Dienstag, 19. März 2024

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Petersburger Dialog
"Treffen gegen die Sprachlosigkeit"

In Leipzig kommt heute der deutsch-russische "Petersburger Dialog" zusammen. Das abgewertete Treffen solle weiter zur "Bereinigung des Klimas" zwischen beiden Ländern beitragen - trotz Ukraine-Konflikt, sagte der langjährige Botschafter in Moskau, von Studnitz, im DLF.

Ernst-Jörg von Studnitz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 23.04.2014
    Der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz
    Der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz (dpa / Tim Brakemeier)
    Der "Petersburger Dialog" sei vor 14 Jahren vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gegründet worden, um "die gesellschaftlich wichtigen Gruppen" Deutschlands und Russlands ins Gespräch zu bringen, sagte von Studnitz im Deutschlandfunk. Bis heute diene das Treffen dem "Austausch von Meinungen, auch von solchen, die zu Verschärfungen führen". Eigentlich soll der Dialog nach dem Vorbild der Königswinterer Gespräche "zur Bereinigung des Klimas" zwischen beiden Ländern beitragen.
    Die gegenwärtige Situation sei angespannt genug. In ihr dürften "wir nicht sprachlos davor stehen, was auf der einen oder anderen Seite geschieht", so der Ehrenvorsitzende des Vereins "Deutsch-Russisches Forum".
    Das Diskussionsforum wird üblicherweise im Umfeld der deutsch-russischen Regierungskonsultationen veranstaltet. Diese ebenfalls in Leipzig geplanten Gespräche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland aber abgesagt.

    Das Interview mit Ernst-Jörg von Studnitz in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Es gab mal eine Zeit, in der war von einer strategischen Partnerschaft die Rede, wenn es um die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland ging. Lang ist es her, das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau ist bekanntlich enorm abgekühlt. Die Stichworte hier, Michail Chodorkowski, Pussy Riot, die Einschränkungen der Demonstrationsrechte, und nicht zuletzt Russlands Rolle im Syrienkrieg. Mit dem Ukraine-Konflikt sind die Differenzen zu Moskau klarer zutage getreten als jemals zuvor. Der Westen hat bereits Sanktionen verhängt und stellte weitere in Aussicht, falls Moskau sich als Brandstifter auch im Osten der Ukraine betätigt. Vor diesen Hintergrund findet heute in Leipzig der Petersburger Dialog statt, ein Gesprächsforum, das allerdings um einen Tag gekürzt wurde. Die normalerweise parallel stattfindenden Regierungskonsultationen sind gleich ganz abgesagt worden. Zunächst aber aktuelle Informationen über die Lage in der Ukraine von Stephan Laack.
    Soweit Informationen von Stephan Laack. Und am Telefon begrüße ich jetzt Ernst-Jörg von Studnitz. Er war lange Jahre Botschafter in Moskau, ist Mitglied des Deutschen Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs und Ehrenvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Guten Morgen, Herr von Studnitz!
    Ernst-Jörg von Studnitz: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr von Studnitz, macht der Petersburger Dialog, der ja heute stattfindet in Leipzig, überhaupt Sinn, oder ist nicht ein gegenseitiger Austausch von altbekannten Positionen zu erwarten, den wir schon auf anderer Ebene erleben durften?
    "Nicht einfach still zur Seite setzen"
    von Studnitz: Ich hoffe nicht, dass es dahin kommen wird. Der Petersburger Dialog hat ja die Aufgabe, gegenseitig sich Positionen deutlich zu machen, die das politische Verhalten der jeweiligen Seiten betreffen. Schauen Sie, ein Dialogforum hat den Zweck des Austausches von Meinungen, auch von gegensätzlichen Meinungen, auch von Meinungen, die unter Umständen eher zu einer Situationsverschärfung führen werden. Aber wir müssen uns doch darüber im Klaren sein, dass wir die Dinge nicht einfach laufen lassen können, dass wir nicht einfach sprachlos davor stehen, was auf der einen oder anderen Seite geschieht. Die Situation ist angespannt genug, als dass man sich nicht einfach still zur Seite setzen kann und abwarten, wie sie sich weiter entwickeln werde.
    Heckmann: Kritiker des Petersberger Dialogs wie Markus Meckel zum Beispiel, der letzte Außenminister der DDR, der hatte auch bei uns im Deutschlandfunk schon vor Jahren von einer Show-Veranstaltung gesprochen, wenn es um den Petersburger Dialog ging. Denn, so die Begründung, die russische Seite, die entsende ohnehin nur willfährige Apologeten der Putin-Politik.
    von Studnitz: Diesen Vorwurf kenne ich natürlich. Man muss sich zurückbesinnen. Weshalb ist der Petersburger Dialog gegründet worden vor nunmehr 14 Jahren, von damals Kanzler Schröder und Präsident Putin: Um ein Gespräch der gesellschaftlich einflussreichen Kräfte in Deutschland und Russland miteinander ins Gespräch zu bringen. Man hat sich sehr genau orientiert an dem Beispiel der Königswinterer Gespräche, die enorm viel zur Bereinigung des Klimas zwischen Deutschen und Großbritannien nach dem Kriege beigetragen haben. Die Intention war beim Petersburger Dialog genau die gleiche, und sie ist es auch heute noch.
    Heckmann: Die Intention mag ja positiv sein, aber die Wirkungen scheinen doch wirklich überschaubar zu sein, denn auch die innenpolitische Entwicklung in Russland, die geht doch eher zurück, oder?
    "Sehr dicke Bretter bohren"
    von Studnitz: Es ist immer die Frage, wie schnell man eine Veränderung, eine Wirkung herbeiführen kann. Wir sind ja leider bei uns zu Lande gewöhnt, dass wir nur noch längstens in Vier-Jahres-Rhythmen der jeweiligen Legislaturperioden zu denken vermögen. Aber dass eine Haltung in einem Lande wie Russland, das aus Jahrhunderten autoritärer, zum Teil eben auch totalitärer Herrschaftsform nicht von einem Jahr aufs andere geändert werden kann, ist meiner Ansicht nach eine Selbstverständlichkeit, und das bedeutet, dass man, um mit Max Weber zu sprechen, sehr dicke Bretter bohren muss.
    Heckmann: Aber haben Sie denn den Eindruck, dass die Entwicklung wenigstens in die richtige Richtung geht?
    von Studnitz: Ich bin nicht – ja, immerhin, eines ist sicher: Die Einigung von Genf, vom vergangenen Wochenende hätte niemand erwartet gehabt. Und sie ist dennoch zustande gekommen. Leider wird heute schon überall gesagt, Genf ist bereits verletzt und Genf gilt nicht mehr. Ich halte das für einen Fehler. Man muss jetzt alle Beteiligten, die sich in Genf auf ein Prozedere geeinigt haben, muss man daran festhalten und muss versuchen, das in die Tat umzusetzen, was dort geschehen ist. Ein Rückschlag, zwei Rückschläge alleine dürfen und sollen eine solche Grundsatzvereinbarung nicht in Frage stellen.
    Heckmann: Der amerikanische Vizepräsident Biden, der hat gestern in gestern in Kiew gesagt, Moskau solle eben endlich anfangen, die Vereinbarungen von Genf, die Sie gerade angesprochen haben, umzusetzen. Moskau wiederum pocht darauf, dass Kiew den Maidan abbauen muss und auch den rechten Sektor entwaffnen sollte. Sie halten das Papier von Genf aber dennoch nicht für obsolet?
    von Studnitz: Ich glaube nicht, dass es obsolet ist. Ich meine, es unterstreicht eigentlich – die beiden gegensätzlichen Forderungen unterstreichen einfach, dass von beiden Seiten Aktion und Handeln gefordert wird. Dass da unter Umständen die eine Seite zunächst leisten müsse, damit die andere nachziehen kann, ist eine Selbstverständlichkeit, die sich aus jeglichem vertraglichen Agieren ergibt.
    Heckmann: Welche Seite wäre das aus Ihrer Sicht?
    von Studnitz: Ich glaube schon, dass russischerseits ein erstes Zeichen gesetzt werden muss, dass man an der Erfüllung dieser Genfer Vereinbarung interessiert ist.
    Heckmann: Und in welcher Form?
    von Studnitz: Ich meine, es könnte eben durchaus sein, dass ein mäßigender Einfluss auf die Kräfte, die in der östlichen Ukraine sich zu Russland bekennen, sichtbar gemacht wird.
    Heckmann: Das hat im Moment nicht den Anschein.
    von Studnitz: Das hat im Moment nicht den Anschein! Aber es heißt ja nicht – wir sind noch nicht mal eine Woche von Genf entfernt – das heißt ja nicht, dass damit die Sache schon verloren ist.
    Heckmann: Herr von Studnitz, wir haben hier auch im Deutschlandfunk immer wieder gefragt, welches Ziel verfolgt der russische Präsident, welches Ziel verfolgt Wladimir Putin. Sie sind ja ein profunder Kenner wirklich auch der innenpolitischen Szene in Russland. Was glauben Sie?
    Putins Bekenntnis zum Schutz der Russen im Ausland
    von Studnitz: Das ist nicht eine Frage des Glaubens, sondern es ist eine Frage der Analyse. Es ist ganz deutlich sichtbar, dass das Bekenntnis zum Schutz der Russen im Ausland ein wichtiges Anliegen der russischen Politik ist. Ganz ohne Zweifel. Dass dieses hier jetzt in puncto Krim, in puncto Ukraine, möglicherweise auch Transnistrien, Moldau, Übersteigerungen erfährt, die uns nicht liegen, die wir nicht billigen, halte ich für durchaus richtig. Es ist eben nur die Frage, wie wir damit umgehen können.
    Heckmann: Das heißt, Sie würden also Putin weiterhin abnehmen sozusagen das Argument, die Begründung für seine Politik, seinen Kurs, nämlich den Schutz der Minderheiten und nicht etwa eine Ausweitung der Interessensphäre?
    von Studnitz: Die Frage des Schutzes der Minderheiten ist sicherlich ein wichtiges, ein tragendes Motiv. Das verbindet sich nach den Ansätzen, die man sieht in dieser Eurasischen Union, die Putin errichten will, natürlich auch mit territorialen Vorstellungen. Dass es einen Raum im östlichen Europa bis weit nach Asien hineinreichend geben soll, der maßgeblich von Russland beeinflusst wird. Das ist ohne Weiteres sichtbar.
    Heckmann: Man könnte auch sagen, und so argumentiert ja auch Washington und auch Berlin, dass mitten in Europa im 21. Jahrhundert die Grenzen der verschiedenen Nationalstaaten gewaltsam verschoben wurden.
    von Studnitz: Das ist sicherlich ein ganz schwerwiegendes Bedenken. Wir haben eines gelernt aus diesem Zweiten Weltkrieg, dass das Verschieben von Grenzen immer zu Konflikten bis hin zu Kriegen führt. Und ich glaube, man darf diesen Weg auf gar keinen Fall gutheißen. Die Frage ist, wie weit man das, was bisher geschehen ist, auch wirklich rückgängig machen kann.
    Heckmann: Und was meinen Sie damit?
    von Studnitz: Was die Frage der Zukunft der Krim anbetrifft.
    Heckmann: Das muss akzeptiert werden vom Westen, dass es jetzt zum russischen Gebiet gehört?
    von Studnitz: Ich will nicht sagen, es muss akzeptiert werden, aber wir müssen und darüber im Klaren sein, dass die Grenzveränderung in der Ukraine, sprich also die Abspaltung der Krim, etwas gewesen ist, was mit militärischer, mit Deckung militärischer Gewalt geschehen ist. Und ich fürchte, dass man eine solche Sache nur rückgängig machen kann mit den Mitteln, die wir nicht einsetzen wollen und nicht einsetzen können.
    Heckmann: Herr von Studnitz, Biden hat gestern in Kiew gesagt, weitere Provokationen von Moskaus Seite aus würden weitere Kosten und eine weitere Isolation für Russland bedeuten. Sehen Sie die Gefahr, dass die Entwicklung in diese Richtung geht, dass sich Russland immer mehr isoliert?
    von Studnitz: Ich glaube, die Äußerungen von Biden sind deutlich zu sehen als das Muskelspiel auch der Amerikaner. Die russische Regierung spielt mit ihren Muskeln, die Amerikaner spielen mit ihren Muskeln. Die Frage ist, wohin das führt.
    Heckmann: Und wohin führt es aus Ihrer Sicht?
    von Studnitz: Es führt jedenfalls dazu, dass man gegenseitig sich des Ernstes der Situation bewusst wird und dass man sehr vorsichtig auch mit den weiteren Schritten agieren muss. Von der einen wie von der anderen Seite.
    Heckmann: Wir werden sehen, wie sich die Entwicklung weiter gestaltet. Heute findet in Leipzig der Petersburger Dialog statt. Ernst-Jörg von Studnitz, langjähriger Botschafter in Moskau war das hier live im Deutschlandfunk. Er ist Mitglied des Deutschen Lenkungsausschusses und Ehrenvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Herr von Studnitz, danke Ihnen für die Zeit!
    von Studnitz: Bitte schön, Herr Heckmann, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.