Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Peter Cachola Schmal
"Heimat muss nicht schön sein"

Heimat müsse das Gefühl von Zuhause bieten. Das sei etwas, was sich die Menschen selbst kreieren und mit ihren Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen erschaffen müssten, sagte Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums, im Deutschlandfunk. Wichtig sei, dass sie sich sicher und wohl fühlten.

Peter Cachola Schmal im Gespräch mit Anja Reinhardt | 27.08.2016
    Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt und Generalkommissar für den Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig.
    Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt und Generalkommissar für den Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig (dpa/picture alliance/Peter Kneffel)
    Anja Reinhardt: Heimat, das ist auch das Thema unserer Sommerreihe in "Kultur heute". Wir fragen Musiker, Schriftsteller oder Soziologen nach ihren Ideen zum Thema Heimat.
    Letztes Jahr haben rund eine Million Menschen auf der Flucht eine neue Heimat in Deutschland gesucht, was zu einem Bevölkerungszuwachs geführt hat, den es so seit 24 Jahren nicht mehr gab, und diese Menschen brauchen einen Platz, eine temporäre oder dauerhafte Heimat. Einer, der sich damit auseinandersetzt, ist Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt und Generalkommissar für den Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig, die noch bis November geöffnet ist. Der Titel des deutschen Beitrags lautet: "Making Heimat. Germany Arrival Country". - Peter Cachola Schmal, Sie sind gerade in Venedig, mittlerweile sind die Grenzen um Europa geschlossen, der Deutsche Pavillon dagegen hat vier Öffnungen, die noch nicht mal Türen haben – eine offene Heimat also?
    Peter Cachola Schmal: Ja! Es geht darum, dass die Menschen, die ihre alte Heimat verloren haben oder verlassen haben, in Deutschland als Einwanderer eine neue Heimat finden, und was es dann sein kann, was wir machen können oder was vor allem diese Einwanderer machen können, um Deutschland anzunehmen und sich selbst zu integrieren und Deutschland als ihre neue Heimat zu sehen und diese auch zu gestalten. Das heißt, sich wohl zu fühlen, für ihre Kinder eine Zukunft zu sehen, in Arbeit zu kommen und ihr Leben anzupacken, damit es weitergeht, damit die nächsten Generationen eine sehr gute Chance haben. Das ist das, was wir uns wünschen, und das ist das, was wir auch glauben, was möglich ist und was schlussendlich auch zum großen Vorteil von Deutschland sein wird, wenn die Bevölkerungszahlen nicht mehr schrumpfen und schrumpfen und wir darüber fantasieren, welche Viertel oder welche Städte man aufgeben muss, sondern wie kann es positiv weitergehen für uns alle als Einwanderungsland.
    Reinhardt: Sie haben ja als Architekt eine sehr spezielle Sicht auf den Begriff Heimat oder auf etwas, was Heimat sein könnte. Kann man denn als Architekt Heimat produzieren?
    Schmal: Nur sehr schwer. Das wäre vermessen zu sagen, dass mit architektonischer Gestaltung es sofort zu einer Heimat wird. Man kann helfen, man kann es unterstützen und man kann Fehler vermeiden. Wir sagen auch in der Ausstellung, dass es wichtig ist nachzuschauen, was es denn für Ankunfts-Stadtviertel bedeutet, dass sie eine Zukunft haben, dass sie zum Beispiel urban sind, dass sie Chancen haben, in der Nähe von Arbeitsplätzen zu sein, dass sie mit öffentlichen Mitteln erreichbar sind, dass dort lebendige Viertel entstehen können. Da können Architekten tatsächlich etwas machen, indem man zum Beispiel sich die Erdgeschoss-Zonen sehr genau anschaut und in neuen Vierteln, oder in alten auch schaut, dass dort Gewerbe möglich ist, dass auch Einwanderer vielleicht einfach eine kleine Gründung für sich erleben können und dort ein Gewerbe beginnen können - sei es in der Gastronomie, sei es in Dienstleistung und anderen Dingen.
    "Man wird eine ethnische Konzentration an bestimmten Orten akzeptieren"
    Reinhardt: Der Begriff Heimat hat ja nicht nur etwas mit einem Ort zu tun, sondern auch mit der sozialen Infrastruktur. Sie plädieren zum Beispiel auch dafür, dass in Vierteln - zum Beispiel in Köln ist es Köln-Kalk, in Berlin Lichtenberg, da sind viele Einwanderer -, sie plädieren explizit dafür, dass sich auch dort so was wie, sagen wir mal, das, was man früher Little Italy oder China Town nannte, also Kommunen bilden, wo die Leute unter sich sind.
    Schmal: Das Tabuwort ist Ghetto. Alle warnen vor einem Ghetto und übersehen, dass Einwanderer als erstes natürlich sich umschauen, wo ihresgleichen sind, um mit ihren Leuten, ihrer Kultur, ihrem Essen ein Stück alte Heimat wiederzufinden, und das ist der Vorteil, den solche Viertel bieten, wie zum Beispiel Little Italy oder in Pensylvania damals die ganzen deutschen Städte, und wir haben teilweise Angst davor. Aber wenn diese Viertel funktionieren sollen, dann ist es für die Einwanderer einfacher, an ethnische Nachbarn und Bekannte zu kommen, die ihnen dann zum Beispiel Kredite geben, die ihnen Arbeitsplatzmöglichkeiten bieten und all diese Dinge, und das funktioniert natürlich in bestimmten Vierteln mehr als in anderen. Und das ist ja keine Forderung an sich; das ist nur eine Feststellung, dass das schon immer funktioniert hat und dass das ein Rezept ist, wie es funktionieren kann. Deswegen wird man so eine ethnische Konzentration an bestimmten Orten akzeptieren und man muss natürlich schauen, dass man die Menschen nicht allein lässt, wie es in Brüssel geschehen ist, wo die ganze Gesellschaft im Prinzip ihre Einwanderer aus Nordafrika ignoriert hat und vernachlässigt hat, und daraus hat sich ein sehr großes Problem ergeben.
    Reinhardt: Muss Heimat denn eigentlich schön sein? Als Architekt setzen Sie sich ja auch mit ästhetischen Komponenten und Grundlagen und Entwürfen auseinander.
    Schmal: Heimat muss nicht schön sein; Heimat muss Heimat bieten. Heimat muss das Gefühl von Zuhause bieten. Und das ist etwas, was die Menschen sich selbst kreieren müssen. Das ist etwas, was sie mit ihren Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen sich erschaffen. Denn sie müssen sich sicher und wohl fühlen, sie müssen sich nicht verfolgt fühlen, sie müssen glauben, dass sie dort eine Chance haben, ihre Zukunft besser zu gestalten, und dann kann es ihre Heimat werden. Und sie müssen sich willkommen fühlen und nicht diskriminiert. Insofern kann die Bevölkerung, die bereits da ist, tatsächlich beitragen, dass die Stimmung und das Gefühl für Neue positiver ist, als es an manchen Orten der Fall ist, und das führt natürlich dazu, zum Entstehen dieses Gefühls von meiner neuen Heimat, hier fühle ich mich wohl, hier will ich bleiben.
    Begriff der Heimat "sollte politisch weiter und vielfältiger benutzt werden"
    Reinhardt: Wie geht man denn eigentlich mit dem Begriff Heimat um, wenn man ihn als Motto in einem nationalsozialistischen Bau benutzt wie dem Pavillon auf der Biennale in Venedig?
    Schmal: Wir denken, dass dieser Begriff so schön ist, dass er nicht nur von einer Seite benutzt werden sollte, sondern dieser Begriff ist eigentlich ein sehr angenehmer Begriff, und wer möchte nicht in einer Heimat sein und sich heimatlich wohl fühlen. Und ich finde, er sollte politisch weiter und vielfältiger benutzt werden, als es manchmal der Fall ist. Der Pavillon ist eigentlich ein sehr schöner Pavillon, der an einer wunderbaren Ecke steht. Wir haben jetzt einige Öffnungen hineingefügt, die ihn unserer Meinung nach noch viel einladender machen, weil wir nun nach hinten hinaus auf einmal zum Lido schauen und auf einmal in die Lagune schauen, was vorher nicht der Fall ist. Und jetzt im August in der Hitze durchweht ein Wind den Pavillon, es ist ein sehr schöner Ort geworden.
    Reinhardt: Sie lassen den Pavillon ja auch offenstehen, auch nachts. Vielleicht können Sie mal kurz schildern: Ist denn da auch dann was los nachts? Die Giardini sind ja, glaube ich, dann doch abgesichert, aber vielleicht verirren sich ja doch mal Leute dann nachts da rein.
    Schmal: Der Pavillon hat große Öffnungen, sehr große, ohne Türen, und theoretisch und praktisch kann man ihn betreten. Aber es passiert nichts. Das liegt natürlich daran, dass dieser Park di Giardini einerseits abgeschlossen ist, obwohl die Zäune nur sehr niedrig sind. Aber es passiert tatsächlich nichts, es wird nichts gestohlen, es wird nichts beschädigt, und wir sind sehr froh darum. Es war ein kalkuliertes Risiko, aber ohne schlechte Nachwirkungen.
    Reinhardt: Auch keine Heimat für Tiere, die sich da einnisten vielleicht?
    Schmal: Ja! Wir haben eine neue Heimat für Tauben, da kämpfen wir gerade gegen an. Aber das werden wir auch schaffen. Nur es ist natürlich klar: Jeden Morgen wird besonders aufgeräumt und es ist etwas mehr zu reinigen. Und ich denke, im Oktober und November wird es für die darin arbeitenden Kräfte etwas anspruchsvoller und schwieriger werden, wenn es kalt wird.
    "Das Gefühl von Fremdsein hat damit zu tun, wie man behandelt wird"
    Reinhardt: Jetzt haben Sie ja vielleicht dann doch noch mal auch einen speziellen Zugang zur Bedeutung von Heimat. Sie sind halb Deutscher, halb Philippino, Sie haben in Pakistan als Kind gelebt, in Indonesien. Da hat man noch mal einen anderen Blick auf die Welt, vermute ich mal. Was ist Ihre Vorstellung von Heimat, ganz persönlich?
    Schmal: Ich habe erlebt, dass man wandern kann, dass man reisen kann, dass man eine neue Heimat schaffen kann und dass der Ort, an dem man aufgewachsen ist, sich ändern kann und dass das tatsächlich möglich ist und dass man nicht verhaftet sein muss bis zu seinem 20. Lebensjahr, bevor man dann vielleicht in die Welt hinausgeht. Das kann ein Mangel sein, das ist sicher klar. Aber andererseits bietet es auch die Chance, den Horizont zu weiten, und man muss die Vor- und Nachteile sehen, wenn man so aufwächst, und das versuche ich. Seit einiger Zeit ist Rhein-Main meine neue Heimat und das funktioniert sehr gut, kann ich bestätigen.
    Reinhardt: Und Sie kennen wahrscheinlich auch das Gefühl von Fremdsein, dass sich vielleicht irgendwann umstellt in ein Gefühl von eine Heimat haben?
    Schmal: Ja das Gefühl von Fremdsein hat damit zu tun, wie man behandelt wird von den anderen, und ich denke, es wird viele Menschen geben in Deutschland, die zum Beispiel schwarz sind und es nicht so einfach haben, wenn sie in einer Gegend sind, in der kein Schwarzer sonst ist. Die werden, egal wo sie geboren sind, egal was ihre Eltern sind, egal wie lange sie schon im Land sind, ein Gefühl haben, dass sie vielleicht nicht willkommen sind. Das wird für diese Menschen schwieriger und da gibt es bestimmt Großstädte, in denen das einfacher ist, als ländliche Gebiete, in denen das schwieriger ist. Insofern kann ich das nachvollziehen, was es bedeutet, wenn man nicht ganz so aussieht wie alle anderen.
    "Making Heimat" bald auch im Deutschen Architekturmuseum
    Reinhardt: Jetzt wird die Ausstellung oder das, was auf dem Pavillon in Venedig zu sehen ist, "Making Heimat. Germany Arrival Country", auch im Deutschen Architekturmuseum nächstes Jahr zu sehen sein. Wird das in etwa dem entsprechen, was man in Venedig gerade sieht, oder werden Sie da noch etwas hinzufügen?
    Schmal: Ja, wir werden es natürlich aktualisieren. Wir werden das Thema Flüchtlingswohnen, Flüchtlingsbauten reichlich aktualisieren und beobachten und beleuchten, was aus den ganzen neugeschaffenen Wohnungsbauten geworden ist, haben die funktioniert oder nicht. Wir werden natürlich den nicht vorhandenen Pavillon versuchen zu reflektieren, was das war mit diesen Öffnungen, die man nicht mehr erleben kann. Und wir werden natürlich auch darüber nachdenken, den nächsten Schritt anzudeuten, was heißt es denn, die Wohnungsfrage zu lösen, die jetzt durch die sehr vielen neuen hereingekommenen Flüchtlinge sogar noch erschwert ist. Das Thema unserer nächsten Zukunft wird ja sicher sein, wie schaffen wir Wohnraum, und dieses Thema werden wir im Rahmen dieser Ausstellung auch ansprechen.
    Reinhardt: Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums, über "Making Heimat" im deutschen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.