Freitag, 29. März 2024

Pervenche Berès
Arbeitstier mit Skrupeln

Frankreich stellt 74 Europa-Abgeordnete. 15 kommen aus dem Wahlkreis Île de France. Für die regierenden Sozialisten ein wichtiger Wahlkreis, denn auch hier mussten sie bei den Kommunalwahlen im März herbe Niederlagen verkraften. Spitzenkandidatin dort ist France Pervenche Berès.

Von Ursula Welter | 19.05.2014
    Markttag, ein Ort an der Seine, westlich von Paris. Wahlkämpfer der Sozialisten verteilen Material. Passanten schütteln den Kopf, winken ab. Andere greifen zu und halten das Porträt von Pervenche Berès in Händen. Die Spitzenkandidatin der Sozialisten besucht an diesem Morgen gleich mehrere Märkte, lokale Parteigrößen gehen der Frau entgegen, deren Vorname ungewöhnlich ist, "Pervenche" bedeutet "Immergrün". Der Vater hatte alle Töchter mit botanischen Namen getauft.
    Eine zierliche Frau, dunkel-graue Kleidung, festes Schuhwerk, es wirkt ein wenig, als konzentriere sie sich auf ihre Schritte. Aber nicht der Gang verrät die Geschichte, auch nicht die Stimme, es ist das Gesicht der Frau, die an diesem sonnigen Morgen Werbung für den 25. Mai macht.
    "Das ist wichtig. Ein Tag, ein Durchgang."
    1995, Pervenche Berès war im Jahr zuvor ins Europaparlament gewählt worden, erlitt sie in Paris einen schweren Unfall mit dem Motorroller. Ihr Antlitz war zerstört.
    Noch heute sieht man ihr viele Operationen an. Trotz ihres verbeulten Gesichts, wie Berès es ausdrückt, wagte sie 1999 erfolgreich den Sprung zurück in den Europawahlkampf, Platz 2 auf der Liste, Plakate, Fototermine, Bühnenauftritte – eine schwere Prüfung für Berès.
    "Ich bin die Kandidatin für die Europawahlen," stellt sich Pervenche Berès an diesem Morgen den Marktbesuchern vor, viele Franzosen der Einwanderergenerationen darunter.
    Berès musste sich den Platz der Spitzenkandidatin erkämpfen. Eigentlich sollte Harlem Désir diesen Wahlkampf bestreiten, als der umstrittene Parteichef Europaminister wurde, sollte ein anderer Mann nachrücken, Berès, die nicht nur Freunde in der sozialistischen Partei hat, protestierte – erfolgreich!
    "Nervensäge, aufdringlich, Arbeitstier, aber durchaus mit Skrupeln ausgestattet," so beschrieb sie sich vor Jahren in einem Interview mit der Zeitung "Libération".
    Gleich neben der sozialistischen Gruppe, auf der Höhe des Fischstandes, wirbt die Linksfront für einen Austritt aus der NATO. An den Betonmauern in diesem Arbeiterviertel kleben wilde Werbeplakate des rechtsextremen "Front National".
    Wer wird gewinnen?
    "Gewinnen wird, wer von den Wählern an die Spitze gewählt wird. Wir werden kämpfen, aber sicher, ein Wahlsieg des Front National ist zu befürchten. Aber es zählen nicht die Umfragen, was zählt ist hier, auf den Märkten zu überzeugen, an die Türen zu klopfen."
    Eine Frau am Käsestand will das Informationsmaterial nicht annehmen: "Aber ich gehe wählen!," beteuert sie. Die Wahlenthaltung ist die größte Sorge. Dass die europäische Linke einen Deutschen zu ihrem Spitzenkandidaten gemacht habe, erschwere die Arbeit, räumt eine Mitstreiterin im Tross von Pervenche Berès ein, Deutschland stehe für Austerität, für Sparzwang.
    Beré, der Wahlkampfthema ein sozialeres Europa ist, hält dagegen: "In vielen Ländern leidet die Jugend sehr. Martin Schulz will die Mittel gegen die Jugendarbeitslosigkeit verdreifachen, denn 25 Prozent junge Menschen arbeitslos, das ist schrecklich für ein Land, für die Jugend."
    Eine ältere Dame schaut sich das Wahlfoto der Kandidatin an. "Das hier ist meine Winterfrisur, da auf dem Foto, das ist meine Sommerfrisur, jetzt wissen Sie alles!," scherzt Berès, die zunehmend locker wird und doch nachdenklich ist: Noch ein Foto fürs Familienalbum der sozialistischen Basis, die an diesem Morgen zahlreich auf den Beinen war.
    Und ein Gruß ins Mikrofon für die deutschen Hörer. Nehmen Sie das auf, bittet die Sozialistin, deren Charme und Überzeugungskraft erst auf den zweiten Blick deutlich wird: "Ich möchte Martin Schulz als Präsident der Europäischen Kommission bekommen, das wäre ganz wichtig für die Europe."