Donnerstag, 25. April 2024

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Pfarrer: Rettung der chilenischen Bergleute nahe an einer "Reality-Show"

Der evangelische Pfarrer Friedemann Bauschert empfindet die Berichterstattung über die Rettung der Minenarbeiter in Chile als Medienspektakel. Für den Leiter der Auslandsgemeinde in Santiago de Chile kommen die eigentlichen Probleme des Landes dabei etwas zu kurz.

Friedemann Bauschert im Gespräch mit Friedbert Meurer | 14.10.2010
    Friedbert Meurer: Friedemann Bauschert ist Pfarrer einer evangelischen Auslandsgemeinde, und zwar der lutherischen Versöhnungsgemeinde in Santiago de Chile, und ich habe ihn vor der Sendung gefragt, ob es eine Szene im Fernsehen gab während der Bergungsaktion, die ihn besonders beeindruckt oder berührt hat.

    Friedemann Bauschert: Ich muss zugeben, ich habe nicht die ganze Zeit den Fernseher laufen, weil hier ist auch Alltag und ich arbeite, aber ich habe vorher mal reingeschaut und habe einen dieser Mineros gesehen, wie er da geführt wurde und seiner Frau in die Arme fiel. Das fand ich doch schon sehr bewegend.

    Meurer: Wieso haben Sie nicht die ganze Zeit gebannt vor dem Fernseher gesessen?

    Bauschert: Es ist natürlich ein Thema in den letzten 70 Tagen gewesen und es begleitet einen ja die ganze Zeit, und ich muss zugeben, mir war es teilweise auch zu viel. Ich freue mich darüber, dass es jetzt so weit ist und dass es funktioniert, es ist sehr schön für das ganze Land und für die Leute da, aber ich muss es nicht alles gesehen haben.

    Meurer: Was war Ihnen denn zu viel in den letzten Tagen geworden?

    Bauschert: Seit diese Tragödie passiert ist und vor allem seit dieses Lebenszeichen kam, was ja auch wunderbar war, natürlich, ist es ein Medienspektakel, muss man einfach so sagen, und hat etwas ein Stück weit von einer Reality-Show, die mir nicht uneingeschränkt gefällt, eben weil dieses Thema doch schon ein Stück auch ausgeschlachtet wird. Es ist kein kontroverses Thema, das ist auch schön. Das kann man zeigen, man kann sich gemeinsam freuen, aber es überdeckt dann eben vielleicht auch manche Probleme, die es sonst gibt.

    Meurer: Von wem wird es ausgeschlachtet und wofür?

    Bauschert: Ich möchte jetzt da nicht irgendein Urteil sprechen, weil da weiß ich auch zu wenig und ich bin Gast hier im Land, aber es ist mein Eindruck, den ich hier schildern kann, dass schon die Regierung dieses Thema natürlich auch dankbar aufgenommen hat. Das ist was, womit man Chile jetzt nach außen auch zeigen kann, und wir schaffen das, und das ist auch gut so, aber dass es genau ein Problem in diesem Land gab, dass so etwas passieren konnte, das kommt dann meiner Ansicht nach etwas zu kurz.

    Meurer: Ihre Gemeinde unterhält eine Schule in einem Armenviertel in Santiago.

    Bauschert: Ja!

    Meurer: Ich weiß nicht, haben Sie da ein bisschen mitbekommen, was die Menschen dort denken in den ärmeren Teilen Chiles über die ganze Sache?

    Bauschert: Kann man so nicht sagen. Es ist kein kontroverses Thema. Man freut sich überall, dass es gelingt und dass die Menschen leben. Das ist unbestritten. Es ist jetzt nicht so, dass da irgendeine politische Diskussion im Moment im Gange wäre, ganz sicher nicht. Aber ich bin gespannt, was jetzt später daraus wird, wenn die Leute dann wieder in den Alltag zurückkehren, was das dann für ein Alltag sein wird und wie dann hier darüber gesprochen wird, wenn auch das Ausland nicht mehr so darauf guckt, vielleicht.

    Meurer: Sie haben eben gesagt, das ganze überdeckt soziale Probleme. Jetzt ist Chile ja eher eines der reicheren Länder von Südamerika. Welche sozialen Probleme werden da überdeckt?

    Bauschert: Ich würde nicht sagen, dass dieses Thema das überdeckt, aber ich meine, die gibt es einfach auch. Das wird nach außen einfach nicht mehr so stark kommuniziert, weil Chile – das stimmt – ein lateinamerikanisches Land ist, das wirtschaftlich relativ gut dasteht. Aber die Unterschiede im Land sind immens groß. Die Schere zwischen Arm und Reich ist nach wie vor riesengroß, ich glaube sogar eine der größten in ganz Lateinamerika. Die Wirtschaftszahlen allein sind es eben nicht. Es gibt hier sehr großen Reichtum und auch einen Mittelstand, aber auf der anderen Seite eben immer noch sehr viel Armut. Gerade das Viertel, wo unsere Schule steht, ist ein Beispiel dafür, dass dieses Land dort noch große Aufgaben vor sich hat.

    Meurer: Wie viel können Sie damit anfangen, wenn gesagt wird, das stärkt das nationale Wir-Gefühl?

    Bauschert: Gut, ich bin kein Chilene.

    Meurer: Aber Sie kennen das Land von früher. Sie haben es oft bereist in der Vergangenheit.

    Bauschert: Ja, ja, schon. Aber trotzdem: Ich sage mal, ich habe keine chilenische Seele in diesem Sinne. Es ist natürlich hier ein ganz anderes Nationalgefühl, als ich es aus Deutschland kenne, oder selber pflege. Das stelle ich fest und das ist so und die Chilenen rücken schnell zusammen als Nation. Das war bei der Fußball-Weltmeisterschaft so und das ist bei so einer Geschichte natürlich auch so. Das ist auch in Ordnung. Ich glaube nur nicht, dass es ein nachhaltiges Wir-Gefühl erzeugt. Ich denke, dass so ein Ereignis dazu nicht taugt.

    Meurer: In den Armenvierteln wird aber auch die Nationalhymne mitgesungen, wenn da jetzt der Präsident steht neben den geretteten Bergleuten und die Nationalhymne gesungen wird.

    Bauschert: Ja, natürlich! Da gehören sie zusammen, die Chilenen. Da haben die auch gar kein Problem. Aber das heißt nicht, dass es die anderen Probleme nicht gäbe, und die müssen bearbeitet werden, und zwar jenseits aller Medientauglichkeit, sage ich mal. Das ist jetzt eine Geschichte, die geht vorbei und dann ist wieder das tägliche Arbeiten gefragt, und da sind diese Probleme eben da.

    Meurer: Jetzt gibt es ja zwei große Tragödien in diesem Jahr in Chile: einmal das Erdbeben im Februar, jetzt das Bergwerksunglück. Kann man sagen, die Regierung hat es diesmal besser gemacht als beim Erdbeben?

    Bauschert: Kann man wohl nicht vergleichen. Das Erdbeben war erstens eine viel größere Sache, das muss man sagen, und da kann man auch niemand die Schuld geben. Ein Erdbeben kommt, da muss man hier damit leben. Da wurden viele Fehler gemacht, gar keine Frage. Diese Aktion jetzt war sehr professionell, das ist auch keine Frage. Aber ich würde es ungern vergleichen wollen. Dass man da jetzt sehr professionell gearbeitet hat, ist so, auch nicht zuletzt deshalb, weil natürlich auch die ganze Welt draufguckt und die Chilenen natürlich jetzt auch zeigen können, was sie können, und sie haben ja wirklich was geleistet.

    Meurer: Besteht die Chance, dass man jetzt auch genauer hingucken wird zum Beispiel auf die Sicherheitszustände in chilenischen Bergwerken?

    Bauschert: Das ist zu hoffen. Es gibt hier unglaublich viele Minen. Die großen, auf die wird sowieso geguckt, aber unglaublich viele ganz kleine so wie eben diese, unzählig viele gibt es da in den Bergen, und auf die jetzt zu gucken, wird notwendig sein. Da muss man sehen, was geschieht. Ich hoffe das sehr!

    Meurer: Sie waren, Herr Bauschert, bevor Sie nach Santiago gingen, Pfarrer im beschaulichen Tübingen. Als Sie damals Abschied genommen haben, hätten Sie da gedacht, was da alles auf Sie zukommen wird in Chile im ersten Jahr?

    Bauschert: Es kommt immer anders, als man denkt. Gut, wir sind zwei Tage vor dem Erdbeben hier angekommen. Mit so was kann man nicht rechnen. Das ist passiert! Es war schon eine heftige Erfahrung, Anfangserfahrung. Andererseits sage ich inzwischen, es ist auch gut, dass wir diese Erfahrung haben und mit den Menschen hier jetzt teilen. Auch das jetzt mit dieser Minengeschichte und die 200-Jahr-Feier, in so einem Jahr kommt man ganz gut rein in diese Gesellschaft. Das muss man auch sagen.

    Meurer: Aber offenbar war für Sie das Erdbeben die stärkere Erfahrung?

    Bauschert: Ja, natürlich! Da aber würde ich sagen, für alle Chilenen, die das miterlebt haben, war das die stärkere Erfahrung. Aber es ist eine andere, man kann es nicht vergleichen, weil das keine – wie soll ich sagen – Erfolgsgeschichte sein kann wie jetzt diese Rettung der Mineros. Erdbeben ist eine Naturkatastrophe, die viele Menschen heute noch betrifft im Süden. Mir fällt es schwer, die Dinge zu vergleichen. Es ist auch emotional eine andere Geschichte.

    Meurer: Friedemann Bauschert ist Pfarrer der evangelisch-lutherischen Versöhnungsgemeinde in Santiago de Chile. Schönen Dank, Herr Bauschert und alles Gute. Auf Wiederhören!

    Bauschert: Ja, auf Wiederhören. Vielen Dank!