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Pfad.finder-Stipendium:
Ein persönliches Projekt umsetzen

Das Pfad.finder-Stipendium soll Abiturienten vor Antritt ihres Studiums ermöglichen, ein Jahr lang ein persönliches Projekt umzusetzen. Aufgelegt hat es die Privatuniversität Witten-Herdecke. Die Idee dazu stammt von Studierenden. Das Ganze soll zur Entschleunigung des Bildungssystems beitragen, so die Überlegung. Wer nach zwölf Jahren Schule direkt an die Uni geht, so schnell wie möglich sein Studium abschließt und direkt in den Job geht, der hat keine Zeit für kreative Freiräume. Die erste Stipendiatin ist heute in Witten vorgestellt worden.

Von Andrea Groß | 31.07.2014
    Xeniya Veber hält ihre Stipendienurkunde in der Hand. Und trotzdem kann sie es immer noch nicht richtig fassen, obwohl sie ihre Bewerbung gut vorbereitet hatte und dieses Stipendium unbedingt wollte.
    "Ich habe davon in der "Zeit" gelesen. Und bin eben darauf aufmerksam geworden, weil die Überschrift mich angelockt hat. Da hieß es nämlich, man bekommt ein Stipendium für das Nicht-Studieren. Und was sich zunächst wie Satire für mich anhörte, entpuppte sich als Realität."
    Ihr Projekt hatte die 25-Jährige aus Bamberg da schon im Kopf. Sie will einen Roman schreiben über das kurze Leben ihrer Mutter, die mit 35 an Krebs gestorben ist. Darüber, wie sie mit Mann und Kind aus der Heimat Kasachstan nach Deutschland gekommen ist, im Fränkischen eine neue Heimat aufzubauen versucht hat, über die Krankheit und den Tod. Der Roman wird kein Happy End haben, sagt sie.
    "Ich möchte mit diesem Buch auf Spurensuche gehen. Ich möchte sie besser kennenlernen. Ich möchte eben die Zeit, die wir nicht mehr gemeinsam verbringen konnten, auf diese Art und Weise aufholen. Aber nicht nur für mich persönlich, sondern auch für andere Menschen, die ähnliche Schicksalsschläge erlebt haben."
    Ein Jahr lang bekommt Xeniya Veber jetzt jeden Monat 700 Euro von der Universität Witten-Herdecke. Das Geld hat die Uni bei einem Sponsor eingeworben. Außerdem dürfen die Stipendiaten kostenlos an den Kursen der Uni teilnehmen und werden von einem Mentor betreut.
    In Xeniya Vebers Fall ist das eine Professorin für Literatur, die sie berät und ihr hilft, wenn es nicht mehr weiter geht. Sollte dieses - oder eines der nachfolgenden Stipendienprojekte - allerdings trotzdem scheitern, macht das nichts, sagt Julika Franke, die das Pfad.finder-Stipendium als Projektleiterin betreut.
    "Sonst würde es ja trotzdem auch auf dem Leistungsgedanken aufbauen. Und es ist tatsächlich so, dass es absolut mit inbegriffen ist, der Gedanke, dass es, aus welchen Gründen auch immer nicht funktioniert oder nur halb fertig wird oder sich auch verändert. Das ist auf jeden Fall mit bedacht."
    Sich ein grandioses Projekt auszudenken und dann ein Jahr abzuhängen ohne daran zu arbeiten, sei nur rein theoretisch möglich, sagt Julika Franke. Die sehr umfassende Projektskizze, das Vorstellungsgespräch und der Mentor lassen einen Missbrauch des Stipendiums eigentlich nicht zu.
    Die Idee dazu kam Studierenden der Hochschule, als immer häufiger gestresste Studienbewerber bei den Tagen der offenen Tür auftauchten, die zwar tolle Noten vorweisen konnten, aber insgesamt sehr unreif wirkten.
    "Es ist für junge Menschen allgemein wichtig, ein Jahr vor dem eigentlichen Studium Zeit zu haben, um sich zu entwickeln. Und das ist ein Wert, den wir vertreten, auch ganz unabhängig davon, ob jemand bei uns studiert oder woanders studiert. Und deswegen wollten wir das auch so in der Art und Weise zugänglich machen."
    70 Bewerbungen gab es auf die erste Ausschreibung des Stipendiums. Die Studierendenvertretung der Uni Witten-Herdecke, in deren Händen das Stipendium liegt, wählt davon fünf aus, die sich dann einem Online-Voting stellen müssen. Die nächste Bewerbungsrunde läuft bereits. Deadline ist der 31. August.
    Drei dieser Stipendien sollen insgesamt pro Jahr vergeben werden. Eine Altersbeschränkung gibt es nicht. Die Studierendengesellschaft geht davon aus, dass sich die Bewerberzahlen weiter erhöhen, wenn das Pfad.finder-Stipendium erst einmal bekannter geworden ist.
    Wenn Xeniya Veber das Stipendium nicht bekommen hätte, dann hätte sie im Herbst angefangen, Theaterwissenschaft zu studieren. Das hat sie jetzt erst einmal um ein Jahr verschoben. Ob sie es danach an der Uni Witten-Herdecke tun wird – wer weiß. Im Moment weiß auch noch keiner, ob ihr Buch fertig wird. Einen Titel aber hat es schon. Es soll heißen: "Auch der Schnee schmeckt anders".