Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Pfandflaschen
Geschädigte gesucht

Ein Bericht der Zeitschrift "Capital" hat jüngst Zweifel am Pfandsystem geweckt. Wer die verschiedenen Kreisläufe in Einzel- und Großhandel geschickt nutze, könne damit Gewinn machen und dem Fiskus beträchtlich schaden, hieß es. Dem widersprechen die Beteiligten. Sie erwägen sogar eine Klage gegen die Zeitschrift.

Von Daniela Siebert | 22.06.2015
    Ein Mann sucht in einem Müllbehälter an einer Straße nach Pfandflaschen.
    Wer so Pfandflaschen sammelt, macht keinen großen Gewinn. (imago stock&people)
    Liest man die Zeitschrift "Capital", dann ist es einfach, mit Pfandflaschen Geld zu verdienen: Man nehme leere Einwegpfandflaschen aus dem Einzelhandel, die dort 25 Cent Pfand wert sind und gebe sie im Großhandel zurück. Der berechne auch aufs Pfand die Mehrwertsteuer und zahle bei Rückgabe 30 Cent aus, der Kunde mache also fünf Cent Gewinn pro Flasche.
    Offen stehe dieser Trick all jenen, die den Großhandel nutzen dürfen: also Gewerbetreibenden, Selbstständigen und Freiberuflern erklärt das Wirtschaftsmagazin in seinem Artikel. Ein Clan in Berlin habe sich sogar auf das Modell spezialisiert und kaufe in großem Stil bei Restaurants, Kneipen und Kiosken leere Einwegpfandflaschen auf, um auf diesem Wege Gewinn zu erzielen. Dem Steuerzahler entstünde durch diese Möglichkeit jährlich ein Verlust von bis zu 40 Millionen Euro durch entgangene Steuereinnahmen rechnet das Capital vor.
    Von Missbrauch keine Spur
    Soweit der Bericht. Doch von den vermeintlich Geschädigten ruft keiner Zeter und Mordio. Der Bund der Steuerzahler will sich zum Thema nicht äußern und das Bundesfinanzministerium teilt dem Deutschlandfunk auf Anfrage mit: "Ein steuerlicher Schaden entsteht im System der Umsatzsteuer, anders als im 'Capital'-Artikel behauptet, nicht. Bei dem angesprochenen Sachverhalt handelt es sich um eine zivilrechtliche Frage und nicht um eine steuerrechtliche Angelegenheit. Veräußert der Einzelhändler eine Einwegpfandflasche an einen Endverbraucher, ist der dort erhobene Pfandbetrag von 0,25 Euro bereits mit Umsatzsteuer belegt. Der Einzelhändler muss aus den vereinnahmten 0,25 Euro die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen. Diese Darstellung verdeutlicht, dass in den von 'Capital' geschilderten Fällen nicht der Fiskus geschädigt wird, sondern der Einzelhändler die aus dem höheren Einkaufspreis und dem niedrigeren Verkaufspreis resultierende Differenz zu seinen Lasten ausgleichen muss."
    Und auch aus der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen heißt es auf unsere Nachfrage: Das Phänomen sei altbekannt, dieses Handeln sei nicht gesetzeswidrig und dem Fiskus entstehe hierdurch kein Schaden.
    Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen will sich zu diesem Thema nicht äußern und auch Branchenriese Metro sagt: Kein Kommentar. Dafür schickt die Deutsche Pfandsystem GmbH – DPG - kurzangebunden eine E-Mail zurück. Die DPG organisiert das Einwegpfand für die Getränkeindustrie und den Handel. Sie schreibt uns: "Das DPG-System ist so angelegt, dass sich der Material- und Pfandbetrags-Kreislauf (inklusive Umsatzsteuer) am Ende schließt. Es gibt keine Lücke im System und auch keine Schädigung der Steuerzahler durch das DPG-System. Auch im Einzelhandel wird die Umsatzsteuer fällig, sie ist in den 25 Cent Pfandbetrag enthalten, wie die Verpackungsverordnung dies vorsieht."
    Bericht als "unnötig diskreditierend" kritisiert
    Handlungs- oder Änderungsbedarf signalisiert also keiner der genannten Akteure. Deutliche Kritik am Status quo kommt dagegen von anderer Seite: Thomas Fischer, Fachmann für Abfallwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe, hat sich über den Artikel wahnsinnig geärgert. "Der Artikel zu einem vermeintlichen Steuerschaden durch das Einwegpfandsystem und Betrügereien in diesem Zusammenhang ist falsch, denn tatsächlich ist für den Steuerzahler keinerlei finanzieller Schaden entstanden und dadurch wird das Einwegpfandsystem unnötig diskreditiert."
    Die Deutsche Umwelthilfe erwägt sogar eine Gegendarstellung von "Capital" zu fordern, weil der Artikel ihrer Ansicht nach fehlerhaft sei. Der Schaden liege im übrigen nur bei 4 Cent pro Flasche und entstehe beim Einzelhandel und nicht beim Fiskus so Fischer: "Die Diskrepanz zwischen dem bezahlten und ausbezahlten Pfand von vier Cent gehen zulasten einiger Händler, die auf der Zwischenstufe stehen, zwischen dem Abfüller und dem Verbraucher, wie beispielsweise Aldi, Lidl, Rewe oder Edeka, die tragen den Schaden und müssten sich jetzt überlegen, wie sie zukünftig das Einwegpfandsystem und die Auszahlung der Pfandbeträge so gestalten, dass sie selbst keinen finanziellen Schaden mehr haben."
    Missbrauch oder Schaden unklar
    Der Umsatzsteuerexperte der Bündnisgrünen im Bundestag Thomas Gambke dagegen zweifelt an der Darstellung des Bundesfinanzministeriums, nach seiner Einschätzung könnte der Fiskus durchaus geschädigt werden - über den sogenannten Vorsteuerabzug bei den Einzelhändlern. Das gelte aber nur bei einer – unrealistischen hundertprozentigen Rückgabequote. Gambke will den Vorgang jedenfalls prüfen lassen, denn er hält ihn für einen inakzeptablen Systembruch.
    Nach anderer Einschätzung könnten auch jene steuerpflichtig werden, die die Pfandflaschen wie oben geschildert im Großhandel zurückgeben. In Frage kämen etwa Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer.
    Fazit: Das Phänomen existiert, doch die Konstellation ist so komplex, dass sich ein möglicher Missbrauch oder Schaden derzeit nicht eindeutig zuordnen lässt.
    Übrigens lässt sich die hier geführte Diskussion auch auf Mehrwegpfandflaschen übertragen, nur wird hier ein anderer Pfand- und Steuersatz genommen, sodass die Rückgabe beim Großhandel nicht ganz so lukrativ ist.