Donnerstag, 28. März 2024

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"Pfalzgrafenstein" im kalten Rhein

Da, wo sommers die Rheindampfer mit viel Gebimmel anlegen, da hocken heute nur ein paar Möwen auf dem Geländer. Im Örtchen selber habe ich nur ein paar winterfeste Nordic-Wanderer gesehen. Sie sind vom Rheinsteig, diesem Höhenwanderweg, oberhalb des Rheins, auf eine Tasse warmen Kaffees in den Ort herunter gestiegen. Hier sind in diesen Winterwochen die Bürgersteige "hochge-klappt". Und der neue Wein reift in den Kellern.

Von Franz Nussbaum | 30.12.2007
    Und auch der Marschall Blücher steht in wuchtiger Figur fröstelnd auf seinem opulenten Denkmal, hier am Rhein. Er zeigt mit dramatischer Geste auf die gegenüberliegende Rheinseite. Denn 1813, als sich Blücher und 50.000 Soldaten mit Sack und Pack hier in Kaub und Umgebung einquartieren oder campieren. Es ist an sich unvorstellbar. Damals ist dieser Rhein noch Grenzfluss. Auf dem jenseitigen Rheinufer beginnt Napoleons "Frankreich". Aber bevor wir auf Blüchers schwankenden Rheinsteg zurückkommen suchen wir in Kaub nach dem Kulturerbe der UNESCO, dessen Erben wir ja sind. Und wir sehen drüben dieses Bollwerk "Pfalzgrafenstein" mit seinen schiefer-gedeckten Türmchen. Und wir lesen in einem Reisebericht von 1840:
    Mitten im Rhein, vor der Stadt, erhebt sich auf der Wasserfläche ein längliches Gebäude, schmal und von hoher Mauer umgeben, dessen Vorder- und Hinterteil, wie Schnabel und Heck eines Schiffes in den Wellen stehen. Dieses steinerne Schiff, ewig auf dem Rhein schwimmend und ewig vor der pfalzgräflichen Stadt vor Anker, dieser Palast ist die "Pfalz"
    und dann ergänzt dieser Autor, dieser Pfalzpalast, mitten im Flussbett, wäre so etwas wie der "Louvre" für das kleine Kaub. Das schreibt 1840 der französische Schriftsteller Victor Hugo in seiner "Rheinreise". Da ist Hugo 37 Jahre alt, sehr charmant aussehend. Ich habe hier so ein Bild von ihm. Für einen wie Hugo hätte sich auch die Loreley auf ihrem Felsen - 9 km von Kaub rheinabwärts - da hätte sich auch die Lore sich noch einmal das lange blonde Haar gekämmt. Denn Loreley steht auf Dichter. Heinrich Heine hat ihr 1823, also 17 Jahre vor Hugos "Rheinreise", mit seinem romantischen Liebesgedicht "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?" zumindest zu touristischem Rummel verholfen. Zu Heines und Hugos Zeiten gibt es hier am Rhein zwar noch nicht den großen Tourismus. Aber es rattern und rußen schon die ersten dampfgetriebenen Personenschiffe von Köln nach Mainz vorüber.

    Und Heinrich Heine und Victor Hugo kennen sich aus Paris, wo der Deutsche als Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung schreibt. Und bevor der Victor Hugo zu seiner schriftstellerischen Rheinreise aufbricht, sich dafür auch gründlichst vorbereitet, wird er sich mit dem deutschen Freund und dessen Rheinkenntnissen vom Oberen Mittelrheintal abgestimmt haben. Und dieser Rheinreisende Victor Hugo hat auch selber ein Feeling für romantische Stoffe. Zusammengefasst lesen wir:
    Unter anderem schreibt Victor Hugo den Roman vom unglücklich verliebten und behinderten "Glöckner von Notre Dame". Und sofort werden die Bilder des oftmals verfilmten Stoffes wach, wie der bucklige Glöckner am Glockenseil in halber Turmhöhe der Kathedrale, zwischen Strebewerke und steingemeißelten Fabeltieren, herumturnt. Victor Hugo gilt aber auch als vorzüglicher Reiseschriftsteller. Man reist damals um darüber zu berichten. Hugo wird Mitglied der Academie francaise, ist liberal-demokratischer Abgeordneter und Präsidentschaftskandidat der Pariser Kammer.

    Und dieser Victor Hugo muss 1840 bei seinem spätherbstlichen Besuch von Kaub auch hier irgendwo gestanden haben, als er den "Pfalzgrafenstein" beschreibt. Minutiös kennt er auch die machtpolitischen Zusammenhänge dieses Rheintales. Seit etwa 1200 kämpfen vier deutsche Kurfürsten um jeden Ort und jeden Meter am Fluss. Die mächtigen Kurfürsten und Erzbischöfe von Köln, Trier und Mainz. Und als vierter Rivale haben sich die "Pfalzgrafen bei Rhein" noch in diesem Monopoly dazwischen geklemmt. Es sind die Wittelsbacher, sie kaufen Kaub und andere Orte den klammen Erzbischöfen von Mainz ab. Es geht um lukrative Zolleinnahmen, Markt- und Münzrechte und um den beträchtlichen Handel auf diesem gefährlichsten Stück Rhein, zwischen dem Binger Loch und dem Nadelöhr Loreley. Dieter Becker:

    "Pfalzgrafenstein wurde in der Zeit von 1326 bis 40 durch Ludwig IV., im Volksmund besser bekannt als Ludwig der Bayer, der ja auch deutscher König und deutscher Kaiser war, ausschließlich zum Zwecke der Zollerhebung erbaut. Und dem damaligen Papst, Johannes XXII., war es ein Dorn im Auge, dass eine welche Macht
    sich hier erdreisstete den Rheinzoll zu erheben, derweil seine Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln hier auch den Anspruch auf den Rheinzoll erhoben haben. Aber der Pfalzgraf hat sich das nicht bieten lassen und hat dann später noch diese, heute noch stehende große Ringmauer, 25 Meter hoch, 51 Meter lang, um diesen Turm herum bauen lassen."
    Ludwig der Bayer. Es war der erbitterte Investiturstreit zwischen den Päpsten und den Kaisern um die Poolposition des Römischen Reiches deutscher Nation. Damals ein "französischer" Papst, eng an die französische Krone gebunden, er verweigert dem Deutschen die Kaiserkrone. Daraufhin macht Ludwig Druck. Das führt zum Asyl der Päpste nach Avignon. Ludwig wird deswegen exkommuniziert und inszeniert seine Kaiserkrönung mittels eines Gegenpapstes in Rom selber. So ist damals die intrigante politische Großwetterlage.
    Viel später, in der Zeit zwischen der Romantik bis heute zählt diese frühere Zollpfalz - hier- mitten im Rhein, zu den meist gemalten oder fotografierten Bauwerken. Warum Victor Hugo den "Louvre von Kaub" nicht zeichnet? Denn er ist auch ein talentierter Graphiker, fertigt beispielsweise sehr stimmungsvolle Tuschzeichnungen vom Mäuseturm von Bingen. Und nicht ganz zufällig treffen wir hier und heute am Rheinufer eine Malerin, sie skizziert an diesem Pfalzgrafenstein,
    "weil das so faszinieren ist, je nach Lichteinfall, und das ist heute besonders gut."

    Nussbaum: "Das sind zwei, vier, fünf, sieben Türmchen und Erker. Wie Sie das raus arbeiten. Ich sehe grade hinten einen Schubverband an einer der Stellen, wo glaube ich, die kriminellste Strömung ist, wo der Blücher seine Brücke herüber gezogen hat. Haben Sie auch eine Beziehung zu den Malern, die vor zweihundert Jahren hier die Rheinromantik publiziert haben? "

    "Ja, da kann man, wenn man so ein Bild ansieht, da ist man in der Stimmung direkt mitten drin. Manchmal, wenn man so einen stressigen Tag hat oder Ärger, wie so eine Therapie. Ich denke, es gibt viel mehr Menschen, die malen könnten, die wissen es gar nicht, weil sie es noch nicht probiert haben."
    Und wir probieren uns weiter an "unserem" Kopf-Bild vom Rheinstädtchen Kaub. Und zu der Frage, was sieht ein Besucher hier am Rhein, und was übersieht er notiert uns Viktor Hugo:
    Der Rhein ist ein Fluss, von dem alle Welt redet und den niemand studiert; den alle Welt besucht und den niemand kennt; den man im Vorüberfahren sieht und den man im Eilschritt vergisst; der jeden Blick berührt und den kein Geist vertiefend betrachtet.

    Auf den Punkt gebracht sagt Victor Hugo: da glotzt alle Welt auf diesen Rhein, wirft den Kopf in den Nacken und bestaunt die Burgruinen, liest in Prospekten, das alles sei Weltkulturerbe. Und hat doch im Endeffekt nichts gesehen. Der Tourist fragt nur, wo bitte geht es zur nächsten Drosselgasse, wo man so schöne Kuckucksuhren kaufen kann? Die legendäre Drosselgasse, liegt von Kaub knapp 20 Kilometer rheinaufwärts.

    Wir gehen durch das kleine, das enge, schmal an den Steilhang gequetschte Städtchen, oder mehr ein Dörfchen? Kaub lebt vom Weinbau, lebt vom Fremdenverkehr und vom Fluss. Immer waren die Kauber auch Lotsen, Kapitäne und Schiffsführer. Und wir kommen zur alten Ortskirche.

    Zwei Kirchen unter einem Dach, nur durch eine Wand getrennt. Die eine etwas streng evangelisch, die andere etwas barocken katholisch. Und nun hören wir den evangelischen Johann Sebastian Bach von einer katholischen Organistin für uns angespielt, auf einer betagten Orgel.
    Und hier wird winters auch Theater geprobt. Wir hören eine kleine Szene aus dem "Schinderhannes". Dieser Johann Bückler, geboren, hier nebenan von Kaub, im Taunus. Es ist die Abschiedsszene in seiner Todeszelle. Der naive, aber auch kriminelle Räuberhauptmann "Schinderhannes" verabschiedet sich von seinem Liebchen, seinem Julchen. Das ist real 1803. Und Karl Zuckmayer hat das in ein dramatisches Bühnenstück umgesetzt. Christiane Manthe und Dieter Becker...
    "Hannes: (Dialekt) Willste bei mer bleibe?
    Julchen: Gern.
    Hannes: Dann komm.
    Julchen: Zeig her.
    Hannes: Was dann?
    Julchen: Ei, ob Du lang lebst?
    Hannes: Lass.
    Julchen: Eine Zigeunerin hat mers gezeigt. Da steht alles drin. Hier in der Hand inne.
    Hannes: Die Leut sage, ich muss aufs Schafott. Aber ich glaub's net.
    Julchen: Ist es denn so schlimm, was du treibst?
    Hannes: Davon versteh ich nichts. Das wisse die, dies Gesetz mache.
    Julchen: Ich glaub, die irren sich manchmal.
    Hannes: Meinetwegen Ich hab sie nicht gefragt und ich werd sie nicht fragen
    Du, wenn du gerne willst, kannst Du ruhig in meine Hand gucke.
    Julchen: Jetzt net mer "
    Jetzt net mehr. Das Urteil war nämlich gefällt. Ein kreatives Völkchen, diese Kauber. Im Sommer spielen sie Open Air-Theater draußen, sogar eine Theaterwoche gibt es. Und bei dem Zuckmayer-Stück mögen sich die Bilder der Filmvorlage mit Curt Jürgens und Maria Schell noch aufdrängen. Zehn Jahre, nachdem Hannes Bückler in Mainz den Kopf verloren hat, am Sylvesternachmittag 1813, sind hier in dieser Kirche alle Schiffer und Lotsen von Kaub zusammengerufen worden.

    In Kaub und Umgebung campieren damals rund 50.000 preußische und russische Soldaten der sogenannten "Schlesischen Armee", so weit möglich auch in Häusern einquartiert. Sie fressen, pardon, alles kahl, das Vieh muss geschlachtet werden. Sie bringen Krankheiten mit, es breitet sich Flecktyphus aus. Wem die Stunde schlägt.
    Russische Pioniere schlagen und zimmern hier eine Pontonbrücke zusammen. Und die Schiffer aus dem Ort, mit der strudeligen Strömung des winterlichen Rheines vertraut, sollen in der Nacht mit 20 Holznachen ein Art Vorauskommando in mehreren Wellen auf die französische Rheinseite rüber rudern.
    Wir sind nun im Blüchermuseum in Kaub. Hier ist alles über den "Mythos Blücher" gesammelt, auch ein Modell seiner schwankenden Pontonbrücke von Ufer zu Ufer ausgestellt. Herbert Rest:
    " Zu den Truppen, die hier im Kauber Großraum biwakieren, gehören rund 25.000 russische Soldaten und rund 25.000 preußische Soldaten. Blücher hat für die anstehende Neujahrsnacht den Bau einer Brücke über den Rhein befohlen. Und für den Brückenbau werden 71 Schwimmpontons hier von Hand gefertigt.
    "

    Nussbaum: "Ich sehe ja hier auf dem Bild, also das sind Kähne und darüber ist dann mit Holzplanken, mit Balken."

    "Ja das war ein erbärmlicher Knüppeldamm. Jedes Scheunentor, jeder Dachsparren, jeder Fensterladen, jede Tischplatte, die auch nur im Entferntesten geeignet waren, auch die Türe mit dem bekannten Herzchen drin, auch die wurde ausgehängt und für den Vormarsch zweckentfremdet."

    Nussbaum: "Wie konnte man damals diese Ruderboote, natürlich mit Ankern, dass das nicht abgetrieben wurde?"

    "Das ist in der Tat auch so gewesen, dass man die Stärke der Strömung nicht richtig eingeschätzt hat und zu aller erst mit zu leichten Ankern arbeitete. Mit dem Ergebnis, dass die Strömung etliche Verankerungen weggerissen hat und ein entsprechender Teil der Brücke zum Teufel ging, wie Blücher selbst schreibt. Er kann schreiben, zur allgemeinen Überraschung. Und dass dieser Unfall eine neunstündige Verspätung im Zeitplan mit sich brachte."

    Nussbaum: "Es sind vorher welche mit Booten per Hand rüber gerudert worden."

    "Um zwei Uhr in der Sylvesternacht steigen deshalb 200 Brandenburgische Füsiliere in die Kähne und werden hinübergerudert, im Pendelverkehr. Und dann schleppt sich, über die folgenden fünf Tage hinweg, dieser entsetzliche Heerwurm von rund 50.000Mann mit ihren 15.000 Pferden, schleppt such hier durch die Kauber Metzgergasse, hier, unten durch das kleine Gässchen hindurch zum Anfang der Brücke und quer den Rhein. Es ist davon auszugehen, dass Blücher auch hier in Kaub seinem Kriegsnamen, nämlich "Marschall Vorwärts" alle Ehre macht und als einer der Ersten die Brücke quert."

    Und wir queren jetzt die Metzgergasse wieder zum Rhein runter. Und ich habe eine postkartengroße Kopie eines Bildes, das in der späteren Heroisierung Blüchers nachgezeichnet worden ist. Da sitzt ein alter Mann, ein hochbetagter Haudegen von 72 Jahren im Sattel und beobachtet, begleitet von seiner Entourage, den Rheinübergang. Auf dem Bild sieht man Schnee am matschigen Ufer. Und wir lesen weiter:

    Alleine schon, dass dieser Steg über den 300 Meter breiten Fluss, bei Nacht und Nebel und starker Strömung, ohne im heutigen Sinne, also ohne Scheinwerfer gebaut werden muss. Dazu herrscht Glatteis. Das Wasser ist in dieser Jahreszeit höchstens sechs Grad. Wer in den Rhein fällt, ob Schwimmer oder nicht-, ist verloren. 15.000 scheue und nervöse Pferde müssen am Zügel und sehr vorsichtig über den schwankenden Steg geführt werden. Die folgenden Kanonen und knapp 400 Munitionskarren können wegen des Gewichtes nur einzeln übersetzen. Wie verständigen sich Preußen und Russen? Nur wenige gebildete Offiziere beider Seiten parlieren französisch miteinander.
    Blücher gilt eher als trinkfester Grobklotz, fast ohne Schulbildung. In Kaub sind in jener historischen Sylvesternacht 1813/14 keine Neujahrsböller abgeschossen worden. Stattdessen schießt eine einzelne französische Kanonen auf die Kauber-Lotsen, die das Vorkommando ans Ufer absetzen sollen. Es gibt Verletzte, vielleicht auch Tote? Der jüngste der Kauber Ruderer ist nur 14 Jahre alt. Der nach fünf Tagen schließlich geglückte Rheinübergang hier in Kaub ist zusammen mit der Völkerschlacht in Leipzig, der Anfang vom Ende Napoleons. Anderthalb Jahre später, bei der Schlacht von Waterloo, sitzt der "Mythos Blücher" immer noch im Sattel. Und noch eine Nebenbemerkung, Victor Hugos Vater ist General unter Napoleon und auch mit dabei. Das kleine Städtchen Kaub ist, auch wenn man vielleicht kein Verehrer von Preußens Gloria ist ein Nachblättern vor Ort wert. Und vielleicht auch dazu ein Gläschen Wein. Ich sehe auf dem Etikett: "2006-er Kauber - Blüchertal, Riesling Spätlese". Und auch der gehört zum UNESCO Kulturerbe dazu.