlen jetzt wieder hoch gehen. Ich hoffe wie Herr Weise, der Chef der Bundesagentur, der übrigens dieses Unternehmen hervorragend und brillant führt, ich hoffe mit ihm, dass wir nicht zurückfallen in die alten Zahlen. Dagegen kann man ja auch noch einiges tun.

    Beispielsweise kann man dagegen etwas tun, was die Holländer bereits vorbereiten. Dort werden Menschen, die jetzt aus dem Arbeitsleben ausscheiden qualifiziert. Das gilt besonders für die Geringqualifizierten, die Sie vermutlich vor Augen haben bei Ihrer Frage. Sie werden in dieser Zeit der Arbeitslosigkeit ausbildet und qualifiziert, um diese Menschen bei Wiedereinsetzen des Wirtschaftswachstums dann besser und sicherer platzieren zu können. Ansonsten, ja sicher, die Zeitarbeit spielt eine sehr starke Rolle. Wir haben ja bis zu 700.000 Arbeitskräfte in der Zeitarbeit im Jahresdurchschnitt. Die Zeitarbeit hat sich entwickelt durch die Liberalisierung, durch die Freigabe der Zeitarbeit, wie es in ganz Europa der Fall ist. Und das bedeutet natürlich, dass auch sehr viele Menschen mit geringer Qualifikation in Arbeit gekommen sind, zu schwierigeren Bedingungen, aber immerhin: Rund 30 Prozent dieser Arbeitnehmer kommen auf diesem Wege in feste Arbeitsverhältnisse, entweder bei dem sogenannten entleihenden Unternehmen oder bei dritten Unternehmen.

    Aber meine Vorstellung geht natürlich weiter, dass wir die Zeitarbeit entwickeln müssen zu einem Medium der Qualifizierung. Das heißt, wenn die Menschen zurück kommen aus einem Arbeitsverhältnis, weil dort das Unternehmen - jetzt etwa die Automobilindustrie - Arbeitplätze der Zahl nach abbauen müssen, dann müssten diese Menschen zurück genommen werden. Sie sind ja unter Vertrag im Zeitarbeitsunternehmen, und müssen dann qualifiziert werden. Das ist die entscheidende Fragestellung. Und da glaube ich, es wäre gut, wenn wir auf diesem Wege Fortschritte machten. Einiges tut der Bundesarbeitsminister, beispielsweise mit der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, das zum ersten Mal auch für Zeitarbeitnehmer gilt. Das sind die richtigen Instrumente, die wir weiter entwickeln müssen, um eben aus dem Problem der Geringqualifizierung und damit auch der geringen Bezahlung heraus zu kommen.

    Zurheide: Gilt für Sie der Satz "Gleiches Geld für gleiche Arbeit"? Denn das gilt in der Leiharbeit ja häufig nicht. Man könnte sagen, die Leiharbeiter müssen eigentlich mehr Geld bekommen als die Festangestellten, weil sie weniger Sicherheit haben. Ist das richtig oder falsch?

    Clement: Das kriegen Sie natürlich nicht hin. Das geht in gut qualifizierten Jobs, ja. In gut qualifizierten Jobs wird das am Ende so sein. Es werden ja nicht nur schwach qualifizierte Menschen vermittelt, sondern auch gut qualifizierte wie Ingenieure, Techniker uns so weiter. Die werden ja auch gut bezahlt. Und da wird es so sein, dass auf die Dauer, gerade weil sie so beweglich sind und überall jederzeit einsetzbar sind, dass sie sogar mehr kosten, als dauerhaft Beschäftigte. Das ist so, das ist richtig.

    Ansonsten gilt natürlich dieser Grundsatz "Equal Pay" also "Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit", es sei denn, es gibt einen Tarifvertrag. Und dies haben wir seinerzeit vereinbart. Dies hat den Grund, dass bei uns die Zeitarbeitnehmer beim Zeitarbeitsunternehmen dauerhaft beschäftigt sind und nicht nur auf Zeit. In Frankreich ist das anders. In Frankreich entleiht das Zeitarbeiterunternehmen den Arbeitnehmer und der wird dann Arbeitnehmer des neuen Unternehmens, ist aber dann sofort draußen, wenn er nicht mehr benötigt wird. Bei uns geht er zurück ins Zeitarbeitunternehmen, hat prinzipiell dort einen dauerhafteren Vertrag. Immerhin ist die Dauerarbeitszeit bei uns von Zeitarbeitnehmern im Durchschnitt, glaube ich, zwischen drei und vier Jahren. Das ist der Prozess, den wir weiter voran treiben müssen. Das bedeutet also eine Qualifizierung der Zeitarbeit. Daran bin ich interessiert, jemand wie Bundesarbeitsminister Scholz sicherlich auch. Auf diesem Weg, meine ich, müssen wir weiter voran kommen und müssen das Problem der Geringqualifizierung lösen, das allerdings in erster Linie in den Schulen liegt.

    Zurheide: Kommen wir zum Thema 'Umgang mit den Linken'. Warum sollen die Länder nicht selbst entscheiden können? Das ist die gegenwärtige Haltung der SPD. Was haben Sie daran auszusetzen?

    Clement: Diese Haltung gibt es erst seit 1995. Die gab es bis 1994 nicht, so lange Rudolf Scharping Parteivorsitzender war. Ich erinnere mich sehr gut, dass Rudolf Scharping und Johannes Rau damals mit vereinten Kräften versucht haben - und zwar erfolgreich - zu verhindern, dass es in Mecklenburg-Vorpommern seinerzeit zu einer Koalition mit der PDS kam. Das hat sich geändert seit Oskar Lafontaine 1995 den Parteivorsitz übernahm. Seitdem sagt man, das ist alles Sache der Länder. Das ist natürlich das Gegenteil von Autorität, da eine Parteiführung, die für das Bild der Partei und auch für die Grundüberzeugungen der Partei verantwortlich ist, das nicht abtreten kann an die Länder - was wollen wir denn noch alles abtreten, welche Fragestellungen? Da braucht man keinen Parteivorstand mehr.

    Deshalb ist dieser Weg auch falsch. Und eine Parteiführung braucht natürlich Autorität und Entscheidungsautorität in national wichtigen Fragen. Und auf eine solche Frage, geht man mit der Linken, die ja getragen wird von der Kaderpartei PDS, so um wie mit einer normalen demokratischen Partei? Da ist meine Antwort Nein. Und ich erwarte von der Parteiführung, dass sie das klar sagt und dass sie die nicht noch ermutigt wie jetzt nach dieser hessischen Katastrophe und sagt, trefft doch am besten überhaupt keine Koalitionsaussage mehr, was ja implizit heißt, geht doch ruhig mit der PDS-Linken zusammen. Das ist nicht mehr meine Vorstellung von der Sozialdemokratie: Und das ist einer der entscheidenden Gründe für mich, diesen Kurs nicht mehr mitgehen zu können.

    Zurheide: Da könnte man aber sagen, da kommen Sie jetzt ein bisschen spät. Denn es gab Regierungen in Mecklenburg-Vorpommern, dann in Sachsen-Anhalt, auch in Berlin. Und zu der Zeit waren Sie Minister im Kabinett Schröder, und vorher Ministerpräsident. Warum kommen Sie dann jetzt erst?

    Clement: Weil ich schon vorher mit Johannes Rau, wie vorhin gesagt, und Scharping versucht habe, das aufzuhalten. Wir haben es in Mecklenburg-Vorpommern in der ersten Runde aufgehalten. In der Folgezeit war es in Ostdeutschland nicht mehr aufzuhalten. Da wäre ich mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen. Und mein Einfluss innerhalb der SPD war ja ohnedies nicht sehr groß wie Sie wissen. Entsprechend bin ich ja auch bei innerparteilichen Abstimmungen behandelt worden. Aber ich will mich dem gar nicht entziehen. Bei allem, was dort geschehen ist, waren weitere Koalitionen in Ostdeutschland nicht mehr zu verhindern. Ich habe sie immer für falsch gehalten, aber sie waren nicht mehr zu verhindern.

    In Westdeutschland durfte das nach meiner Überzeugung nicht passieren. Deshalb habe ich den Weg in Hessen von Anfang an für falsch gehalten, vor allem den Weg, den Frau Ypsilanti nach der Wahl gehen wollte. Und deshalb finde ich es besonders katastrophal, dass die Parteiführung jetzt das Gegenteil tut, nämlich hier geradezu ermuntert, mindestens diesen Weg offen zu halten. Aber die Ermunterung ist ja eigentlich so, dass sich in der hessischen SPD niemand gehindert sieht, eine solche Koalition noch einmal zu versuchen, wenn es denn dazu eine Chance gäbe. Die gibt es aber vermutlich nicht.

    Zurheide: Wechseln Sie die Partei? Gehen Sie woanders hin? Man könnte ja sagen, Sie suchen etwas mit wirtschaftspolitischer Vernunft und einer gewissen sozialliberalen Verantwortung aufgrund Ihrer Tradition. Vielleicht macht Friedrich Merz ja auch mit. Haben Sie mit dem schon gesprochen?

    Clement: Nein, das habe ich nicht. Aber ich bekomme recht viele Mails oder Briefe, Anrufe und Ansprachen, in denen ich ausdrücklich - da haben Sie völlig recht - auf eine sozialliberale Grundhaltung und auf eine sozialliberale Politik angesprochen werde. Ganz offensichtlich gibt es innerhalb und vielleicht sogar außerhalb der heutigen Sozialdemokratie eine Sehnsucht nach einer solchen Haltung. Das war ja auch wirklich der Grund, weshalb ich 1970 in die SPD eingetreten bin. Aber ich sehe heute nicht die Möglichkeit und ich habe auch nicht die Absicht, jetzt in eine andere Partei zu gehen. Ich gehe meinen Kurs, ich beteilige mich an allen Diskussionen als Sozialdemokrat, der ich von Hause aus bin, der ich aus meiner Emotion und meiner politischen Überzeugung bin.

    Und ich werde mich an allen Diskussionen beteiligen. Ich bin beteiligt an Think Tanks und anderen Gruppen, die diskutieren. Es gibt ja bei uns in der Gesellschaft eine enorme Diskussionsbereitschaft und einen Diskussionswunsch. Viele suchen ja Plattformen, um politisch diskutieren zu können. Die Parteien bieten das offensichtlich nicht in zureichender Weise. Sie erwecken auf der einen Seite jeweils den Eindruck, sie hätten so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch, an der politischen Willensbildung im Lande mitzuwirken, auf der anderen Seite tun sie es aber nicht ausreichend. Und da gibt es ein großes Vakuum und viele Menschen suchen die andere Plattformen und andere Möglichkeiten der Diskussion und der Auseinandersetzung. Daran beteilige ich mich und werde versuchen, auf diese Weise auch publizistisch an der Meinungsbildung in Deutschland mitzuwirken, und zwar in einer sozialliberalen Richtung.

    Zurheide: Herr Clement, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Clement: Ich danke Ihnen.