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Pflastersteinrevolution in Moskau

Der August geht zu Ende und die Russen, traditionell eher abergläubisch, atmen auf: Denn seit Langem einmal ist ein August ohne große Katastrophe über die Bühne gegangen.

Von Mareike Aden | 31.08.2011
    Der August-Putsch 1991, der Rubel-Default 1998 , der Untergang des U-Boots Kursk 2000 und im letzten Jahr die großen Wald- und Moorbrände, die ganze Dörfer zerstörten und Moskau in giftigen Smog hüllten, all das waren Augustkatastrophen. Und die Moskauer haben einen weiteren Grund aufzuatmen: Denn mit dem Beginn des Schuljahres am 1. September hören auch die Bauarbeiten auf den Gehwegen in der Hauptstadt auf.

    Erst im nächsten Sommer werden sie weitergehen. Seit Mai wurden viele asphaltierte Gehwege aufgerissen, Tag und Nacht. Statt des Asphalts wurden nun Pflastersteine ausgelegt - in jeder Ecke der Stadt so schien es. Die Pflastersteine sie waren das sommerliche Großprojekt des Bürgermeisters Sergey Sobjanin, der seit einem Jahr im Amt ist. Aber längst nicht alle Moskauer sind glücklich über die Pflastersteinwut des Bürgermeisters - und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Aus Moskau berichtet Mareike Aden.


    Es ist fast Mitternacht an einem schwülen Spätsommerabend Ende August, aber vor dem Eingang zur Metrostation WDNH im Nordosten von Moskau ist noch ein halbes Dutzend Bauarbeiter im Einsatz. Sie schleifen - recht lustlos - an Pflastersteinen herum, damit sie in die Lücken passen, die es zu schließen gilt. Das Ergebnis ist alles andere als perfekt, aber es muss reichen. Denn ab ersten September ist erst einmal Schluss, damit der Verkehrsalltag zurückkehren kann nach Moskau.
    Vier Monate lang sind den Moskauern die Gehwege quasi unter den Füßen aufgerissen worden. Fußgänger mussten sich überlegen, ob sie lieber auf die viel befahrene Hauptstraße ausweichen oder über die Berge von Asphaltmüll klettern wollten, die sich überall türmten.

    "In Moskau erzählt man sich nun einen Witz, und zwar, dass Bürgermeister Luschkow als er letztes Jahr gefeuert wurde, dem neuen Bürgermeister Sobjanin sagte, dass ein Schatz vergraben sei und dass der nun diesen den Schatz sucht und deshalb alles aufreißt. Aber Spaß beiseite - es fällt schon auf, dass Sobjanin auch als Gouverneur der Region Tjumen Asphalt durch Pflastersteine austauschen ließ."

    Bisher dominieren Gehwege aus Asphalt die russischen Städte . Mit der neuen Pflastersteinoptik drückt Bürgermeister Sergej Sobjanin dem Moskauer Stadtbild nun schon in seinem ersten Amtsjahr seinen Stempel auf. Damit folgt er der Tradition des selbstherrlichen Ex-Bürgermeisters Jurij Luschkow: Der übersäte Moskau mit Gebäuden und Denkmälern in seinem Lieblingsarchitekturstil - einer Art Neo-Zuckerbäckerstil in Sowjettradition. Im vergangenen Herbst wurde Luschkow nach 18 Jahren in einem undurchsichtigen Machtkampf von Präsident Medwedew gefeuert und Sobjanin, ein Vertrauter Wladimir Putins, eingesetzt

    Sobjanins 100 Millionen Euro teure Pflastersteinrevolution ist ein Alleingang in Luschkow-Manier, weder ein Ausschuss noch das Stadtparlament tagten. Und die Moskauer sind gespalten:

    "Das ist sehr teuer natürlich, aber wenigstens wird nun beim Asphaltverlegen nicht mehr so viel Geld gewaschen, der wurde doch nur deshalb jedes Jahr erneuert. Aber für hohe Absätze ist das gar nicht bequem, die bleiben immer stecken und gehen kaputt. Andererseits habe ich gehört, dass die Steine länger halten als Asphalt","

    sagt die 40 Jahre alte Anastasia, eine Steuerberaterin, die in der Mittagspause über neu gepflasterte Gehwege in Kremlnähe läuft. Ihre Freundin, die wie Anastasia und so viele andere Frauen in Moskau High Heels trägt, nickt zustimmend.

    Auch der Behindertenverband hat sich zu Wort gemeldet: Moskau, ohnehin eine beschwerliche Stadt für Menschen in Rollstühlen, würde mit Pflasterstein-Gehwegen in Sachen Barrierefreiheit einen weiteren Schritt zurück machen.

    Sobjanin dagegen betont, dass Pflastersteine nicht nur schöner seien, sondern gesünder: Sie würden bei heißem Wetter weniger schädliche Emissionen abgeben als Asphalt. Doch viele Moskauer erklären sich des Bürgermeisters Pflasterwut ganz anders, sagt Politologe Muchin:

    ""Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Ehefrau des Bürgermeisters Anteile an der Firma besitzt, die den Austausch der Pflastersteine durchführt. Aber beweisen kann das bisher niemand, also liegt das allein auf Gewissen von Sobjanin und seiner Frau."

    Die hatte schon in Tjumen den Spitznamen Bordstein-Irina, heißt es - aber all das könnte Resultat einer Kampagne von Sobjanins politischen Gegnern sein, vermuteten zuletzt Journalisten der Oppositionszeitung "Novaja Gazeta", sonst nicht gerade sanft im Umgang mit Moskauer Politikern.

    Aber den Beteuerungen Sobjanins, dass seine Frau von Beruf Erzieherin und keineswegs Unternehmerin sei, glauben viele Moskauer nicht. Sie sind aus gutem Grund skeptisch, was Bürgermeister-Ehefrauen angeht: Denn auch Luschkows Frau war eine Baulöwin, die bevorzugt Aufträge von der Stadtverwaltung bekam.

    Sobjanin ahnt bereits, dass sein Lieblingsprojekt zu scheitern droht. Weil es an Steinnachschub fehlte und die Arbeiter überfordert waren mit der neuen Aufgabe, wurde nur ein Drittel der geplanten vier Millionen Quadratmetern fertig bis zum Stichtag des 1. Septembers. Erst im nächsten Frühling soll das Pflastern weitergehen - wenn Sobjanin das Projekt nach all dem Unmut nicht doch noch aufgibt.