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Pflanzendokumentation in Indien

Auch angesichts von riesigen Bibliotheken und des weltumspannenden Internets weiß der Mensch noch längst nicht alles - abgesehen mal davon, dass das vorhandene Wissen zudem keineswegs für alle gleich zugänglich ist. So ist beispielsweise erst im vergangenen Jahr erstmals ein umfassendes vollständiges Werk erschienen über die gesamte Pflanzenwelt der Alpen. Auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Indien, gibt es ein reichhaltiges Wissen über die Pflanzenwelt, das aber oft nur mündlich überliefert ist. Damit auch dieser Wissensschatzes nicht verloren geht, ist die indische Regierung aktiv geworden und hat vor Jahren angefangen, eine Dokumentation anzulegen über die Heil- und Wildpflanzen des Landes und wie man sie nutzt, um gesund zu bleiben oder gesund zu werden. Und das geschah keineswegs nur auf Grund nostalgischer Erwägungen, sondern hat durchaus auch handfeste wirtschaftliche Gründe.

Von Yvonne Mabille | 08.02.2005
    Eine zehnjährige Studie auf dem gesamten indischen Subkontinent brachte es an den Tag: Rund 9000 Arten von Wildpflanzen kennen und nutzen Indiens Ureinwohner - als Nahrung, Viehfutter, Brennstoff, Baumaterial und Arzneien. Allein 7500 Arten sind ihnen als Heilpflanzen bekannt.

    Die Ureinwohner, die knapp zehn Prozent der indischen Bevölkerung ausmachen, leben in Wäldern, Steppen und im Gebirge zum Teil noch immer als Jäger und Sammler. In Jahrhunderten haben sie ein riesiges Wissen über die Nutzung der natürlichen Ressourcen erworben und überliefert. Weil die junge Generation sich immer weniger für die traditionelle Lebensweise und das Wissen der Alten interessiert, droht die mündliche Weitergabe abzureißen und der Wissensschatz in Vergessenheit zu geraten. Darum hat sich das Land ein Vielfaltsgesetz gegeben. Überall soll jetzt aufgeschrieben werden, was noch lebendig ist, - wider das Vergessen.

    Wir dokumentieren hier die Medizinalpflanzen von 30 verschiedenen Gebieten in Maharashtra. Sie wurden ausgewählt, weil sie verschiedene Typen von Wald oder verschiedene agro-klimatische Zonen darstellen.

    Vivek Goure-Bromme ist Botaniker. Jahrelang hat er die Flora und Fauna von Maharashtra erforscht. Der südindische Bundesstaat ist berühmt für die Vielfalt seiner Ökosysteme. Goure-Bromme koordiniert das Programm zur nachhaltigen Nutzung von Medizinalpflanzen bei der Graswurzelorganisation "Rural Communes".

    Der Name bedeutet soviel wie "Gemeinsam bewirtschaftetes Land". Die nicht-staatliche Organisation hat schon international Furore gemacht. Für ihre erfolgreiche Armutsbekämpfung erhielt sie vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen den Äquatorpreis. Aus Deutschland wird sie vom katholischen Hilfswerk Misereor unterstützt.

    Unsere Aufgabe ist es – nicht nur meine, wir sind hier ein Team – die Pflanzen in diesen Gebieten zu dokumentieren und sicherzustellen, dass die Menschen vor Ort einen Nutzen von den Heilpflanzen haben und sicherzustellen, dass ihr Wissen darüber nicht verloren geht. Es ist nicht das Ziel Medikamente daraus herzustellen und viel Geld damit zu machen. Sie sollten mit dem zurechtkommen, was da ist. Darum geht es bei dem Ganzen.

    So entstand zum Beispiel im Amber Valley, einem 5000 ha großen Tal südöstlich von Mumbai – früher Bombay - ein Register der Vielfalt: Über 300 kultivierte und wilde Pflanzen sowie Tiere, die von der Landbevölkerung genutzt werden, haben die Bewohner dokumentiert. Gleichzeitig werden die Nutzer der Pflanzen mit grundlegenden wissenschaftlichen Arbeitsweisen vertraut gemacht. Goure-Bromme

    Den Dorfbewohnern wird gezeigt, wie man auf wissenschaftliche Weise dokumentiert – z.B. Herbariumblätter präpariert, ein Monitoring über die Pflanzenpopulation durchführt und wie man notiert, was wo gefunden wurde – und wie man mit unserm Büro in Kontakt bleiben kann. Denn – Fakt ist - wenn morgen irgendein Unternehmen kommt und etwas mitnehmen will, gibt es niemanden, um das zu stoppen.

    Immerhin wird es schwerer, Patentschutz für isolierte Gene zu erhalten, wie das Pharmakonzerne immer wieder versuchen, wenn die Nutzung der Pflanzen erst einmal dokumentiert ist.

    Das Register über die lokale Vielfalt, das Eigentum der Bevölkerung bleibt, hält alles fest: Die wissenschaftlichen und die lokalen Namen der Pflanzen und Tiere, wie sie zubereitet, aber auch wie sie geerntet, gejagt oder gefischt werden.

    Dass sich die Nutzung von Wildpflanzen durchaus rechnet, zeigt Goure-Bromme am Beispiel der Gemüse

    Also, in dem Dorf haben die Menschen verschiedene Sorten von Wildgemüsen gegessen. In Indien sind Gemüse ziemlich teuer. In dem Gebiet sammeln die Menschen wilde Gemüse im Wald. Wir haben ausgerechnet, dass ungefähr jede Familie 6000 Rupies im Jahr spart – einfach weil sie Wildgemüse aus dem Wald essen. 6000 gesparte Rupies sind 6000 verdiente Rupies. Die können für andere Zwecke ausgegeben werden.

    Eine andere Rechnung wird mit dem Neem-Baum aufgemacht. Kleine Neem-Zweige dienen einer halben Milliarde Menschen noch immer als Zahnbürste. Würden sie stattdessen Zahnpasta und moderne Zahnbürsten benutzen, müssten sie dafür täglich 1 Rupie ausgeben – das sind eine halbe Milliarde gesparte Rupies, jeden Tag.