Freitag, 19. April 2024

Archiv

Pete Dexter
Das Böse im Rampenlicht

"Unter Brüdern" ist der vierte Roman von Pete Dexter. Auch in diesem bereits 1991 im Original erschienenen Buch geht es um das Böse: Der Amerikaner erzählt die Geschichte zweier Männer während der 70er- und 80er-Jahre, in denen Iren und Italiener in Philadelphia um die Vormacht kämpften.

Von Sacha Verna | 05.08.2015
    Eine Hand hält eine Pistole. CZ 75 SP-01 SHADOW, Standard size duty and defence pistol, cal. 9 mm Luger; 9x21.
    Der Roman spielt in Philadelphia zur Zeit der Mob-Kriege. (picture alliance / dpa / Rene Fluger)
    Nur wenige verstehen sich so gut aufs Böse wie Pete Dexter. Dieser amerikanische Autor schreibt seit über drei Jahrzehnten über Figuren, die der Herrgott im Kopf gehabt haben muss, als er den Teufel erfand. "Unter Brüdern" ist Dexters vierter Roman und im Original bereits 1991 erschienen. Die Brüder des Titels sind eigentlich Cousins und einander denkbar unbrüderlich zugetan. Der ältere Peter Flood wächst nach dem Zerfall seiner Familie im Haus des jüngeren Michael auf.
    Zerfall der Familie bedeutet bei Pete Dexter: Peters kleine Schwester wird von einem Nachbarn angefahren und von dessen Hund zerkaut. Peters Vater schlitzt dem Nachbarn dafür die Kehle auf, worauf er selber ans Messer geliefert wird, weil der Nachbar Polizist und als solcher der örtlichen Mafia verbunden war. Peters Mutter ist übergeschnappt und sein Onkel vermutlich für den Tod seines Vaters mitverantwortlich. Dabei handelt es sich nur um den ersten Teil des Romans. Dass der Desaster-Beat in den folgenden vier nicht abbricht, ahnt man an diesem Punkt schon.
    "Unter Brüdern" spielt zur Zeit der Mob-Kriege in Philadelphia. In den 1970er- und den 1980er-Jahren kämpften die Iren und die Italiener dort gegeneinander und untereinander um die Vormacht auf der Straße und in den Fabriken. Die Iren kontrollierten die Gewerkschaften, die Italiener alles Übrige. Die Stadtregierung hatten beide Seiten in der Tasche.
    Michael gedeiht zum verweichlichten Kronprinzen der Gewerkschaftler. Der elternlose Peter wird zu seinem Schatten. Michael quält seine Opfer. Peter quält sich selber - nicht wegen dem, was er tut, sondern wegen dem, was er unterlässt. Er stoppt seinen sadistischen Cousin nicht. Dafür springt er gelegentlich von Dächern, bloß um zu merken, dass ein kaputtes Rückgrat nicht Sühne genug ist.
    Akteure mit verdorbener und edler Gesinnung
    Zu Pete Dexters Stammensemble gehört immer mindestens ein Akteur mit edler Gesinnung, aber ohne Chancen. Das ist in diesem Fall Peter. In der Rolle des durch und durch Verdorbenen brilliert Michael. Die Nebendarsteller geben die hirnlosen Schläger, die resignierten Frauen und die Typen, die nie etwas hören und nie etwas sehen. Das klingt nach einem Drama vom Reißbrett und ist es auch. Aber was für ein Drama. Was Pete Dexter an großen Themen abhandelt, passt in keine einzelne griechische Tragödie. Zehn Chöre wären nötig, um von Treue und Verrat, von Hass und Abhängigkeit, von Wille, Schicksal und der Tyrannei des Gewissens zu singen, wie sie dieser Autor hier aufbietet.
    Die Ereignisse rollen in einem lakonischen Präsens voran. Dexter skizziert die proletarische Vorortsidylle Philadelphias mit ihren schwarzen Löchern so sparsam und präzise wie die Fantasien der Gernegroßen und die Verzweiflung von Kleingehaltenen. Selbst die nobleren Seelen versagen sich tiefe Einsichten, da ihnen jegliche Aussicht auf Vergebung fehlt. Und wenn Peter am Schluss die Hoffnung auf etwas in dieser Art doch noch einmal hegt, dann weiß man: Es ist zu spät.
    Bei Pete Dexter steht das Böse im Rampenlicht. Es macht sich unheimlich gut.
    Pete Dexter: "Unter Brüdern", Roman, aus dem Englischen von Götz Pommer, 302 Seiten, Liebeskind Verlag, München 2015, 19,90 Euro.