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Pflanzliches Ventil

Viele Pflanzen haben ein Gefäßsystem, über das sie Wasser und Nährstoffe transportieren können. Werden diese Leitungsbahnen verletzt, müssen sie schnell verschlossen werden. Dazu dienen bei Klee, Bohne oder Erbse besondere Eiweißkomplexe, die sogenannten Forisome. Forscher aus Münster konnten diese Proteine künstlich herstellen und fanden neue Einsatzmöglichkeiten in der Nanotechnologie.

Von Katrin Zöfel | 01.08.2012
    Wenn eine Pflanze verletzt wird, sorgt sie zuallererst dafür, dass ihre Leitungsbahnen wieder dicht sind, denn sonst läuft die Pflanze im Extremfall regelrecht aus und der lebensnotwendige Transport von Zuckermolekülen durch die Pflanze ist unterbrochen. Für diesen Notfall hat die Pflanzenfamilie Fabaceen, also Klee, Bohne oder Erbse, sogenannte Forisome entwickelt, das sind besonders große Eiweißkomplexe, die sich je nach Bedarf dünn zusammenziehen oder groß und dick aufplustern können. Wenn nötig verstopfen sie blitzschnell die Leitungsbahnen. Forschern aus Münster ist es gelungen, diese Proteine künstlich in Hefen herzustellen. Und sie zeigen, dass Forisome in der Nanotechnologie womöglich bisher unlösbare Aufgaben übernehmen können.

    Pflanzen können weder weglaufen noch sich zur Wehr setzen, wenn sie verletzt werden. Sie müssen sich anders schützen. Ein besonders wunder Punkt sind ihre Leitungsbahnen, durch die sie Wasser, Nährstoffe, Hormone und Zucker transportieren. Im sogenannten Phloem, dem Teil der Leitungsbahnen, durch den vor allem Zucker geleitet wird, haben manche Pflanzen deshalb einen speziellen Schutzmechanismus entwickelt.

    "Forisome sind Pflanzenproteine, und diese Forisome sind in der Lage das Phloem zu verschließen, wenn es verletzt wird."

    Die Biologin Franziska Diekstall forscht an der Universität Münster. Jede der lang gezogenen, kanalförmigen Zellen im Phloem, sagt sie, hat solche Forisome. Sie sitzen jeweils an den Stellen, wo eine Leitungszelle an die nächste grenzt. Jedes einzelne Forisom besteht aus einem großen Eiweißkomplex, der schon im normalen Lichtmikroskop gut zu erkennen ist.

    "Das ist normalerweise eine relativ dünne Spindel, und wenn es nun reagiert, dann wird diese nun in der Mitte dicker, sodass dann ein Verschluss eines Kanals möglich ist."

    Die dünne Spindel wird rund, sie plustert sich auf und wird so zu einem dicken Pfropfen. Dieser Pfropfen verstopft den Übergang von einer verletzten Kanalzelle zur benachbarten, noch intakten Zelle. Damit kann die Pflanze die Folgen einer Verletzung auf eine kleine Region begrenzen. Wie der Mechanismus auf molekularer Ebene genau funktioniert, ist noch nicht geklärt. Aber sicher ist bislang: Das Eiweiß reagiert auf Veränderungen in der Kalziumkonzentration der Zelle, diese steigt bei Verletzungen nämlich an. Wundschutzproteine, die den Forisomen ähnlich sind, gibt es bei vielen Pflanzen, sagt Franziska Diekstall:

    "Das Besondere an den Forisomen ist aber, dass sie einen reversiblen Wundverschlussmechanismus machen, das können andere Proteine nicht."

    Das macht diese Eiweiße womöglich für technische Anwendungen interessant.

    "Dass man eben so ein Forisom nicht nur im Phloem, sondern auch, ich sag mal, in so einen artifiziellen Kanal, in so einen ganz kleinen Kanal stecken kann und dass das Forisom eben auch in so einem Kanal in der Lage ist, Flüsse von bestimmten Molekülen zu regulieren."

    Im Laborexperiment hat das schon funktioniert. Das Forisom regulierte wie ein flexibles Ventil in einem haarfeinen Kanal, ob sich zwei Flüssigkeiten mischten oder getrennt voneinander blieben. Zugute kommt den Forschern dabei, dass das Eiweiß nicht nur auf Kalziumkonzentrationen reagiert. Derselbe Effekt stellt sich ein, indem man an den winzigen Bauteilen schwache Stromspannungen anlegt.

    "Das ist eben eine Sache, weswegen man die Forisomreaktion dann auch ganz schnell hintereinander und ganz oft steuern kann, indem man immer 'Strom an, Strom aus, Strom an, Strom aus' macht."

    Im Test funktionierte dieses Hin und Her bis zu 5000 Mal. Damit sind die wichtigsten Eigenschaften des Eiweißes charakterisiert. Fehlt noch der Schritt Richtung Praxis. Die Forscher können das Eiweiß inzwischen nicht nur aus Pflanzen selbst isolieren, sondern in genetisch veränderten Hefen herstellen. Jede Hefezelle produziert genau ein Forisom, das sich dann relativ einfach reinigen und isolieren lässt. In den nächsten Monaten wollen die Wissenschaftler in Münster verschiedene Anwendungen genauer testen. Auf ihrer Liste stehen zum einen hochsensible Diagnosetests, die mit sehr kleinen Flüssigkeitsmengen zuverlässige Ergebnisse liefern könnten. Zum anderen schlagen sie vor, dass man mithilfe der Forisome Zellgifte für die Krebstherapie gezielt genau dort im Körper eines Patienten ausschütten könnte, wo sie wirken sollen. Letztere Idee allerdings sei noch relativ weit von der Umsetzung entfernt.