Freitag, 29. März 2024

Archiv

Pferderennen
Kick und Quälerei

Jockeys riskieren auf deutschen Rennbahnen jede Woche ihr Leben. Bei fast 70 km/h wirken auf den Körper enorme Kräfte. Auch schon vor dem Start nehmen die Reiter einiges auf sich. Nur 55 Kilogramm dürfen Jockeys wiegen. Hungern, Saunagänge und Joggen im Schwitzanzug gehören zum Alltag im Geschäft.

Von Jesko Dohna | 04.03.2017
    Zieleinlauf: Jockey Jerry D. Bailey mit seinem Pferd Empire Maker gewinnt auf schwerem Geläuf das Hauptrennen bei den Belmont Stakes
    Der Kick kommt im Zieleinlauf (dpa, picture alliance, epa Justin Lane)
    "Das ist einfach der Kick, das ist der Kick, wenn du die Zielgerade reinkommst und schnallst mit der Zunge und dein Pferd beschleunigt, die 500 Kilogramm unter dir und strengen sich an: Das ist wie Fliegen, das ist unbeschreiblich dieses Gefühl", sagt der 41-jährige Jockey Thomas Bitala. "Deswegen machen wir das eigentlich. Im Grunde genommen Adrenalin-Kick. Um das geht's."
    Es ist dieses eine Gefühl, wie die Jockeys das nennen, wenn die Pferde mit Schaum vorm Mund in vollem Galopp über die Ziellinie jagen. Das ist ihr Antrieb. Neben der schönen gibt es aber auch die dunkle, die zerstörerische Seite des Sports. Beim Zieleinlauf beschleunigen die 500 Kilogramm schweren Vollblüter auf bis zu 70 km/h. Die 76 Berufsreiter in Deutschland riskieren jedes Wochenende ihr Leben.
    Schwere Stürze gehören dazu
    Fast jedes Wochenende gibt es auf irgendeiner Rennbahn einen schweren Sturz. Galopptrainer John Hillis aus München kann davon erzählen. Er verlor vor Jahren fast seinen kleinen Bruder. Der lag nach einem Unfall auf der Hamburger Rennbahn 20 Tage mit Kopfverletzungen im Koma. "Er ist direkt mit seinem Kopf zu Boden gekommen. Sein Helm war kaputt. Er war schon tot am Boden und Dr. Peter Wind, er hat Ron gerettet und hat die Luftröhre oder was aufgemacht mit seinem Kugelschreiber, dass er wieder Luft und alles bekommt."
    Erst kürzlich, im Oktober 2016, stürzte der deutsche Jockey Frederik Tylicki bei einem Massensturz im englischen Kempton Park. Seitdem ist er querschnittsgelähmt. Kurz zuvor wurde er noch Zweiter im hochdotierten Deutschen Derby in Hamburg-Horn, dann plötzlich war seine Karriere beendet, mit 30 Jahren.
    Hohe Geschwindigkeit, dazu ein Knäuel von Pferden und der harte Untergrund – dieses Zusammenspiel macht den Sport so gefährlich. Ein Krankenwagen folgt den dem Pulk der Reiter bei jedem Rennen im Bahninneren. Jockeys schützen zwar Sturzhelm und eine wattierte Weste, dennoch wirken bei einem Sturz auf den Körper enorme Kräfte.
    Portraitaufnahme von John Hillis
    28 Jahre lang war John Hillis Jockey (Jesko Dohna)
    "Durch die Angst lass ich mich nicht beeinflussen in meinem Leben. Angst wird einfach ausgeknipst. Aus die Maus. Wenn was passiert, passiert was. Angst ist immer nur zusammenkrampfen, das ist falsch, immer falsch", sagt Jockey Thomas Bitala. "Aber ich arbeite sowieso weiter. Ist mir egal, wenn der Arzt sagt, wenn ich mich verletze, Rippen gebrochen. Drei, vier Rippen, reite ich einfach weiter, darf ich halt nicht so viel durchatmen oder mach meine Weste lockerer. Du reitest einfach weiter, weiter, weiter…weil das schön ist."
    Hungern für das Vertragsgewicht
    Aber auch schon vor den Rennen müssen Jockeys viel erdulden: Um die 55 Kilogramm dürfen sie nur wiegen. Vertraglich festgelegt. Schon 300 Gramm zu viel werden bestraft. Vertragsbruch. Das Gewicht zu halten ist ein täglicher Kampf: Hungern, stundenlange Saunagänge und Joggen im Schwitzanzug gehören zum Alltag im Galoppsport.
    Trainer John Hillis erinnert sich: "Laufen war für mich: zuerst mit einen Schlafanzug aus Baumwolle, der saugt den Schweiß, dann habe ich einen Plastikanzug darüber, dann ein oder zwei T-Shirts, einen Jogginganzug, Mütze Handschuhe, und dann gehe ich bei 30 Grad laufen. Dann gehst Du zurück und stellst dein Auto in die Sonne und liegst in deinem Auto, das war wie eine Sauna. Du sitzt da für 20 Minuten und lässt den Schweiß richtig rauskommen. So habe ich immer drei bis vier Kilo abgenommen."
    Rohe Eier und Zigaretten
    Seit 200 Jahren ist der Ablauf immer der Gleiche. Am Sonntag nach den Rennen wird noch schnell zu Abend gegessen, dann geht am Montag die Hungerei wieder los. Eine Hand voll rohe Eier, mit einem Löffel Glucose runtergespült, ein paar Tassen Tee und viele Zigaretten – so hangeln sich die Männer durch die Woche. Im Rennen sorgen dann allein Adrenalin und der Wille zu gewinnen für Kraft.
    "Es gibt keinen Jockey, glaube ich, welcher noch nie zusammengeklappt ist, weil sein Körper es übertrieben hat. Weil Du gehst immer an die Grenze ran, und dann wenn irgendwas passiert, zu heiß, zu wenig getrunken, Kreislauf, Bumm."